Kommunalwahl in NRW: Selbst in Duisburg wird’s schwierig für die Genoss:innen
SPD-Chefin Bärbel Bas macht Wahlkampf in ihrer Heimatstadt Duisburg. Selbst dort holt die Angst vor der AfD und die Regierungskrise in Berlin sie ein.
Etwas verloren steht SPD-Bundeschefin Bärbel Bas am Freitagmorgen vor einem Infostand ihrer Genoss:innen neben dem Bezirks-Rathaus des Duisburger Stadtteils Homberg. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen mit seinen 18 Millionen Menschen stehen am 18. September Kommunalwahlen an. Und Bas, als Bundesarbeitsministerin eine der Hoffnungsträger:innen ihrer in Umfragen bundesweit bei 13 bis 15 Prozent herumdümpelnden Partei, weiß um deren Bedeutung: „Ich bin aus dem Ruhrgebiet“, sagt die gebürtige Duisburgerin. „Wir kämpfen mit allem, was wir haben, um diese Region.“
Nicht nur Bas ist klar: „Wenn uns als SPD dieser riesige Ballungsraum mit seinen Millionen Menschen verloren geht, werden wir das landesweit merken.“ Denn natürlich stehe ihre Partei längst nicht da, wovon die Genoss:innen noch immer träumen: „Wir waren hier in NRW schließlich jahrzehntelang die führende Partei“, sagt Bas fast nostalgisch. Doch im einstigen Stammland kam die Sozialdemokratie in einer letzten Umfrage von Anfang Juli auf gerade einmal 17 Prozent.
Trotzdem ist die Parteivorsitzende an diesem Freitagmorgen von Reporter:innen umgeben. Doch in der Seitenstraße, in der ihre Homberger Genoss:innen neben einem roten Sonnenschirm mit SPD-Logo einen kleinen Tisch mit Flyern aufgebaut haben, interessiert sich kaum jemand für die Sozialdemokrat:innen. Die Situation droht etwas peinlich zu werden. Besser auf den Markt auf dem angrenzenden Bismarckplatz, schlägt Bas deshalb schnell vor.
Hier, zwischen Verkaufswagen und Ständen für Backwaren, Fleisch und Textilien, wird die 57-Jährige von manchen distanziert, von anderen freundlich empfangen. Seit 2009 im Bundestag, sei sie „eine Art Orts-Promi“, sagt die Tochter eines Busfahrers und einer Hausfrau über sich. „Es hilft den ehrenamtlichen Genossinnen und Genossen hier vor Ort, wenn jemand, der Bundespolitik erklären kann, der im Kabinett sitzt, im Wahlkampf da ist.“ In ganz NRW, von Köln bis Castrop-Rauxel, ist Bas deshalb unterwegs.
Leerstand und Feuer
Auf dem Markt macht die Rentnerin Gundula Klein schnell klar, wo sie die Probleme der Stadt sieht. „Nicht schön“ seien die vielen leerstehenden Geschäfte auf Hombergs Einkaufsmeile, der Augustastraße. Sorgen machen ihr auch die vielen Brände in der über Jahrzehnte zur Ruine gewordenen, einstigen Maschinenfabrik „Schmitz Söhne“.
Das am Rhein liegende Gelände ist ein Symbol für den Niedergang der Duisburger Industrie. Nicht nur das knapp einen Kilometer entfernte Chemiewerk Venator, spezialisiert auf Farbpigmente, hat hunderte Stellen abgebaut. Im riesigen Thyssenkrupp-Stahlwerk stehen tausende gutbezahlte Jobs auf der Kippe, ebenso bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann. Dabei hat Duisburg mit 13,5 Prozent schon heute die zweithöchste Arbeitslosenquote in ganz NRW. Schlimmer ist die Lage mit 15,3 Prozent nur im ebenfalls vom Ende von Kohle und Stahl gebeutelten Gelsenkirchen.
Doch merkwürdigerweise ist die hohe Arbeitslosigkeit zumindest auf dem Markt kein Thema. „Man wir da angesprochen, wo die Leute wohnen – da brennt’s ihnen unter den Nägeln“, sagt die Bundesarbeitsministerin dazu – also in unmittelbarer Nähe der Stahlstandorte im Norden und Süden der Stadt, nicht im mittig gelegenen Stadtteil Homberg auf der linken Rheinseite.
Die Union ist besser platziert
„Gehen wir doch rüber zum Koalitionspartner“, schlägt Bärbel Bas vor. Auch die Christdemokrat:innen machen Wahlkampf in Duisburg-Homberg – und haben sich strategisch besser mitten auf dem Markt platziert. Auch CDU-Stadtratsfraktionschef Michael Büttgenbach ist da und hat schon vor Bas’ Besuch betont, wofür seine Partei stehe: „Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit“, zählt er im Gespräch mit der taz auf – und etwas verdruckst: „ein Wohnungsmarkt ohne Spekulation“.
Was CDU-Mann Büttgenbach damit meint, ist Armutsmigration vor allem aus den EU-Staaten Südeuropas. Seit langen klagen nicht nur Lokalpolitiker:innen, Schleuser brächten Menschen gezielt in billigen leerstehenden Häusern im Ruhrgebiet unter. Dort bekämen sie oft nur schlecht bezahlte Jobs und seien auf Sozialleistungen angewiesen.
„Mafiöse Strukturen, die wir zerschlagen müssen“ seien das, hatte auch die Bundesarbeitsministerin schon im Juni geklagt. Gerade im Ruhrgebiet gebe es „ausbeuterische Strukturen, die Menschen aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland locken und ihnen Mini-Arbeitsverträge anbieten.“ Gleichzeitig ließen sie diese Menschen „Bürgergeld beantragen und schöpfen die staatlichen Mittel dann selbst ab.“
Es ist die Angst vor einem weiteren Aufstieg der AfD, die hinter den Klagen von Bas und des CDU-Lokalpolitikers Büttgenbach steht. Denn die Rechtsextremen sind nicht nur am Rhein, sondern auch in weiten Teilen des deindustrialisierten Nordens des Ruhrgebiets stark geworden: Lag die AfD bei der Kommunalwahl 2015 in Duisburg noch bei 3,5 Prozent, waren es 2020 schon 9,3 Prozent. Und bei der Bundestagswahl in diesem Jahr fuhren die Rechtsradikalen im Wahlkreis Duisburg I im Norden der Stadt knapp 24,8 Prozent ein. Damit lagen sie nur noch hauchdünn hinter der SPD, für die sich 25,3 Prozent der Wähler:innen entschieden.
Mehr Geld für bedrohte Kommunen
„Auch in Duisburg wird’s schwieriger“, sagt Bärbel Bas mit Blick auf die AfD deshalb bei ihrem nächsten Termin. „Duisburg ist eine arme Stadt – und hat einfach nicht soviel Geld, um all die Wünsche, die die Bürger in ihren Stadtteilen haben, zu erfüllen“, erklärt sie auf einem weiteren Markt im Duisburger Stadtteil Rheinhausen. „Die Leute haben deshalb den Eindruck, es tut sich nichts.“
Das stimme so natürlich nicht, erklärt die SPD-Chefin dann schnell. Doch nicht nur bei den Duisburger:innen verfestige sich der Eindruck. Sie appelliere deshalb in Richtung Land und Bund: „Ihr müsst uns gerade in diesen Regionen helfen. Denn sonst verlieren wir die Menschen an radikale Kräfte – und das will niemand. Das gefährdet doch die Basis unserer Demokratie.“
Nötig, findet Bas, sei deshalb eine Veränderung des Königssteiner Schlüssels, mit dem der Finanzausgleich zwischen den Bundesländern geregelt wird: Städte, die wie im Ruhrgebiet unter Armutszuwanderung oder im Osten unter Leerständen leiden, müssten besonders gefördert werden.
„Bund und Länder müssen es gemeinsam hinbekommen, dass die Menschen in diesen Regionen sich nicht abgehängt fühlen und sagen: Politik ist für mich in meinem Leben nicht mehr da“, fordert Bas. Schlicht „demokratiegefährdend“ sei das: Denn dann wählten „die Menschen entweder gar nicht mehr – oder radikale Kräfte, von denen sie sich Änderungen erhoffen“.
Regierungskrise ist überall
Doch ob die Bundesregierung dazu die Kraft hat, scheint nicht ganz sicher. Die durch die gescheiterte Wahl der Professorin Frauke Brosius-Gersdorf ausgelöste Regierungskrise – sie holt die SPD-Bundesvorsitzende auch auf dem kleinen Markt in Duisburg-Rheinhausen ein. „Ich will nicht drum herumreden: Wir haben gerade ein ernstzunehmendes Problem miteinander“, sagt Bas zu der gezielten Kampagne von Rechtsaußen, deren Hetze auch bei entscheidenden Teilen der Unions-Bundestagsfraktion verfing.
„Es kann nicht sein“, sagt Bas einen Tag nach Brosius-Gersdorfs Verzichtserklärung, „dass wir als SPD brav den Koalitionsvertrag abarbeiten – und die Union Schwierigkeiten hat, ihre Truppen zusammenzuhalten.“ Sie könne „nur davor warnen, zu glauben, mit dem Rückzug der Kandidatin wäre alles gut. Nein, es ist nicht gut.“
Die Bundesvorsitzende der SPD fordert stattdessen einen Treueschwur der Union: „Wir werden uns als Spitzen der Koalition noch einmal zusammensetzen müssen – denn die SPD braucht die Verlässlichkeit des Koalitionspartners Union.“
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