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Weltklimakonferenz in BrasilienWenn der Regen schweigt

Unsere Autorin lebt in der Amazonasmetropole Belém, in der im November die Weltklimakonferenz COP30 stattfindet. Die Klimakrise verändert ihre Stadt.

Früher hatte der Regen in Belem eine feste Uhrzeit Foto: Jorge Saenz/AP/dpa

BELÉM taz | Es ist drei Uhr nachmittags. Die Straße ist verstopft, alles voller Autos. Die Hitze – 38 Grad – in meiner Heimatstadt macht das Atmen schwer. Und es macht die Menschen gereizt.

Im Stau bei 38 Grad in Belem City Foto: Fábia Sepêda

Endlich bewegen sich die Autos, ein wenig zumindest. Ich erreiche die Ursache der Verzögerung: den Bau eines „Linearen Parks“, der in der Praxis nicht einmal ein Park ist. Es handelt sich um Konstruktionen, die über einen offenen Abwasserkanal gebaut werden. Es ist das Viertel mit dem höchsten Quadratmeterpreis in Belém. Hier befindet sich eines der vielen fragwürdigen Projekte, die für die Klimakonferenz COP30 umgesetzt werden. Und diese Baustelle liegt auf meinem Heimweg. Was sie hinterlässt: Chaos, Schlaglöcher und ein Gefühl der Frustration.

Green Panter Amazonia

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de. Weitere ihrer Artikel erscheinen am 12. 9. in einer taz-Beilage, am 17. 9. gibt es einen Talk mit ihnen in der taz Kantine.

Während die Klimaanlage verzweifelt gegen die Hitze ankämpft und den letzten Rest meines überteuerten Benzins verbraucht, erinnere ich mich zurück. Vor einigen Jahren brachten uns die Nachmittage noch Erleichterung. Der blaue Himmel füllte sich früher zum Ende des Tages mit schweren Regenwolken. Ein Naturphänomen, so normal für uns, dass es Teil unserer kollektiven Vorstellung wurde. Im Norden Brasiliens, im brasilianischen Amazonasgebiet, haben wir nur zwei Jahreszeiten – Winter und Sommer. In der einen regnet es den ganzen Tag, in der anderen regnet es jeden Tag. Zumindest war das früher so.

Das Wetter ist unvorhersehbar geworden

In Belem leben circa 1,5 Millionen Menschen Foto: Lucio Tavora/Xinhua/imago

In meiner Kindheit hatte der Regen in Belém eine feste Uhrzeit. Um vier Uhr nachmittags hörte ich die Leute auf der Straße rufen: „Da kommt er!“ Wir rannten dann nach Hause, um die Wäsche rechtzeitig von der Leine zu holen. Nun bin ich erwachsen. Und das Wetter ist so unvorhersehbar wie eine Notaufnahme im Krankenhaus.

Ich fahre am Linearen Park vorbei. Dort sehe ich zweifelhafte Metallstrukturen, die Bäume imitieren. Entlang einer Allee, die fast keine echten Bäume hat. Die Regierung fand offenbar, es sei eine gute und praktische Idee, solche Gebilde aufzustellen, statt echte Setzlinge aus dem Regenwald zu pflanzen.

Man nannte sie „künstliche Bäume“. Das war ein großer Skandal in Brasilien, natürlich. „Wie kann ausgerechnet der Austragungsort der COP künstliche statt echte Bäume wählen?“, fragten wir uns. Um die Debatte zu entschärfen, benannte man sie in „hängende Gärten“ um. Man rechtfertigte es damit, dass sie Schatten spenden würden und aus Bauschuttmaterial gebaut seien. Obendrauf sollten Zierpflanzen zur Verschönerung. In der Praxis sieht es aus, als hätten Kinder kleine Stöckchen gesammelt, um Miniaturen der berühmten Supertrees aus Singapur nachzubauen.

Metallbäume auf dem Gelände der COP30-Konferenz im kommenden November Foto: Fábia Sepêda

Regenschirme als Sonnenschutz

Ich gucke auf das Thermometer meines Autos. Es ist fast beängstigend, sich vorzustellen, wie heiß es draußen ist. Auf dem glühenden Asphalt tropft der Schweiß von den Stirnen, die Haut brennt unter der intensiven Sonneneinstrahlung. Die Menschen benutzen Regenschirme als Sonnenschutz. Selbst drinnen ist es kaum auszuhalten.

Ich stelle die Klimaanlage höher. Das Auto vibriert. Es kann auch nicht mehr. Ich biege um die Ecke. Als ich die reichen Stadtviertel mit den großspurigen COP-Bauprojekten hinter mir lasse, bin ich wieder umgeben von dem Belém, das ich kenne. Eine Stadt, die vibriert, pulsiert, nicht stillsteht. Die vielen Bars und Restaurants sind offen. Der Geruch der typischen Küche – entstanden aus der Mischung indigener, afrikanischer und portugiesischer Traditionen – liegt in der Luft.

Alle paar Minuten höre ich Musikrichtungen, die es nur hier gibt. Sie sind intensiv und tanzbar. Sie spiegeln die Kreativität der Menschen des Amazonas wider. Sie lassen mich daran denken, dass wir tiefe Wurzeln haben. Wie die Bäume. Wir sind stolz auf unsere Traditionen und verteidigen sie. Wir leben mitten in der größten tropischen Regenwaldregion der Welt. Wir widerstehen, wie sie. Wir passen uns dem Wandel an. Wir überleben. Einen Tag nach dem anderen.

Endlich komme ich zu Hause an. Ich parke, atme erleichtert durch. Ich blicke in den Himmel. Und stelle fest: Er ist immer noch blau. Es ist vier Uhr nachmittags, genau die Zeit, zu der der Regen da sein müsste. Aber ich weiß, er kommt nicht mehr.

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