Bonner OB über Kinder in Gaza: „Genau das finde ich zynisch“
Die Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner will Kinder aus Gaza aufnehmen. Die Grüne ärgert der Vorwurf, damit Wahlkampf zu machen.
taz: Frau Dörner, UNO-Expert:innen konstatieren, im nördlichen Gazastreifen und damit auch in Gaza-Stadt bedrohe heute eine Hungersnot Hunderttausende Menschen. Kennzeichen davon seien „Verhungern, Elend und Tod“. Sie wollen helfen. Wie?
Katja Dörner: Die Lage in Gaza ist seit Langem dramatisch. Auf Initiative des Oberbürgermeisters von Hannover, Belit Onay, habe ich mich zusammen mit Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller und mit meinen Amtskollegen aus Leipzig und Kiel gefragt: Was können wir als Städte tun?
Wir haben deshalb schon Anfang August angeboten, verletzten, traumatisierten und hungernden Kindern aus Gaza – und selbstverständlich auch aus Israel – in unseren Städten einen sicheren Aufenthalt und Hilfe zu bieten. Diese humanitäre Hilfe ändert selbstverständlich nichts an der grundlegenden Forderung an die Hamas, alle israelischen Geiseln unmittelbar freizulassen und so die Grundlage für eine dauerhafte Lösung im Nahen Osten zu ermöglichen.
taz: Mit welcher Reaktion?
Katja Dörner
49, ist seit 2020 Oberbürgermeisterin von Bonn. Davor war die Grüne ab 2009 Mitglied des Bundestags – seit 2013 als stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Dörner ist Vizepräsidentin des Deutschen Städtetags und seit 2013 Teil des Vorstands des Deutschen Kinderhilfswerks.
Dörner: Wir haben dem Auswärtigen Amt unser Angebot unterbreitet. Bisher haben wir aber noch keine Antwort auf unser Schreiben. Allerdings gab es zunächst eine sehr abwehrende Reaktion vonseiten einer Staatsministerin, die das rundweg abgelehnt hat – aus meiner Sicht mit recht zynischen Argumenten.
taz: Sie spielen auf die Staatsministerin Serap Güler von der CDU an. Sie lehnte Ihre Initiative ab und kommentierte mit dem Hinweis auf die anstehenden Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen: Die Idee sei lediglich „nett für den Wahlkampf oder um damit punkten zu wollen“ …
Dörner: Genau das finde ich zynisch – schließlich findet in Hannover, Leipzig und Kiel überhaupt kein Wahlkampf statt. Als Städte haben wir uns angesichts der schrecklichen Situation in Gaza gefragt: Wie können wir helfen? So wie wir es etwa auch für Menschen aus anderen Krisenregionen, wie etwa der Ukraine, machen.
taz: Wie soll Ihre Hilfe denn konkret aussehen?
Dörner: Wir bereiten uns auf unterschiedliche Szenarien vor – etwa auf schwer verletzte Kinder, die medizinische Versorgung brauchen. Das können Kinder sein, die allein nach Deutschland kommen. Aber natürlich sollten wir uns auch darauf vorbereiten, dass sie von Angehörigen begleitet werden.
taz: Und wie sollen die Kinder aus Gaza nach Deutschland kommen?
Dörner: Dazu gibt es eingespielte Verfahren, mit denen mehrere Städte auch schon Kinder aus anderen Krisenregionen aufgenommen haben. Wenn die Bundesregierung bereit ist, unsere Initiative mitzutragen, wird sie konkret entscheiden, wer wann in die Bundesrepublik einreisen darf. Das können wir als Städte nicht festlegen.
taz: Wie reagieren die Bürger:innen in Bonn auf Ihren Vorschlag?
Dörner: Die Zustimmung ist sehr groß. Es gibt eine große Bereitschaft, gerade Kindern, die in einer kriegerischen Auseinandersetzung immer die schwächsten Opfer sind, zu helfen. Es wird aber nachvollziehbar gefragt, wie viele Kinder eine Stadt aufnehmen kann. In Bonn gehen wir von zunächst zehn Kindern aus – das überfordert unsere Strukturen sicherlich nicht, wie es durchaus einige Bürger befürchten. Es gibt aber sogar Bonner Familien, die anbieten, Kinder privat aufzunehmen. Dieser Zuspruch ist sehr ermutigend und sicherlich auch ein wichtiges Zeichen an die Menschen in Bonn, die um ihre Angehörigen in Gaza bangen.
taz: Zehn Kinder – das klingt angesichts des Leids in Gaza nach sehr wenig. Hat CDU-Staatsministerin Güler nicht doch recht, wenn sie Ihnen, aber auch dem christdemokratischen Rathauschef von Düsseldorf vorwirft, lediglich auf Stimmen im NRW-Kommunalwahlkampf zu schielen?
Dörner: Hätte ich die Initiative von Belit Onay, der in Hannover 20 Kinder aufnehmen will, nicht unterstützen sollen, weil in NRW Wahlkampf ist? Diese Frage habe ich mir nicht gestellt. Stattdessen habe ich mich gefragt: Finde ich Hilfe für Kinder aus diesem Kriegsgebiet richtig und wichtig? Für mich war es deshalb selbstverständlich, ebenfalls ein Hilfsangebot zu machen. Ich habe auch umgehend die Vorsitzenden der Bonner Ratsfraktionen informiert, und auch mein Gegenkandidat von der CDU hat das Angebot an die Bundesregierung sofort öffentlich unterstützt.
taz: Aber noch mal: Ist die Hilfe, die Sie anbieten, nicht viel zu klein?
Dörner: Zehn Kinder: Das ist eine Zahl, die wir nach Rücksprache mit der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch mit Blick auf die medizinische Versorgung direkt aufnehmen können. Natürlich sage ich nicht, das ist das Maximum – aber die Zahl zehn steht für einen ersten Schritt, den wir hier in Bonn unmittelbar umsetzen können.
taz: Gibt es weitere Städte, die helfen wollen?
Dörner: Öffentlich noch nicht. Ich weiß aber, dass in Städten mit politisch ganz unterschiedlicher Stadtspitze überlegt wird, sich unserer Initiative anzuschließen. Wir diskutieren, wie wir die Hilfe auf noch breitere Füße stellen können.
taz: Trotzdem bleibt der Eindruck, dass das kategorische Nein von Staatsministerin Güler Wirkung zeigt. Düsseldorfs CDU-Oberbürgermeister Stephan Keller etwa will sich aktuell gar nicht mehr zu der Hilfsinitiative äußern.
Dörner: Ich habe derzeit keinen Einblick, wie das Thema in der Bundesregierung beraten wird.
taz: Das heißt?
Dörner: Wir Städte warten noch auf eine Antwort auf unser Schreiben von Anfang August. Ich deute das positiv: Das ist noch in der Diskussion. Klar ist aber, dass es angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Lage in Gaza einen großen Wunsch der Bürger:innen gibt, zu helfen.
taz: Aktuell gibt es aber keine konkreten Gespräche mit der schwarz-roten Bundesregierung? Da kommt wirklich gar nichts?
Dörner: Aktuell gibt es keine Antwort – auch nicht an Belit Onay in Hannover, der die Initiative gestartet hat. Ich freue mich aber, dass auch Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Olaf Lies sich mit einem eigenen Schreiben an die Bundesregierung gewandt hat, in dem er die Hilfsinitiative unserer Städte ausdrücklich unterstützt.
taz: Was fordern Sie jetzt von der Bundesregierung?
Dörner: Mein Wunsch ist, dass der Bund schnell Kontingente festlegt, Einreisemöglichkeiten schafft – und uns Städten damit die Chance gibt, unserer Hilfsangebot umzusetzen.
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