Demokratieabbau in El Salvador: Rette sich, wer kann
Vor laufenden Kameras wird El Salvadors Demokratie peu à peu begraben. Mit einer Verfassungsänderung will Präsident Nahib Bukele seine Macht sichern.

All das wurde dokumentiert, die Fälle öffentlich gemacht und juristisch dagegen vorgegangen. „Das macht uns genauso wie andere Menschenrechtsorganisationen zu Unbequemen. Wir weisen dem Staat Verletzungen der geltenden Gesetze nach. Nicht einmal, sondern dutzend- nein, hundertfach“, kritisiert Escobar. Sie wartet einige hundert Kilometer weiter nördlich von San Salvador auf politisches Asyl, einen festen Status, und bevor sie den nicht hat, will sie ihren Standort nicht preisgeben.
Dieses Schicksal teilt sie mit vielen anderen. Mindestens 40 Journalist:innen, etliche bekannte Vertreter:innen von Menschenrechtsorganisationen, aber auch Gewerkschaftsvertreter:innen und etliche andere Protagonist:innen der Zivilgesellschaft El Salvadors haben das Land seit dem 20. Mai fluchtartig verlassen. Ein wesentlicher Grund dafür ist das „Gesetz über ausländische Agenten“.
Das Dekret, am 20. Mai vom Parlament mit 57 von 60 Stimmen verabschiedet, sorgt dafür, dass sämtliche mit Mitteln aus dem Ausland finanzierte Organisationen 30 Prozent Steuern auf alle Überweisungen aus dem Ausland sowie weitere 30 Prozent auf Überweisungen in El Salvador abführen müssen. Obendrein gilt für alle Organisationen, die Mittel aus dem Ausland erhalten, dass sie sich bei einer eigens dafür geschaffenen Behörde registrieren lassen müssen.
Unliebsame Organisationen kontrollieren
Das Prozedere ist nicht neu: in Nicaragua und Venezuela ist es schon länger Usus. In Peru wurde Mitte März diesen Jahres das „Anti-NGO-Gesetz“ verabschiedet, auch da lautet das Motiv: unliebsame Nichtregierungsorganisationen (NGO) an die Kette legen, unbequeme Stimmen aus der Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen. In El Salvador läuft das auf Hochtouren. Dutzende von Protagonist:innen der Zivilgesellschaft wurden am 20. Mai und in den Tagen danach festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Die vielleicht bekannteste ist Ruth López, Anwältin und Antikorruptionsspezialistin der Menschenrechtsorganisation Cristosal. Sie sitzt in Haft, ihre Organisation hat am 17. Juli das Land verlassen.
Für Ingrid Escobar hatte die Festnahme der Kollegin Signalcharakter, für Ivania Cruz von der Menschenrechtsorganisation (UNIDEHC) war es die von ihrem Kollegen Fidel Zaval. „Er befindet sich seit dem 2. April in einem Gefängnis, in dem nachweislich gefoltert wird“, so die 32-jährige Juristin. Sie lebt seit Ende Februar mit einem humanitären Stipendium im spanischen Bilbao und setzt von dort aus die Arbeit der Organisation fort. „Wir haben Dutzende Fälle von Gewalt in den neun Haftanstalten des Landes dokumentiert, unterstützten aber auch Gemeinden, die von Vertreibung durch Investoren bedroht sind – oft unterstützt von der Regierung“, sagt sie. Dabei ist sie mehrfach auf den Namen Bukele gestoßen, denn seine Familie hat sich Grundstücke im Kaffeesektor genauso wie Strandabschnitte angeeignet. „Bezahlt teilweise aus der Regierungskasse“, sagt Ivania Cruz.
Sätze, die dazu beigetragen haben könnten, dass gegen Cruz als „Mitglied einer kriminellen Vereinigung“ ermittelt wird. „Eigentlich ein Straftatbestand, den wir nur aus dem Bandenkontext kennen, aber nun wird er auch gegen Menschenrechtsorganisationen angewandt“, erklärt die Juristin mit ruhiger Stimme. Für sie ein weiterer Beleg für die Auflösung der demokratischen Strukturen in El Salvador. Exekutive, Judikative und Legislative tanzen nach der Pfeife von Präsident Nayib Bukele, so Cruz.
Doch anders als noch im Februar 2024, als er mit satter Mehrheit wiedergewählt wurde, obwohl die Verfassung eine Wiederwahl nicht vorsieht, bröckelt der Rückhalt des Mannes, der sich gern als „coolsten Diktator der Welt“ bezeichnet. „Heute haben die Menschen Angst, sich öffentlich zu äußern. Laut den Umfragen ist die Zustimmung auf 55 Prozent gefallen. Doch es könnten auch deutlich weniger sein“, so Ivania Cruz.
Unbegrenzte Wiederwahl möglich
Sie erinnert sich noch gut an die Demo gegen das „Ausnahmeregime“ vom 15. September 2024 – die letzte größere Demonstration gegen den Präsidenten und ein System, das auf der monatlichen Verlängerung des Ausnahmezustands fußt. Der wird regelmäßig seit dem 27. März 2022 verlängert und regelmäßig stimmen dafür die 57 Abgeordneten der Präsidentenpartei „Nuevas Ideas“.
Sie votierten auch am 1. August für eine Verfassungsänderung, die dem Präsidenten eine Wiederwahl ermöglicht. Nicht einmal, sondern unbegrenzt. Für Ingrid Escobar und Ivania Cruz ein weiterer Schritt zur Beerdigung der Demokratie in El Salvador.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kürzungsdebatte im Sozialbereich
Und eure Lösung, liebe Linke?
Krieg in Gaza
Israel tötet Al-Jazeera-Korrespondenten in Gaza
Patriarchale Schönheitsbilder
Unsere Bäuche gehen Euch nichts an!
Neonazi-Angriff in Berlin
Junge Journalist*innen geschlagen und getreten
Noch ein allerletztes Mal
Verlasst diese Institution!
Abschied von Russland
Mütterchen, es ist Zeit zu gehen