Wahl zum Bundesverfassungsgericht: Brosius-Gersdorf zieht sich zurück
Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf zieht ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurück. Die Union würde ihre Wahl ausschließen.

„Nach reiflicher Überlegung stehe ich für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung“, erklärte die Potsdamer Juraprofessorin demnach. „Mir wurde aus der CDU/CSU-Fraktion – öffentlich und nicht-öffentlich – in den letzten Wochen und Tagen sehr deutlich signalisiert, dass meine Wahl ausgeschlossen ist. Teile der CDU/CSU-Fraktion lehnen meine Wahl kategorisch ab.“
Auch drohe ein „Aufschnüren des ‚Gesamtpakets‘“ für die Richterwahl. Das gefährde die beiden anderen Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht, „die ich schützen möchte“, hieß es weiter. Es müsse verhindert werden, dass sich der Koalitionsstreit wegen der Richterwahl zuspitze „und eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar sind“.
Gründe für den Kandidatur-Verzicht
Über ihre Rechtsanwälte verbreitete Brosius-Gersdorf eine Erklärung, die LTO, ein Online-Magazin für Juristen, im Wortlaut dokumentiert. Die Erklärung gliedert sich in acht Punkte, in denen sie ihren Verzicht auf die Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht begründet.
Trotz klarer Rückendeckung durch die SPD sowie Unterstützung von Grünen und Linken sei die Wahl nicht mehr realistisch, schreibt sie. Ihre wissenschaftliche Position zum Schwangerschaftsabbruch sei politisch instrumentalisiert worden, ohne sich mit den rechtlichen Argumenten auseinanderzusetzen. Zudem kritisiert sie Medienkampagnen und Desinformationswellen, auch in sozialen Netzwerken, die zunehmend Einfluss auf demokratische Prozesse und Entscheidungen im Parlament nehmen würden.
Sie mahnt an, dass fachliche Kompetenz nicht durch unsachliche Debatten überlagert werden dürfe und warnt vor einer dauerhaften Beschädigung des Wahlverfahrens. Abschließend bedankt sie sich für die große Unterstützung aus Politik und Gesellschaft und betont, dass sie sich weiterhin für die Werte des Grundgesetzes einsetzen werde.
Brosius-Gersdorf wollte Schaden für Gericht vermeiden
Die Wahl von Brosius-Gersdorf und zwei weiteren Nominierten für das höchste deutsche Gericht war im Juli im Bundestag kurzfristig abgesetzt worden. Teile der Unionsfraktion hatten Vorbehalte gegen die von der SPD nominierte Brosius-Gersdorf. Als Grund wurden unter anderem Äußerungen zum Schwangerschaftsabbruch und zu einer möglichen Impfpflicht in Corona-Zeiten angeführt. Auch meldete sich kurz vor der geplanten Wahl der Plagiatssucher Stefan Weber mit Fragen zur Dissertation der Staatsrechtlerin zu Wort.
Brosius-Gersdorf hatte zunächst an ihrer Nominierung festgehalten. Sie hatte in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ aber auch erklärt, sie würde verzichten, falls dem Gericht in der Debatte Schaden drohen sollte. „Das ist ein Schaden, den kann ich gar nicht verantworten.“ Das Bundesverfassungsgericht müsse in Ruhe arbeiten können und funktionsfähig bleiben.
Die Jura-Professorin betonte damals: „Ich möchte auch nicht verantwortlich sein für eine Regierungskrise in diesem Land, weil wir nicht wissen, was dann hinterher passiert. Das sind alles Aspekte, die nehme ich unheimlich ernst und die bedenke ich.“
Obwohl die Fraktionsführung der Union die Nominierung von Brosius-Gersdorf zunächst mitgetragen hatte, konnte sie die mit dem Koalitionspartner verabredete Unterstützung unmittelbar vor der geplanten Wahl nicht mehr garantieren. Auch die Wahlen des Unionskandidaten Günter Spinner und der zweiten SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold wurden von der Tagesordnung genommen.
Wie die Koalitionspartner CDU, CSU und SPD das Dilemma auflösen würden, war damit völlig unklar. Die Unionspolitiker hielten an ihrer Kritik fest, die SPD an ihrer Kandidatin.
Brosius-Gersdorf hatte von Drohungen berichtet
In einer früheren schriftlichen Stellungnahme hatte die Juristin die gegen sie erhobene Vorwürfe deutlich zurückgewiesen. „Die Bezeichnung meiner Person als ‚ultralinks‘ oder ‚linksradikal‘ ist diffamierend und realitätsfern“, heißt es darin. In manchen Medien sei zudem falsch über ihre Position zum Schwangerschaftsabbruch berichtet worden. Im ZDF betonte Brosius-Gersdorf: „Ich vertrete absolut gemäßigte Positionen aus der Mitte unserer Gesellschaft.“ Dies könne jeder nachlesen.
Brosius-Gersdorf hatte auch berichtet, sie habe Drohungen und verdächtige Poststücke erhalten. „Ich musste vorsorglich meine Mitarbeitenden bitten, nicht mehr am Lehrstuhl zu arbeiten“, sagte die Juristin im ZDF. Die Berichterstattung über die Verfassungsrichterwahl und ihre Person sei „nicht spurlos an mir vorbeigegangen, nicht an mir, nicht an meinem Mann, an meiner Familie, meinem gesamten sozialen Umfeld.“
Für die schwarz-rote Koalition war die geplatzte Richterwahl eine Schlappe. „Die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken gegen eine der Kandidatinnen haben wir unterschätzt“, hatte Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) in einem Brief an seine Fraktion geschrieben. Er gab aber auch der SPD eine Mitverantwortung für die gescheiterte Suche nach einem Kompromiss.
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