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Nach tödlichen Schüssen auf Lorenz A.Ermittlungsbedarf gedeckt

Die Staatsanwaltschaft will die Ermittlungen im Fall des von einem Polizisten erschossenen Lorenz A. abschließen. Dabei fehlt noch ein Gutachten.

Blumen und Kerzen für Lorenz A. in der Oldenburger Achternstraße: Angehörige und Freunde fordern lückenlose Aufklärung Foto: Izabella Mitwollen/dpa

Oldenburg taz | Die Ermittlungen im Fall Lorenz A. nähern sich dem Ende. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg befasst sich mit der abschließenden Bewertung des Sachverhalts, wie sie vergangenen Freitag in einer Pressemitteilung bekanntgab. Die Behörde ermittelt wegen Totschlags gegen den Polizisten, der den 21-jährigen Schwarzen Lorenz A. in der Nacht auf Ostersonntag mit mehreren Schüssen von hinten tötete.

Vorangegangen war eine Auseinandersetzung vor einer Bar in der Oldenburger Innenstadt, an deren Ende A. Pfefferspray eingesetzt haben soll. Anschließend sollen mehrere Personen ihn verfolgt haben. Laut Staatsanwaltschaft soll er ihnen ein Messer gezeigt und wieder eingesteckt haben, um sie abschütteln. Bei seiner weiteren Flucht lief er an einer Polizeistreife vorbei, wobei er Pfefferspray in ihre Richtung gesprüht haben soll. Dann schoss der 27-jährige Beamte.

„Der Beschuldigte und die Nebenklage erhalten nun Einsicht in die Akten und können dazu Stellung beziehen“, erklärt die Behörde. Ein in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten sowie die 3D-Rekonstruktion des Tatortes durch das Landeskriminalamt stünden aber noch aus.

Die Ermittlungen haben ergeben, dass der Polizist aus weniger als vier Metern geschossen haben soll, wie zunächst das Nachrichtenmagazin Der Spiegel unter Berufung auf Ermittlungskreise berichtete. Der Kriminologe Thomas Feltes bestätigt die Information. Er vertritt die Mutter von Lorenz A. und war auch im Fall des vor drei Jahren in Dortmund von der Polizei erschossenen 16-jährigen Mouhamed Dramé Vertreter der Nebenklage.

Der Fall Lorenz A.

Von Polizisten erschossen worden ist Lorenz A. in der Osternacht am 20. April 2025 mitten im Zentrum von Oldenburg.

Lorenz A. wäre am 11. Mai 22 Jahre alt geworden. Er war Schwarz und stadtbekannt als leidenschaftlicher Basketballspieler.

Weil er in eine Disko nicht hineingelassen worden war, hatte sich Lorenz A. in eine Rangelei verstrickt, bei der er Pfefferspray eingesetzt und ein Messer gezückt hatte, bevor er geflüchtet war.

In der Fußgängerzone wird er von der Polizei gestellt, dann von einem 27-jährigen Beamten mit fünf Schüssen von hinten in Kopf, Oberkörper, Hüfte und Bein erschossen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass er die Einsatzkräfte bedroht hätte.

Das niedersächsische Polizeigesetz (§§76-71) erlaubt den Schusswaffengebrauch gegen Personen, nur wenn andere Zwangsmaßnahmen keinen Erfolg versprechen. Auf Flüchtende darf nur geschossen werden, wenn sie wahrscheinlich ein Verbrechen verübt haben oder wenn anzunehmen ist, dass sie mit Schusswaffen oder Sprengstoff bewaffnet sind.

„Diese vier Meter sind irrelevant für die rechtliche Bewertung“, erklärt Feltes. Die weit verbreitete Annahme, dass die Polizei bei Messerangriffen aus weniger als sieben Metern aus Eigenschutz schießen müsse, habe keine Grundlage und finde ohnehin keine Anwendung, da Lorenz A. die Polizisten nicht mit einem Messer angegriffen hat. „Es kommt darauf an, wie sich die Dynamik in der konkreten Situation abgespielt hat“, betont Feltes. Nur so könne entschieden werden, ob der Polizist in Notwehr gehandelt habe oder nicht.

Nebenklage sieht eine Parallele zum Fall Dramé

Die Nebenklage hat laut Feltes seit einer Woche Akteneinsicht, diese sei jedoch nicht vollständig: „Wir konnten die Auswertung des Handys des Schützen noch nicht einsehen.“ Das folge in den nächsten Tagen. „Das Handy wurde erst fast drei Tage nach der Tat sichergestellt“, kritisiert Feltes und sieht in der Verzögerung eine Parallele zum Fall Dramé.

Daneben steht das 3D-Gutachten zur genauen Rekonstruktion des Tatorts zum Zeitpunkt der Schussabgabe weiter aus. „Das halten wir für relativ wichtig.“ Im Fall Dramé sei ebenfalls ein solches Gutachten erstellt worden, das im Hauptverfahren jedoch nicht berücksichtigt worden sei. „Meine Befürchtung ist, dass die Staatsanwaltschaft das 3D-Gutachten umgehen will“, so Feltes.

Nach Einschätzung der Nebenklage könne eine abschließende Bewertung des Falls deshalb noch nicht erfolgen: „Wir halten eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft für verfrüht, solange das Gutachten nicht vorliegt.“

Die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ fordert unterdessen weiter die lückenlose Aufklärung des Falls und Maßnahmen gegen Rassismus in der Polizei. Sie kritisiert, dass die Polizisten vor der Schussabgabe ihre Bodycams nicht eingeschaltet haben und dass die benachbarte Polizei Delmenhorst die Ermittlungen führt. Die Initiative setzt sich für eine externe Kontrolle der Polizei ein.

Innenministerin spricht von „befremdlicher Debatte“

Gegenüber der NWZ bezeichnete die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) diese Debatte als „befremdlich“. Sie sprach sich gegen eine unabhängige Ermittlungsstelle aus. „Bei aller Tragik des Falles und bei aller Betroffenheit“ werbe sie dafür, „dass man die Polizei und den Rechtsstaat nicht diskreditiert.“

Dass es keinen strukturellen Rassismus in der Polizei gebe, zeige laut Behrens unter anderem, dass die Polizei Niedersachsen eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie zu Diskriminierung in der Polizeiarbeit in Auftrag gegeben hatte. Die Autorin der Studie, die Professorin an der Niedersächsischen Polizeiakademie Astrid Jacobsen, erklärte im Interview mit der taz allerdings, dass es sehr wohl Rassismus in der Polizei gebe. Und sie hat eine konkrete Forderung: eine unabhängige Beschwerdestelle mit Ermittlungskompetenz.

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