Grünen-Politikerin outet sich: „Die AfD bekommt weder meine Angst, noch meinen Hass“
Anna Lührmann outet sich öffentlich als lesbisch. Die Grünenpolitikerin versteht diesen Schritt als Signal gegen den Rechtsruck.

taz: Frau Lührmann, Sie haben sich entschieden, sich öffentlich als lesbisch zu outen. Warum?
Anna Lührmann: Eigentlich trenne ich berufliche und private Themen. Meine sexuelle Orientierung ist etwas sehr Persönliches, und meine Beziehung zu meiner Partnerin ist mein privates Glück. Aber ich habe gemerkt, dass sich für mich vieles verändert hat. Früher musste ich mir keine Gedanken machen, ob wir einfach so Händchen haltend durch die Straße laufen können. Heute muss ich das.
taz: Warum outen Sie sich gerade jetzt?
Lührmann: Am Wochenende ist der CSD in meiner Heimatstadt Hofheim und ich möchte dort als Teil der Community mitlaufen. Ich war in letzter Zeit auf vielen CSDs und es hat mich immer ein wenig genervt, dass ich da als Ally wahrgenommen wurde. In meiner Heimatstadt sollte sich das nicht wie ein Geheimnis anfühlen. Gleichzeitig möchte ich mit meinem Outing aber auch ein klares Zeichen gegen den Rechtsruck setzen.
*1983 in Lich, Hessen, ist Bundestagsabgeordnete, Landesvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen in Hessen und stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung. Sie zog 2002 mit 19 Jahren als jüngste Bundestagsabgeordnete ins Parlament ein und war dort bis 2009 tätig. 2021 kehrte sie in den Bundestag zurück und war Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt.
taz: Ihr Outing ist also auch eine politische Entscheidung?
Lührmann: Definitiv. Es gab einen Moment, als ich vor dem Fernseher saß und Nachrichten über den Anstieg von Straftaten gegen queere Menschen sah. Da wurde mir klar: Damit bin auch ich gemeint. Natürlich war das ein längerer Prozess, aber ich habe verstanden, dass es wichtig ist, in der Politik als queer sichtbar zu sein. Und deswegen sage ich deutlich, ich bin lesbisch und das ist auch gut so!
taz: Sie spielen damit auf das Outing des ehemaligen Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit an.
Lührmann: Ich habe noch gut im Ohr, wie Klaus Wowereit vor vielen Jahren diesen Satz sagte: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so!“
taz: Klaus Wowereit hat sich im Jahr 2001 geoutet. Das ist mehr als 20 Jahre her. Ist ein Outing heute noch eine Nachricht wert?
Lührmann: Darüber habe ich viel nachgedacht. Eigentlich sollte ein Outing heute keine Nachricht mehr sein, aber leider ist es das immer noch. Meine Lebenswirklichkeit verändert sich, denn die Bedrohungslage für queere Menschen hat sich spürbar verschärft. Und es gibt inzwischen zwar viele offen lebende queere Personen, aber Sichtbarkeit ist weiterhin ungleich verteilt. In der Öffentlichkeit sehen wir deutlich mehr schwule Männer, sicher auch, weil Männer häufiger in Machtpositionen sind. Deshalb ist es wichtig, mehr für lesbische Sichtbarkeit zu tun.
taz: Sie waren mit einem Mann verheiratet und haben eine gemeinsame Tochter.
Lührmann: Genau. Mein Ex und ich sind inzwischen seit zwei Jahren getrennt.
taz: Wie hat sich Ihr Familienleben jetzt verändert?
Lührmann: Seit Januar bin ich in einer Beziehung mit einer wunderbaren Frau. Meine Partnerin hat zwei Kinder aus ihrer vorherigen lesbischen Ehe. Es ist viel Liebe in unserer Patchworkfamilie. Auch das gehört für mich zu lesbischer Sichtbarkeit: zu zeigen, dass es ganz unterschiedliche Familienformen gibt. Aber gerade da gibt es rechtliche Diskriminierungen.
taz: Zum Beispiel?
Lührmann: Noch immer gilt, wenn ein lesbisches Paar gemeinsam Kinder bekommt, muss eine Stiefkindadoption durchgeführt werden. Das ist zum einen unsicher für die Kinder. Wenn der leiblichen Mutter etwas passieren würde vor Abschluss des Adoptionsverfahrens, stünde das Kind rechtlich ohne zweiten Elternteil da. Wie bei der Fremdkindadoption, wo die leibliche Mutter ihr Kind weggibt, darf auch hier die leibliche Mutter erst 8 Wochen nach der Geburt ihre Zustimmung geben. Zum anderen ist es ein bürokratischer und fast schon entwürdigender Prozess.
taz: Können Sie diesen Prozess erklären?
Lührmann: Es gibt bis heute kein eigenes Verfahren, sondern es ist wie bei einer Fremdkindadoption. Vertreter:innen des Jugendamtes sitzen dann am Küchentisch mit zwei übernächtigten Müttern und fragen manchmal, „Warum wollen sie Eltern werden?“, obwohl beide Frauen bereits mit dem geborenen Kind leben und Eltern sind, ohne auf die Zustimmung des Familiengerichtes zu warten.
taz: Die Ampelkoalition hatte Reformen versprochen. Warum wurde das nicht umgesetzt?
Lührmann: Es gab eine Gesetzesinitiative aus dem Justizministerium, doch die kam leider zu spät. Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist das leider kein Thema mehr. Wir als Grüne machen deshalb weiter Druck, denn diese Reform ist überfällig.
taz: Die CDU ist in der Legislaturperiode nicht gerade durch Einsatz für queere Rechte aufgefallen.
Lührmann: Erinnern wir uns: Julia Klöckner hat im Bundestag die Regenbogenflagge verboten, Friedrich Merz hat das Aufhängen der Flagge mit einem Zirkuszelt verglichen. Diese Aussagen fallen in eine Zeit, in der CSDs so stark angegriffen werden wie selten zuvor. Wenn der Bundeskanzler dann das zentrale Symbol einer Community, die gerade unter Druck steht, derart ins Lächerliche zieht, ist das schon ein Armutszeugnis. Die Polizist:innen auf den CSDs stellen sich gerade mutiger vor die queere Community, als es der Bundeskanzler tut.
taz: Ein kurzer Themenwechsel: Wie nehmen Sie Rechtsgedankengut und Hass im Netz wahr?
Lührmann: Wie viele andere Politikerinnen erlebe ich heftige Angriffe. Gerade Frauen und queere Menschen sollen durch Hassrede mundtot gemacht werden. Aber das darf nicht sein. Das Netz muss ein Ort sein, an dem sich alle sicher und frei bewegen können.
taz: Sie sind seit diesem Jahr Mitglied im Digitalausschuss. Was wollen Sie dort gegen Hass im Netz tun?
Lührmann: Wir brauchen soziale Medien, die so organisiert sind, dass sie freie Meinungsäußerung für alle ermöglichen. Dafür braucht es klare Regeln. Und die dürfen nicht von Einzelpersonen wie Elon Musk gesetzt werden, der aus seinen rechtsextremen politischen Präferenzen keinen Hehl macht.
taz: An welche Regeln denken Sie?
Lührmann: Wir wissen, dass viele Algorithmen derzeit so funktionieren, dass sie gezielt Beiträge nach oben spülen, die Hass und negative Emotionen anfachen. Das verschärft die Probleme enorm. Wir wollen, dass die EU-Kommission bestehendes Recht konsequent anwendet und die Plattformen verpflichtet, solche Mechanismen zu ändern. Es darf nicht sein, dass Hass und Hetze auch noch algorithmisch verstärkt werden.
taz: Sie waren bereits 2002 im Bundestag. Damals war die AfD, eine offen queerfeindliche Partei, nicht vertreten. Jetzt schon. Was hat sich verändert?
Lührmann: Dieser Bundestag hat so viele offen queere Politiker:innen wie noch nie, aber gleichzeitig auch so viele Rechtsextreme wie noch nie. Wir haben diesen riesigen rechtsextremen Block, der alle erkämpften Rechte wieder wegnehmen will. Teils fallen menschenverachtende Aussagen.
taz: Was macht das mit Ihnen?
Lührmann: Das macht mich wütend und trägt natürlich auch zu diesem Bedrohungsgefühl bei. Für viele ist das im Alltag vielleicht nicht sichtbar, aber ich sehe hier im Bundestag jeden Tag, wessen Geistes Kind diese Leute sind. Ihre Verachtung gegenüber allen Menschen, die anders als sie denken und sind – insbesondere queere Personen. Aber sie bekommen weder meinen Hass noch meine Angst. Im Gegenteil, es motiviert mich, jetzt erst recht laut und sichtbar zu sein.
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