Pläne von Wirtschaftsministerin Reiche: Neue Gaskraftwerke sind flexibel, aber zu teuer
Elektrizität aus Gas ist derzeit nicht rentabel. Dennoch setzt die Koalition auf den Neubau vieler Anlagen. Überdimensioniert, finden Fachleute.

Dummerweise hat die Sache einen Haken: Im ersten Halbjahr 2025 deckten die Erneuerbaren mehr als 60 Prozent des deutschen Strombedarfs, besonders die Photovoltaik legte rasant zu. Und weil ja immer auch noch Kohlekraftwerke laufen – in der vergangenen Woche produzierten sie tageweise hinter der Sonnenkraft auf Platz zwei 23 Prozent des deutschen Stroms –, laufen die Gasturbinen nur selten.
Um sich wirtschaftlich zu rentieren, müssen Gaskraftwerke wenigstens 4.000 Betriebsstunden volle Last fahren – also so viel wie möglich Strom produzieren. Weil die Erneuerbaren aber Einspeisevorrang – also Vorfahrt ins Netz – besitzen und die Kohlekraftwerke oft schwer zu verdrängende Brocken in der Stromproduktion sind, schaffen die Gasturbinen keine 2.500 Volllaststunden im Jahr.
„Was halb so oft läuft, ist im Betrieb doppelt so teuer“, sagt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Dazu kämen die hohen Rohstoffkosten: „Bei Braunkohle liegen die bei 1 Cent pro Kilowattstunde, bei Erdgas bei 6 Cent“. Dazu kämen die Betriebskosten der Kraftwerke und schließlich auch noch die Kosten des Emissionshandels. „Solarstrom gibt es aber schon ab 5 Cent je Kilowattstunde“.
Wie viel Strom braucht Deutschland in Zukunft? Das soll ein Energie-Monitoring zeigen, das Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nach der Sommerpause vorlegen will. Das betraute Institut lässt Böses ahnen. Warum das die Energiewende gefährdet.
Investoren halten sich zurück
Das macht deutlich, dass sich neue Gaskraftwerke gar nicht wirtschaftlich betreiben lassen, weshalb sich Investoren zurückhalten. In den vergangenen zehn Jahren waren Neubauprojekte rar, in Wolfsburg wurde das Kraftwerk West bis 2022 erneuert, an dem auch das VW-Werk hängt. In Baden-Württemberg gibt es in Heilbronn einen Neubau, der 2026 in Betrieb gehen soll. In Bayern liefert seit 2023 ein Block 6 am Standort Irsching im Bedarfsfall Strom, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete ihn als „Airbag im Energiesystem“.
„Wirtschaftlich betreiben lassen sich solche Gaskraftwerke aber derzeit nur mit Subventionen“, wie Quaschning erklärt: Bezahlt wird das Kraftwerk nicht für den gelieferten Strom, sondern dafür, dass es im Ernstfall Strom liefert, „ein Kapazitätspreis für’s Dasein“. Der allerdings verteuert den Strom weiter, was die Bundesregierung ja eigentlich bekämpfen will.
Trotzdem hat sich die schwarz-rote Koalition in den Koalitionsvertrag geschrieben, in den nächsten fünf Jahren Gaskraftwerke „von bis zu 20 Gigawatt“ Leistung bauen zu wollen. Dem widersprach die Bundeswirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche in ihrer ersten Regierungserklärung: „Versorgungssicherheit first!“ Die Regierung müsse „mindestens 20 Gigawatt Gaskraftwerke“ ausschreiben, nur so ließen sich in Zukunft „bezahlbare Preise“ sicherstellen. Ihr Argument: Mehr Angebot mindert den Strompreis.
Aber das ist Quatsch: Energieökonom Matthias Mier vom Ifo-Institut spricht von „Nonsens“, mit der energiepolitischen Realität habe diese Politik „überhaupt nichts zu tun hat.“ Eben weil neue Gaskraftwerke derzeit den teuersten Strom liefern, führen mehr Gaskraftwerke zu steigenden Strompreisen, warnt auch Sebastian Bolay von der Industrie- und Handelskammer: „Intern rechnen wir mit ein bis zwei Cent die Kilowattstunde“, sagte er dem MDR. „Derart viele neue Gaskraftwerke sind überdimensioniert und teuer“, urteilt auch die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW. Der Plan schaffe „gefährliche fossile Pfad-Abhängigkeiten und erhöht den Strompreis“.
„Gaslobby will noch einmal richtig Geld verdienen“
„Funktionieren kann der Plan nur, wenn sich neue Gaskraftwerke nicht über den Markt refinanzieren müssen“, sagt Quaschning. Beispielsweise könnten sie aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTS) finanziert werden, „was Wahnsinn wäre, denn so werden Gelder aus dem Sondervermögen verballert, die eigentlich dazu da sind, um das deutsche Klimaziel zu erreichen“.
Aber warum sollte ausgerechnet die CDU, die Partei der Marktwirtschaft, solch eine staatliche Subventionspolitik betreiben? Quaschning: „Weil die Gaslobby noch einmal richtig Geld verdienen will und Zugang zu Ministerin Reiche besitzt“. Vor ihrer Zeit als Ministerin war die CDU-Politikerin selbst Lobbyistin – nämlich Vorsitzende des Verbandes Kommunaler Unternehmer. Denen hatte die Gaslobby seinerzeit viele Gaskraftwerke aufgeschwatzt.
Eine Studie im Auftrag der Klima-Union kam zu dem Schluss, dass 20 Gigawatt Leistung aus Erdgaskraftwerken viel zu viel seien, um Lücken in der Stromversorgung zu stopfen. In der Klima-Union sind Fachpolitiker von CDU und CSU organisiert, die sich für den Klimaschutz einsetzen.
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