CO₂-Zertifikate in Guyana: Klimaschutz, der sich auszahlt
Guyana setzt konsequent auf den Handel mit CO₂-Zertifikaten. Ein Teil der Einnahmen fließt in indigene Gemeinden. Was bedeutet das für die Menschen vor Ort?
„In der Trockenzeit können die Rinder nun Wasser bekommen und die Bauern haben eine verlässliche Wasserquelle für ihre Felder“, sagt Terry Ellis, stellvertretender Häuptling von Toka.

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de. Weitere ihrer Artikel erscheinen am 12. 9. in einer taz-Beilage, am 17. 9. gibt es einen Talk mit ihnen in der taz Kantine.
Das Dorf liegt etwa 650 Kilometer von Guyanas Hauptstadt Georgetown entfernt. Es befindet sich in den Rupununi-Feuchtgebieten, einem weitläufigen Gebiet an der Grenze zu Brasilien, das eine Verbindung zwischen dem Amazonas und Guyanas längstem Fluss, dem Essequibo, bildet.
Die Trockenzeit kann für Dörfer wie Toka, die auf Wasser angewiesen sind, katastrophale Folgen haben. Die Mittel aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten kamen daher gerade recht.
Ein Bagger für den Brunnenbau
Heute gedeiht im Zentrum des Dorfes eine riesige Wassermelonenfarm – ein Beweis dafür, dass die Wasserreservoire funktionieren. Der Dorfchef, Micah Davis, berichtet, dass der Bagger für Aufsehen sorgte: „Die Gemeinden im nördlichen Rupununi wollen, dass wir den Bagger auch in ihre Dörfer bringen, um Wasserbecken für ihre Rinder zu graben und Brunnen zu bauen, damit sie ihre Wassermelonen bewässern können.“
CO2-Zertifikate sind handelbare Nachweise dafür, dass eine Tonne CO2 vermieden oder gespeichert wurde. Meist läuft es so: Eine bestimmte Fläche Land wird nicht abgeholzt, und dafür wird eine Zahlung geleistet. Besonders im Amazonas, dem größten Regenwald der Welt, gibt es zahlreiche solche Projekte – auch in Guyana, das zu fast 90 Prozent von Wald bedeckt ist.
Ann Marie Da Silva, 64, Witwe, war verzweifelt, weil ihre Tochter schwer alkoholabhängig war. Da Silva, Bewohner der Gemeinde Santa Rosa, sah keinen Ausweg. Doch dann traf die Dorfgemeinschaft eine gemeinsame Entscheidung: einen Teil des erhaltenen Geldes für die Entzugsklinik zu nutzen.
Das war aber noch nicht alles. Eine Bewohnerin erhielt ein neues Haus, nachdem ihr altes kurz vor dem Einsturz stand. Außerdem wurden Infrastrukturprojekte umgesetzt, darunter Regenwassertanks und die Befestigung von Dammufern, damit Kinder auch bei Regen trocken zur Schule gelangen können.
Landrechte der Indigenen ignoriert
Nicht alle begrüßen jedoch die CO2-Zertifikate. Einige indigene Vertreter:innen in Guyana kritisieren, dass ihre Landrechte im Rahmen des CO2-Handelsabkommens ignoriert wurden und ihr Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung verletzt sei. Die Führerein der Wapichan, Immaculata Casimero, erklärte lokalen Medien, ihr Volk fürchte Einschränkungen bei der traditionellen Nutzung des Landes für Jagd und Fischfang. „Wir sind auf das Land für unseren Lebensunterhalt angewiesen“, sagte sie. „Wir befürchten, dass Regeln festgelegt werden könnten, die vorschreiben, wie wir unsere Wälder zu nutzen haben.“
Der National Toshaos Council, der alle Dorfchefs vertritt, unterstützt allerdings das Abkommen. Vorsitzender Derrick John betont, dass die Dorfbewohner in Versammlungen und Konsultationen selbst entscheiden, wie das Geld verwendet wird. Und er wies die Vorwürfe zurück, es sei keine ordnungsgemäße Zustimmung für den Prozess eingeholt worden.
Die Gelder, die indigene Gemeinschaften erhalten, stammen aus Guyanas Low Carbon Development Strategy (LCDS), die erstmals 2009 eingeführt wurde. Ziel der Strategie ist es, zu zeigen, wie Länder ihre Wirtschaft entwickeln und gleichzeitig ihre Wälder schützen können.
Norwegen war das erste Land, das Guyana für den Erhalt seiner Wälder bezahlte und 250 Millionen US-Dollar bereitstellte. Das Geld floss unter anderem in Landabgrenzungen in indigenen Gemeinden und andere Projekte. Ein UN-Mechanismus zur Belohnung von Ländern, die ihre Wälder erhalten, ist bislang jedoch nicht verbindlich und wird von wohlhabenden Nationen nur zögerlich umgesetzt.
Erster Käufer war ein US-Ölkonzern
Trotzdem setzte Guyana seine LCDS konsequent um und entwickelte einen Plan für kohlenstoffarme Entwicklung bis 2030. Die Regierung ist überzeugt davon, dass die Wirtschaft wachsen kann, während der Wald – so groß wie England und Schottland – erhalten bleibt.
Um Zahlungen zu sichern, entwickelte Guyana ein System zur Messung und Überprüfung des in seinen Wäldern gespeicherten Kohlenstoffs, der mehr als 19 Gigatonnen beträgt. 2022 war Guyana das erste Land weltweit, dessen gesamter Wald nach dem System Architecture for REDD+ Transactions (ART) zertifiziert wurde. Das Land trat damit in den freiwilligen Kohlenstoffmarkt ein, in dem Länder und Unternehmen Projekte bezahlen, um ihre Emissionen zu kompensieren.
Der erste Käufer war der US-Ölkonzern Hess Corporation. Er ist einer von drei Unternehmen, die vor fünf Jahren mit der Offshore-Ölproduktion vor Guyana begonnen hatten. Das Unternehmen vereinbarte mit der Regierung, ein Drittel der Zertifikate im Wert von 750 Millionen US-Dollar zu kaufen.
Die Mittel werden jährlich in Tranchen ausgezahlt, und die Regierung verpflichtet sich, 15 Prozent der Einnahmen an indigene Gemeinschaften weiterzugeben, unabhängig von Größe, Lage oder Waldanteil. Sogar Dörfer mit nur 40 Einwohnern erhalten Mittel. Dies wurde vom National Toshaos Council, der rechtlichen Vertretung aller Dorfchefs, vereinbart. Die Dörfer entscheiden selbst, wie sie das Geld verwenden. In diesem Jahr wurden insgesamt 22,9 Millionen US-Dollar überwiesen, dieselbe Summe wie im Vorjahr.
Ressourcen für die eigene Zukunft
„Die Dörfer erleben direkte Veränderungen. Sie planen ihre eigene Zukunft, weil sie nun die Ressourcen haben“, sagte Shane Cornelius, Häuptling des Dorfes Karrau, kürzlich auf einem öffentlichen Treffen.
Guyanas Präsident Irfaan Ali betrachtet die Mittelweitergabe als gemeinschaftliche Investition zur wirtschaftlichen Entwicklung. Ehemalige Bergleute, die früher für massive Umweltzerstörung verantwortlich waren, bleiben heute in den Dörfern, da sich dort neue Möglichkeiten bieten.
Auch das Dorf Toka an der Grenze zu Brasilien hat bereits Pläne die nächsten Auszahlungen. So sollen weitere Maschinen angeschafft werden – um widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel zu werden.
Neil Marks ist ein Journalist aus Guyana. Er arbeitet für die Medienplattform News Room Guyana.
Übersetzt aus dem Englischen von Niklas Franzen
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