Nicht-binärer Geschlechtseintrag: Zweitpass gegen Diskriminierung auf Reisen
Für nicht-binäre Menschen kann der geschlechtsneutrale Eintrag im Pass zur Gefahr werden. Deutsche Behörden stellen daher vereinzelt Zweitpässe aus.

Wenn Lou Fischer in den Urlaub fahren will, dann kann es kompliziert werden. Bis vor einigen Wochen hätte Fischer sich bei der Wahl des Reiselandes deutlich einschränken müssen. Denn Fischer ist nicht-binär – und hat im Reisepass statt einem „M“ für männlich oder einem „F“ für weiblich ein „X“ für divers stehen. Bei der Einreise in bestimmte Staaten kann das zu Problemen führen – etwa, wenn dort transfeindliche Gesetze gelten oder trans Personen Diskriminierung droht. Daher hat Fischer nun einen zweiten Reisepass samt „F“-Marker erhalten. Doch wem dieser Weg offensteht, liegt im Ermessen der zuständigen Behörden.
Insgesamt können Menschen in weltweit knapp 20 Ländern einen X-Marker im Pass erhalten, dazu zählen Deutschland, Mexiko oder Pakistan. Einreisen sind grundsätzlich auch in Länder möglich, die diese Option selbst nicht anbieten. Allerdings sei bekannt, dass einige Staaten dies zum Anlass weiterer Befragungen im Visa-Prozess, bei der Einreisevoranmeldung oder Grenzkontrolle nehmen.
Die meisten Fluggesellschaften ermöglichen zudem bei der Buchung nur eine binäre Registrierung, männlich oder weiblich. Nicht-binäre Personen sind damit gezwungen, eine Falschangabe zu machen.
Zweitpass: Berechtigtes Interesse muss vorliegen
Juli Heinicke ist Rechtsanwältin und berät Menschen der LGBTQIA(+)-Gemeinschaft im Familienrecht. Sie betreute den Fall von Lou Fischer – ihres Wissens nach einer der ersten Fälle in Deutschland, in dem eine Person aus diesen Gründen einen Zweitpass beantragt und erhalten hat. Auch im Bürgeramt in Berlin-Mitte gab es zwei Fälle im Zusammenhang mit einer Reise in die USA, in denen nicht-binäre Personen einen Zweitpass beantragt und erhalten haben. Unter der Trump-Regierung werden dort die Rechte von trans Personen zunehmend eingeschränkt.
Laut Passgesetz kann ein Zweitpass beantragt werden, wenn ein berechtigtes Interesse vorliegt. Doch da Passbehörden kommunal organisiert sind, können „Behörden im Einzelfall auslegen, was als berechtigtes Interesse gilt“, so Heinicke. Ein solches berechtigtes Interesse kann aus verschiedenen Gründen anerkannt werden – zum Beispiel, wenn bestimmte Angaben im Pass Probleme beim Reisen verursachen.
Die in Lou Fischers Fall zuständige Passbehörde in Bad Säckingen bewilligte den Zweitpass. „Wir waren vorbereitet zu klagen, doch die Behörde hat es glücklicherweise einfach eingetragen. Die halbe Klagebegründung war in meinem Kopf schon fertig“, berichtet Heinicke. „Dass es dazu gar nicht kommen musste, war natürlich total positiv für die Person.“
Die Sachbearbeiterin habe direkt erklärt, dass die Begründung für den Zweitpass Sinn ergebe, sagt Fischer. So sieht das auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes: In vielen Ländern der Welt berge die Menschenrechtslage Diskriminierungsrisiken, heißt es auf Anfrage der taz. „Deswegen erachten wir es für sinnvoll, dass trans Personen nach erfolgter Änderung ihres Geschlechtseintrags die Möglichkeit haben, einen Zweitpass zu beantragen.“
Nun kann Fischer freier reisen und muss sich nicht an Orten mit LGBTQIA(+)-feindlichen Gesetzen zwangsouten. Auch die Angaben, die Fischer bei der Buchung macht, passen zu denen im Reisepass. Allerdings nur, weil dort nicht Fischers korrekte Geschlechtsidentität steht.
Klage gegen Ryanair
Ein Umstand, den René_ Rain Hornstein schon 2021 nicht akzeptieren wollte. Hornstein verklagte die Fluggesellschaft Ryanair aufgrund der fehlenden geschlechtsneutralen Option in der Buchungsmaske wegen Diskriminierung. Anfang Mai 2025 einigten sich Ryanair und Hornstein außergerichtlich und die geschlechtsneutrale Anrede Mixter (Mx) wurde eingeführt.
Für Hornstein hat eine geschlechtsneutrale Anrede mit der Menschenwürde von nicht-binären Personen zu tun. Es sei eine Prävention von Diskriminierung. „Wenn ich etwas kaufen will oder einen Termin beim Amt mache, hat es eine abschreckende Wirkung, wenn ich damit rechnen muss, misgendert zu werden“, sagt Hornstein. „Dann kann es sein, dass ich nicht die emotionale oder psychische Energie habe, um diesen Vorgang zu buchen. Das hat dann eine ausgrenzende Wirkung und erschwert die Partizipation am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben.“
Trotzdem findet auch René_ Rain Hornstein die Möglichkeit wichtig, einen zweiten Reisepass mit einem binären Geschlechtseintrag zu erhalten. „Es gibt einige Länder, die nur zwei Geschlechter anerkennen und in denen Personen mit X-Reisepässen Gefahr laufen, Drangsalierungen durch Leibesvisitationen oder intimen Befragungen ausgesetzt zu sein“, so Hornstein.
Als Lou Fischer die Bewilligung erreichte, war die Freude groß. Trotzdem waren die Zweifel, dass es in letzter Minute doch noch zur Ablehnung kommen könnte, erst weg, als Fischer den Zweitpass in der Hand hielt. Nun geht es nach Neuseeland, mit einer Zwischenlandung in Los Angeles. „Allein wegen der aktuellen Lage in den USA hat sich der Zweitpass schon gelohnt“, sagt Fischer.
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