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Gewalt bei Protesten in SerbienAuf dem Weg in die serbische Diktatur

Kommentar von Krsto Lazarević

Das System Vučić hat den Rückhalt in der Bevölkerung verloren und greift zu brutalen Methoden – mit Spezialeinheiten, Parteischlägern und Rachepornos.

Serbische Polizeikräfte auf den Straßen Belgrads am 13. August Foto: Djordje Kojadinovic/rtr

D er serbische Präsident Aleksandar Vučić geht mit massiver Gewalt gegen die seit neun Monaten andauernden Proteste vor. Zunächst setzte er darauf, dass den Demonstrierenden die Luft ausgeht. Doch die Proteste im ganzen Land hören nicht auf und mit ihnen die Forderung nach Neuwahlen, die Vučić trotz der üblichen Wahlbetrügereien verlieren könnte.

Damit droht sein ganzes korruptes System, das den Staat gekapert hat, wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Statt auf Forderungen einzugehen, versucht er sich mit nackter Gewalt an der Macht zu halten und treibt Serbien in Richtung Diktatur. Die Demonstrierenden bezeichnet er inzwischen als ‚Terroristen‘ – womit so gut wie jedes Vorgehen gegen sie gerechtfertigt wird.

Wie brutal dieses Vorgehen werden kann, musste die Jurastudentin Nikolina Sinđelić am 14. August am eigenen Leib erfahren. Sinđelić wurde von Spezialeinheiten in eine Garage verschleppt und berichtet, dort vom Leiter der Einheit misshandelt worden zu sein. Er habe sie als „Hure“ beschimpft, an ihren Haaren gezogen, ihren Kopf mehrfach gegen die Wand geschlagen und ihr vor den anderen Einsatzkräften mit Vergewaltigung gedroht.

Die Garage, in die sie verschleppt wurde, war nicht ­irgendeine Garage, sondern die des Sitzes der serbischen ­Regierung in der ­Nemanjina-Straße. Der prügelnde Polizist war ebenfalls kein ­gewöhnlicher Beamter, sondern Marko Kričak, Leiter der Spezialeinheit JZO und enger Vertrauter von Präsident Aleksandar Vučić.

Persönliche Leibgarde

Die eigentliche Aufgabe der JZO besteht im Schutz von Staatsfunktionären, öffentlichen Gebäuden und ausländischen Diplomaten. In der jüngeren Vergangenheit wurde die Einheit jedoch nicht nur von 300 auf 1.250 Mann aufgestockt, sondern wandelte sich zunehmend zu einer Leibgarde von Vučić.

Vučić hat sich eine eigene Prügelgarde aufgebaut, weil er befürchtet, dass die „normalen“ Polizisten ihn und sein Vorgehen nicht mehr stützen. Er weiß, was passiert, wenn die Sicherheitskräfte nicht mehr hinter dem Regime stehen: Am 5. Oktober 2000 stürzte der serbische Diktator Slobodan Milošević – und mit ihm sein damaliger Propagandaminister – ein gewisser Aleksandar Vučić.

Für Nikolina Sinđelić endeten die Angriffe auf ihre Würde nicht, als sie die Garage verließ. Nach dem Vorfall wurden private und intime Fotos von ihr verbreitet. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war sie minderjährig. Ein Fall von Rachepornografie. Verbreitet wurde das Material von Dijana Hrkalović, ehemals Staatssekretärin im Innenministerium, die es mit abfälligen Kommentaren weitergab.

Der Chefredakteur des regierungsnahen Senders „Informer“, Dragan J. Vučićević, zeigte das Material sogar live in seiner Sendung und äußerte dabei misogyne und abfällige Kommentare – auch er gilt als enger Verbündeter von Vučić.

Solidarität für Nikolina Sinđelić

Nikolina Sinđelić kündigte an, Strafanzeige gegen Marko Kričak, weitere Mitglieder der JZO sowie Dijana Hrkalović, einzureichen. Vor dem Gebäude der JZO fand eine Demonstration unter dem Motto „Wir sind alle Nikolina“ statt. Ihr Fall wurde in Serbien zum Symbol dafür, wozu das System Vučić bereit ist, um sich an der Macht zu halten.

Ein Großteil der Gewalt geht derzeit jedoch nicht von Männern in offiziellen Uniformen aus, sondern von regierungsnahen Schlägertrupps. Mit Strafverfolgung haben sie nicht zu rechnen. Wenn sie auf Menschen einprügeln, steht die Polizei daneben und unternimmt nichts. Selbst wenn einmal jemand strafrechtlich verfolgt wird, kann man auf die Gnade des Präsidenten hoffen. Erst kürzlich begnadigte Vučić eine Gruppe parteinaher Schläger, gegen die ein Prozess lief, weil sie einer Studentin mit einem Baseballschläger den Kiefer gebrochen haben. Der Schlägertrupp rannte dabei direkt aus der Parteizentrale der Regierungspartei SNS heraus – die bis heute mit der Europäischen Volkspartei assoziiert ist, zu der auch CDU und CSU gehören.

Von der EU ist nicht zu erwarten, dass sie ihre selbsterklärten Werte im Beitrittskandidatenland Serbien verteidigt. Der österreichische Bundeskanzler Christian Stocker war vergangene Woche in Belgrad und lobte Serbien für seine Fortschritte auf dem Weg zur EU. Für viele Serbinnen und Serben klingt das ähnlich grotesk wie die Beiträge, mit denen sie aus den regierungsnahen Boulevardsendern bombardiert werden. Paramilitärische Parteischläger prügeln durch auf friedliche Demonstrierende, Frauen erfahren sexualisierte Gewalt durch Spezialeinheiten, das Land droht in die Diktatur zu rutschen, und da steht der österreichische Bundeskanzler und erzählt etwas von Fortschritten auf dem Weg zum EU-Beitritt? Geht’s noch?

Da darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen in Serbien die EU im besten Fall für ahnungslos, im schlimmsten für eine Kollaborateurin des Re­gimes halten, das sie unterdrückt, demütigt und gegen das sie zu Recht aufbegehren.

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