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Wahl zum BundesverfassungsgerichtBrosius-Gersdorf zieht sich zurück

Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf zieht ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurück. Die Union würde ihre Wahl ausschließen.

Steht nicht mehr für die Wahl als Richterin für das Karlsruher Gericht zur Verfügung: Prof. Frauke Brosius-Gersdorf (Juristin) Foto: teutopress/imago

Berlin dpa | Die von der SPD nominierte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf will nicht länger für die Richterstelle am Bundesverfassungsgericht kandidieren. Dies teilte 54-Jährige über ihre Bonner Anwaltskanzlei mit.

„Nach reiflicher Überlegung stehe ich für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung“, erklärte die Potsdamer Juraprofessorin demnach. „Mir wurde aus der CDU/CSU-Fraktion – öffentlich und nicht-öffentlich – in den letzten Wochen und Tagen sehr deutlich signalisiert, dass meine Wahl ausgeschlossen ist. Teile der CDU/CSU-Fraktion lehnen meine Wahl kategorisch ab.“

Auch drohe ein „Aufschnüren des ‚Gesamtpakets‘“ für die Richterwahl. Das gefährde die beiden anderen Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht, „die ich schützen möchte“, hieß es weiter. Es müsse verhindert werden, dass sich der Koalitionsstreit wegen der Richterwahl zuspitze „und eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar sind“.

Gründe für den Kan­di­datur-Ver­zicht

Über ihre Rechtsanwälte verbreitete Brosius-Gersdorf eine Erklärung, die LTO, ein Online-Magazin für Juristen, im Wortlaut dokumentiert. Die Erklärung gliedert sich in acht Punkte, in denen sie ihren Verzicht auf die Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht begründet.

Trotz klarer Rückendeckung durch die SPD sowie Unterstützung von Grünen und Linken sei die Wahl nicht mehr realistisch, schreibt sie. Ihre wissenschaftliche Position zum Schwangerschaftsabbruch sei politisch instrumentalisiert worden, ohne sich mit den rechtlichen Argumenten auseinanderzusetzen. Zudem kritisiert sie Medienkampagnen und Desinformationswellen, auch in sozialen Netzwerken, die zunehmend Einfluss auf demokratische Prozesse und Entscheidungen im Parlament nehmen würden.

Sie mahnt an, dass fachliche Kompetenz nicht durch unsachliche Debatten überlagert werden dürfe und warnt vor einer dauerhaften Beschädigung des Wahlverfahrens. Abschließend bedankt sie sich für die große Unterstützung aus Politik und Gesellschaft und betont, dass sie sich weiterhin für die Werte des Grundgesetzes einsetzen werde.

Brosius-Gersdorf wollte Schaden für Gericht vermeiden

Die Wahl von Brosius-Gersdorf und zwei weiteren Nominierten für das höchste deutsche Gericht war im Juli im Bundestag kurzfristig abgesetzt worden. Teile der Unionsfraktion hatten Vorbehalte gegen die von der SPD nominierte Brosius-Gersdorf. Als Grund wurden unter anderem Äußerungen zum Schwangerschaftsabbruch und zu einer möglichen Impfpflicht in Corona-Zeiten angeführt. Auch meldete sich kurz vor der geplanten Wahl der Plagiatssucher Stefan Weber mit Fragen zur Dissertation der Staatsrechtlerin zu Wort.

Brosius-Gersdorf hatte zunächst an ihrer Nominierung festgehalten. Sie hatte in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ aber auch erklärt, sie würde verzichten, falls dem Gericht in der Debatte Schaden drohen sollte. „Das ist ein Schaden, den kann ich gar nicht verantworten.“ Das Bundesverfassungsgericht müsse in Ruhe arbeiten können und funktionsfähig bleiben.

Die Jura-Professorin betonte damals: „Ich möchte auch nicht verantwortlich sein für eine Regierungskrise in diesem Land, weil wir nicht wissen, was dann hinterher passiert. Das sind alles Aspekte, die nehme ich unheimlich ernst und die bedenke ich.“

Obwohl die Fraktionsführung der Union die Nominierung von Brosius-Gersdorf zunächst mitgetragen hatte, konnte sie die mit dem Koalitionspartner verabredete Unterstützung unmittelbar vor der geplanten Wahl nicht mehr garantieren. Auch die Wahlen des Unionskandidaten Günter Spinner und der zweiten SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold wurden von der Tagesordnung genommen.

Wie die Koalitionspartner CDU, CSU und SPD das Dilemma auflösen würden, war damit völlig unklar. Die Unionspolitiker hielten an ihrer Kritik fest, die SPD an ihrer Kandidatin.

Brosius-Gersdorf hatte von Drohungen berichtet

In einer früheren schriftlichen Stellungnahme hatte die Juristin die gegen sie erhobene Vorwürfe deutlich zurückgewiesen. „Die Bezeichnung meiner Person als ‚ultralinks‘ oder ‚linksradikal‘ ist diffamierend und realitätsfern“, heißt es darin. In manchen Medien sei zudem falsch über ihre Position zum Schwangerschaftsabbruch berichtet worden. Im ZDF betonte Brosius-Gersdorf: „Ich vertrete absolut gemäßigte Positionen aus der Mitte unserer Gesellschaft.“ Dies könne jeder nachlesen.

Brosius-Gersdorf hatte auch berichtet, sie habe Drohungen und verdächtige Poststücke erhalten. „Ich musste vorsorglich meine Mitarbeitenden bitten, nicht mehr am Lehrstuhl zu arbeiten“, sagte die Juristin im ZDF. Die Berichterstattung über die Verfassungsrichterwahl und ihre Person sei „nicht spurlos an mir vorbeigegangen, nicht an mir, nicht an meinem Mann, an meiner Familie, meinem gesamten sozialen Umfeld.“

Für die schwarz-rote Koalition war die geplatzte Richterwahl eine Schlappe. „Die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken gegen eine der Kandidatinnen haben wir unterschätzt“, hatte Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) in einem Brief an seine Fraktion geschrieben. Er gab aber auch der SPD eine Mitverantwortung für die gescheiterte Suche nach einem Kompromiss.

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6 Kommentare

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  • Schön, dass die Union schon wieder auf rechtsextreme reingefallen ist - oder sollte man sagen: sie mir offenen Armen begrüßt hat

  • Der Plan der Union ist aufgegangen. Das Thema wurde verschleppt, bis die Kandidatin entnervt zurückgezogen hat.



    Aus der SPD kam wie üblich wenig bis kein Widerstand. Mir ist seit bald ewigen Zeiten nichts mehr bekannt, wofür sich die SPD ernsthaft eingesetzt hat.



    Rote Linien kennen die nicht mehr, nur noch Machterhalt und "dabei sein um jeden Preis".



    Dass das so laufen würde war von Anfang an klar, ich zitiere mich mal selbst:



    "Bei der taz und in den Kommentaren sieht man in der Hängepartie eine Niederlage der Union, das sehe ich nicht. Frau Brosius-Gersdorf wurde demontiert, ohne großen Widerspruch aus der Bevölkerung oder gar dem Unionslager zu ernten. Das mag Grünen und Linken übel aufstoßen und die SPD beleidigen, aber unterm Strich hat die Union sich einer 'gefährlichen' Richterin für ihre Positionen entledigt, denn Frau Brosius-Gersdorf ist natürlich nicht linksradikal, aber schon sportlich progressiv.



    Ich sehe da eher einen Punktsieg der Union, wenn auch einiges Koalitionsgeschirr zu Bruch ging, aber auch dazu sei gesagt: der 8. September ist weit. Die Zeit spielt in jeglicher Hinsicht für die Union."



    Aus: taz.de/Verschobene...Gersdorf/!6101348/

    • @Saskia Brehn:

      Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer, dass ich mich einmal mehr frage, wie die SPD ihre Existenz in dieser Regierung und zunehmend als Partei überhaupt noch rechtfertigt. Von ihrer Tradition ist in etwa ebenso „viel“ übrig geblieben wie vom sozial-liberalen Flügel der FDP.

  • Mittlerweile muss man sich die Frage stellen, wann die CDU mit der AfD koalieren wird, nicht mehr ob.



    Wenn es rechten Pseudomedien wie "nius" in Verbund mit Rechtsextremen gelingt, Unionsabgeordnete derart zu beeinflussen, dass eine durchaus respektable Professorin als Verfassungsrichterin verhindert wird, bedeutet dies nichts gutes für die Demokratie. Verhältnisse wie in den USA scheinen da nicht mehr weit.

    • @Flix:

      Dem kann ich so zustimmen. Ich werde das Gefühl nicht los das es auch nicht mehr allzu lang dauert.



      Bei der Ampel habe ich mich auch nur um knapp ein Jahr vertan.



      Die Union spielt da mit dem Feuer. Von der jetzigen SPD wollen wir gar nicht erst reden, die wird bei der nächsten Wahl Geschichte sein.



      Nur bei einer Koalition AfD-Union wird sich die Union umgucken. Die AfD hat eigentlich oft genug betont das sie die Union zerstören will.



      Es muss schon ein kleines Wunder geschehen.

      • @Captain Hornblower:

        Naja, AfD und Union sind sich inzwischen inhaltlich doch sehr nahe gekommen... Das Problem wird vermutlich eher sein, dass es neben den Spahns auch noch gemäßigte Merkel-Anhänger gibt, die vielleicht nicht alles mit sich machen lassen. Aber das halte ich ehrlich gesagt auch nur für eine Frage der Zeit.