piwik no script img

Alltag als FrauCatcalling nervt!

Sexistisches Verhalten führt dazu, dass unsere Autorin misstrauischer geworden ist. Dabei würde sie Männern gerne unvoreingenommen begegnen.

Nächtliche Unterführung: „Es sind Abläufe, die wie mechanisch in Gang gesetzt werden, wenn ich nachts alleine unterwegs bin“ Foto: Frank Baquet/plainpicture

M änner kommen zu nah, Männer grapschen, Männer masturbieren in der U-Bahn, Männer verfolgen einen bis zur Endstation. Nichts Neues, man hat sich schon fast daran gewöhnt. Auch an den Frust, daran nichts ändern zu können – deshalb müssen neue Strategien her.

Auf der Treppe zur S-Bahn kommt mir ein Mann entgegen. Es ist spät am Abend, wir sind allein. Es gibt verschiedene Arten von Blicken. Zufällige, freundliche. Und dann gibt es noch diese andere Art Blicke, die der Mann mir jetzt zuwirft. Seine Augen scannen meinen Körper, dann grinst er.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Kleidung fühlt sich auf einmal fremd auf meiner Haut an. Saß mein Rock die ganze Zeit schon so tief? Ist mein Top zu knapp? Ich trage keinen BH, verschränke die Arme vor der Brust. Die Treppe kommt mir endlos lang vor. Das komische Bauchgefühl täuscht einen fast nie: Ein paar Stufen vor mir wird er langsamer. Dann bleibt er stehen und spricht mich an.

Ich stumpfe nicht ab, wenn es um Catcalling geht. Ich werde empfindlicher. Früher war ein Anmachspruch nur ein Anmachspruch. Kurz nervig, schnell wieder vergessen. Ich habe dagegengehalten, Männer zurechtgewiesen, wenigstens sarkastisch gekontert. Jetzt rast mein Herz. Ich habe keine Kraft mehr, zu kontern. Stattdessen halte ich die Luft an, schalte in den Abwehrmodus: Ignorieren, weitergehen. Hoffen, dass er es auch tut.

Es sind Abläufe, die wie mechanisch in Gang gesetzt werden, wenn ich nachts alleine unterwegs bin. Nicht lächeln, kein Blickkontakt, die Straßenseite wechseln. Den Bahnsteig scannen, dann die einfahrende Bahn. Männergruppen? Bloß nicht. Neben wen setze ich mich? Wer sieht am wenigsten betrunken aus? Auf den letzten Metern bis zur Haustür Schlüssel in die Hand, Kopfhörer nur auf einer Seite.

Ich will mich sicher fühlen dürfen

Stelle ich damit Männer unter Generalverdacht? Ja, ein bisschen schon. Natürlich weiß ich, dass die meisten Männer mir nichts Böses wollen. Aber ich weiß auch, dass nicht alle Menschen Einbrecher sind, und schließe trotzdem meine Wohnung ab. Ich bin nicht allein mit dem Gefühl, mich schützen zu wollen.

Bei Uber kann man in einigen Großstädten jetzt die Option „Women Drivers“ wählen, um nicht von einem Mann nach Hause gefahren zu werden. Letztes Jahr haben Berliner Grüne Frauen-Abteile in der U-Bahn gefordert. In ausgewiesenen Waggons sollen zu bestimmten Uhrzeiten Männer nicht mitfahren dürfen.

Ist das die Lösung? Sich einfach abschotten von der „Bedrohung Mann“?

Natürlich nicht. Ich will mich nicht erst dann sicher fühlen dürfen, wenn ich in einem Waggon auf einem rosa Polster sitze. Mehr noch, ich will mich nicht schon aus fünf Metern Entfernung auf eine mögliche Grenzüberschreitung vorbereiten. Mich nicht fragen, ob der Mann mir gleich folgt, wenn ich ihn abweise. Viel lieber will ich wieder offen sein, gutgläubig. Aber zu oft hat sich ein mulmiges Gefühl bestätigt, zu oft ist vermeintliche Paranoia wahr geworden.

Ein Anmachspruch ist eben oft nicht nur ein Anmachspruch. Und dabei ist es fast egal, ob mich jemand auf der Straße Schlampe oder Schöne nennt. Jeder dieser Momente wirft mich in eine Realität, in der ich nicht leben will. Eine, in der ich Objekt bin. In der ich bewertet und irgendwie auch entmenschlicht werde.

Also halte ich weiter an meinen Strategien fest. Lächle lieber einmal weniger. Bin kühl zu jemandem, der es vielleicht nett gemeint hat. Vielleicht verpasse ich damit eine schöne Begegnung. Aber vielleicht schütze ich mich so auch vor einem Übergriff oder blöden Spruch, wie damals auf der Treppe. Misstrauen ist keine Anklage, sondern Selbstverteidigung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wichtiger und in seiner bedrückenden Eindringlichkeit erschreckender Artikel, dennoch Dank dafür, denn zu 99% ist er auch meine Realität. Männer sind sich gar nicht bewusst, inwiefern sie übergriffig und Täter sind und oftmals von Frauen als Gefahr gescannt werden, der es aus dem Weg zu gehen gilt. Ich vermisse ein bisschen die Corona Zeiten als alle auf Abstand gingen und beim Anstehen vor der Bustür sich keine widerlich schwitzende Hand über meine legte wenn ich mich an der Haltestange festhielt oder beim Sitzen auf den U-Bahn Bänken die Enge genutzt wurde, um an meinem Schenkel rumzugrabbeln. Und selbst wenn das optische Erscheinungsbild derart antifeminin und unscheinbar gestaltet wird bewahrt frau das nicht vor den Hardcore Widerlingen: die auf der Straße entgegen kommen, ihren Blick abwechseln zwischen Augen und meinem Schritt taxierten um in dem Moment an dem wir uns kreuzen hörbar schnaufen einatmen dass Hannibal Lecter vor Stolz erblasst wäre.