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Rassismusforscherin aus den USA„Die Geschichte kehrt zu sich selbst zurück“

Im Wissenschaftsbetrieb ist Rassismus nicht nur für die Betroffenen ein Problem, sagt Forscherin Ebony McGee. Er verhindert auch Innovationen.

Studentin der Biologie in einem Labor an der University of California Foto: Jessica Christian/Polaris/laif
Tobias Bachmann
Interview von Tobias Bachmann

taz: Frau McGee, in den USA macht die Maga-Bewegung, allen voran Donald Trump, Rassismus wieder salonfähig. Wie wirkt sich das auf die US-amerikanische Hochschullandschaft aus?

Ebony McGee: Je nach institutionellem Kontext ganz unterschiedlich. Besonders an historisch weißen Universitäten – ob privat oder öffentlich – nimmt offen ausgetragener Rassismus zu. Leute mit ultrakonservativen Werten und Ideologen weißer Vorherrschaft waren dort in den letzten Jahren stiller. Das bedeutet nicht, dass sie sich nicht rassistisch verhalten hätten. Doch gingen sie dabei viel subtiler vor, gaben Personen of Color (PoC) durch abwertende Blicke oder andere Gesten das Gefühl, nicht dazuzugehören. Jetzt fühlen sich diese Leute wieder stärker ermutigt, ganz unverhohlen zu diskriminieren.

taz: Wie äußert sich das?

McGee: Manchen PoC wird Baumwolle an die Bürotür gehängt. Das ist mir auch schon passiert. Anderen wird beispielsweise unterstellt, in einer Gang zu sein, sobald sie im Labor mit ihren Kom­mi­li­to­n*in­nen Schwarze Musik anstellen. Ihre weißen Kom­mi­li­to­n*in­nen formen dazu auch gern ihre Hände zu Waffen und fuchteln damit herum. So diffamieren sie Schwarze Kultur. Mit lateinamerikanischer Musik und Kultur verhält es sich ähnlich. Neu ist all das natürlich nicht.

Im Interview: Ebony McGee

Ebony McGee ist Professorin für Innovation und Inklusion an der Johns Hopkins Universität im US-Bundesstaat Baltimore. Sie ist eine der führenden Ex­per­t*in­nen zu strukturellem Rassismus in den Fachbereichen Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften und Technologie (MINT).

taz: Sie forschen zu Rassismus an US-Hochschulen, mit besonderem Fokus auf MINT-Fächer, also Mathe­matik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften und Technologie. Warum gerade dieser Fokus?

McGee: Ich bin selbst studierte Elektroingenieurin. Als Schwarze Frau habe ich erfahren müssen, wie schwer es ist, in diesem Feld Karriere zu machen. Darin überhaupt nur die ersten Studienjahre zu überstehen, ist für PoC schon enorm herausfordernd. Die MINT-­Fächer sind historisch weiß geprägt. Die ganze Forschung ist auf weiße Fragestellungen ausgerichtet. Möchten Schwarze Studierende beispielsweise an Themen forschen, die ihre Communitys betreffen, werden sie schnell belächelt.

taz: Was für Themen sind das?

McGee: Warum Frauen in manchen Communitys besonders häufig an Eier­stockkrebs erkranken, könnte eine Forschungsfrage sein. Oder warum die Böden in Schwarzen Viertel besonders stark mit giftigem Blei belastet sind. Solchen Fragen nachzugehen und sie zu lösen, kann viele Leben retten. Sie sind aber nicht sonderlich angesehen im US-Wissenschaftsbetrieb.

taz: Was ist denn angesehen?

McGee: Wer sich für abstrakte Dinge interessiert, die nicht darauf abzielen, rassistische Ungerechtigkeiten aufzulösen, beispielsweise KI, mit denen Google oder Microsoft viel Geld verdienen können, erlangt sehr schnell großes Ansehen. Zwar haben auch Fragen rund um Klima- und Umweltschutz ein gewisses Prestige, aber auch eher im Sinne weißer Umweltorganisationen: Wie können Wale und Polarbären gerettet werden? Die konkreten Pro­ble­me von Communitys of Color – ob in den USA oder weltweit – die bereits jetzt akut unter steigenden Temperaturen und häufigeren Extremwetterereignissen leiden, sind von nachrangigem Interesse. Für Studierende of Color entsteht so ein Dilemma. Entweder sie assimilieren sich. Oder sie wechseln den Studiengang.

taz: Wofür entscheidet sich die Mehrheit?

McGee: Sie wechseln in andere Hauptfächer, in denen sie nicht das Gefühl haben, sich so sehr beweisen zu müssen. Wo ein weniger feindseliges Klima herrscht und mehr Leute so aussehen wie sie. Das belegen die Zahlen. Zwar sind MINT-Fächer bei PoC ähnlich beliebt wie bei weißen Studierenden, Letztere sind darin aber überrepräsentiert.

taz: Für Ihre Forschung haben Sie Daten zur Repräsentation und dem Wohlbefinden von PoC an US-Hochschulen in Kooperation mit Psy­cho­lo­g*in­nen ausgewertet. Wie wirkt sich Rassismus im Wissenschafts­betrieb auf die mentale Gesundheit Betroffener aus?

McGee: Die Auswirkungen können ganz unterschiedlich sein. Sich zu assimilieren, beispielsweise um in der weiß-dominierten Techbranche zu funktionieren, bedeutet eine ganze Reihe von Dingen zu tun, die man normalerweise nicht machen würde: andere Schwarze Personen im Raum ignorieren, sich rassistisch oder anderweitig weiß verhalten. Dass das falsch ist, spüren PoC in ihren Körpern. Auch ihr Geist merkt es. Das kann dazu führen, dass sie sich selbst fremd werden, Selbsthass entwickeln. Das häufigste und größte Problem ist jedoch der John-Henryismus.

taz: Das bedeutet?

McGee: Sherman James von der Duke University hat den Begriff geprägt. Er beschreibt damit eine Bewältigungsstrategie und die daraus entstehenden Gesundheitsfolgen. Schwarze US-­Ame­ri­ka­ne­r*in­nen arbeiten besonders hart, um innerhalb des rassistischen Systems der USA erfolgreich zu sein, darin aufzusteigen und ökonomische Ungleichheit zu überwinden. Auch im MINT-Bereich ist das der Fall. PoC arbeiten auch hier überdurchschnittlich viel. 80-Stunden-Wochen sind für sie keine Seltenheit. Das führt tatsächlich zu viel Erfolg, macht jedoch auf Dauer krank.

taz: Inwiefern?

McGee: Die körperlichen Auswirkungen dauerhafter Überbelastungen sind gravierend. Die Physiologie der Menschen ändert sich: Ihr Gehirn und ihr Stressempfinden passen sich an die Prämisse an, besonders hart zu arbeiten. Das kann sich über Generationen epigenetisch fortschreiben. Manche Betroffene erleiden stressbedingte Teillähmungen ihres Gesichts, die sogenannte Bell-Lähmung. Im MINT-Bereich tätige Schwarze Frauen leiden besonders oft unter Myomen, müssen überdurchschnittlich häufig Fehlgeburten ertragen. Und im Vergleich zu weißen Fachkräften haben PoC im MINT-Bereich eine 6 bis 7 Jahre kürzere Lebenserwartung. Das zeigt sich zum Beispiel bei Personen mit Doktortitel. Weiße Frauen mit Doktortitel werden beispielsweise im Schnitt 83 Jahre alt. Frauen of Color mit gleichem Abschluss werden durchschnittlich nur Mitte 70.

taz: Sie haben die akademische Leiter im MINT-Bereich bis zur Professur erklommen. Nimmt der Rassismus mit steigender Karrierestufe ab?

McGee: Leider nicht, das belegt unsere Forschung. Nehmen wir an, eine Fakultät hat ein Labor, darin arbeiten fünf Studierende, eine davon ist Schwarz. Diese Studentin wird im Schnitt seltener zu Konferenzen eingeladen, in der Regel schlechter bezahlt und auch in Publikationen, an denen sie mitgewirkt hat, seltener als Autorin, und stattdessen lieber nur in den Danksagungen erwähnt.

taz: Weshalb wird sie nicht als ­Autorin erwähnt?

McGee: Besonders Schwarze Wissenschaftlerinnen werden nicht so häufig zitiert. Im Schnitt werden ihre Arbeiten ein Drittel bis zu einer Hälfte seltener zitiert als vergleichbare Arbeiten weißer, männlicher Autoren. Selbst wenn sie in den Topwissenschafts­journalen publizieren, ist ihre Zitationsrate ­immer noch unverhältnismäßig niedrig. Deshalb haben Schwarze Forscherinnen vor einigen Jahren die ­Kampagne „Cite Black Women“ ins Leben gerufen.

taz: In Ihrem Buch „Black, Brown, Bruised: How Racialized STEM Education Stifles Innovation“ schreiben Sie, dass Rassismus im Wissenschaftsbetrieb Innovationen verhindert. Woran machen Sie das fest?

McGee: Die MINT-Fächer, insbesondere die Statistik, wurden von Eugenikern begründet. Sie fußen auf rassistischen Überzeugungen. Viele Innovationen unserer Zeit haben sich daraus entwickelt und sind entsprechend geprägt. Zum Beispiel die Überwachungstechnologie: Im 18. Jahrhundert mussten befreite Schwarze im Bundesstaat New York nach Einbruch der Dunkelheit mit Laternen herumlaufen, um sich gegenüber Polizisten oder anderen weißen Person zu identifizieren, wenn diese dies einforderten. Eine Laterne war eine Form der Technologie, eine Innovation. Die heutige Hyper­über­wa­chungs­tech­no­l­o­gie, die unseren Alltag prägt, verfolgt Schwarze Körper noch immer in besonderem Maße. Die Geschichte kehrt gewissermaßen zu sich selbst zurück. Und das ist nur ein Beispiel. Der Wissenschaftler und Aktivist Pierce Otlhogile-Gordon hat vor einigen Jahren eine Liste mit 100 rassistischen Erfindungen veröffentlicht.

taz: Inwiefern bleibt hier neue ­Innovation aus?

McGee: Der Mangel an Inklusion in der Wissenschaft hat zunächst rassistische Innovationen hervorgebracht. Diese erschweren nun wiederum die Entwicklung neuer Technologien, die allen – also besonders auch PoC – zugutekämen und historisches Unrecht wiedergutmachten. Anstatt ein neues, antirassistisches Google zu gründen, beginnen PoC nach dem Abschluss beim weißen Google zu arbeiten. In der Forschung arbeiten viel weniger Menschen mit Rassismuserfahrungen, mit substanziell kleineren Budgets und weniger Ansehen an Innovationen, die besonders ihnen und ihren Communitys helfen würden. Das ist auch mit Blick auf die Lösung der Klimakrise ein ­Problem.

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