Regierungskrise in den Niederlanden: Interims-Minister:innen dringend gesucht
In den Niederlanden spitzt sich die anhaltende Regierungskrise zu. Nach dem Rückzug des Nieuw Sociaal Contract hat die Regierung nun ein Personalproblem.

Eddy van Hijum, Vizepremier sowie Minister für Arbeit und Soziales, Innenministerin Judith Uitermark, Bildungsminister Eppo Bruins und Gesundheitsministerin Daniëlle Jansen folgten Veldkamp wenig später, ebenso vier Staatssekretär:innen. König Willem-Alexander bestätigte die Entlassungen am Samstag. Dick Schoof, der parteilose Premierminister, nannte den Schritt am Wochenende „unverantwortlich, und das ist noch vorsichtig ausgedrückt“.
Veldkamp, ehemals Botschafter in Tel Aviv und Athen, stand wegen der Position der Regierung zum Gazakrieg schon länger unter Druck. Denn das Parlament fordert Sanktionen gegen die israelische Regierung, zuletzt bei einer Debatte am Donnerstag. Veldkamp sagte Sanktionen zu, fand im Kabinett aber nicht den nötigen Rückhalt. Er werde in seinem Spielraum beschränkt, sodass er nicht den Kurs einschlagen könne, den er für nötig halte, erklärte er nach seinem Rückzug frustriert.
Für insgesamt neun Positionen wird eine Nachfolge gesucht
Zwei Monate vor den Neuwahlen des Parlaments hat sich die anhaltende Regierungskrise in Den Haag nun also noch einmal verschärft. Die linksliberale Tageszeitung Volkskrant zitierte eine anonyme Quelle aus dem Umfeld der Regierung, die von „Chaos“ spricht, der rechte Telegraaf eine andere, die die Situation „absurd“ nennt. Im volatilen politischen Betrieb der Niederlande kommt es regelmäßig vor, dass eine Koalition vorzeitig scheitert. Dass die übriggebliebene Rumpf-Regierung quasi ein zweites Mal fällt, ist dagegen ein Novum. Dies zeugt neben der tiefen Spaltung wegen des Gazakriegs auch von einer anhaltenden Legitimationskrise.
Mona Keijzer, Vizepremierministerin
Die in der Koalition verbliebenen liberal-rechte Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) und BoerBurgerBeweging (BBB) kamen bei der letzten Parlamentswahl im Herbst 2023 zusammen gerade einmal auf 20 Prozent der Stimmen. In Umfragen schwankt dieser Wert derzeit zwischen 15 und 18 Prozent. Angesichts des seit Jahren niedrigen Vertrauens weiter Teile der Bevölkerung in die Politik ist dies eine schwere Hypothek, auch im Hinblick auf voraussichtlich schwierige Koalitionsverhandlungen, die sich weit ins nächste Jahr ziehen dürften.
Am nächsten Mittwoch wird das Parlament über die Situation debattieren. Zuvor wollen sich die verbliebenen Regierungsparteien darüber einigen, wie sie ihre zurückgetretenen Kolleg:innen ersetzen können. Für insgesamt neun Positionen wird eine Nachfolge gesucht, interimsmäßig und zugleich mit offenem Ende. Der TV-Sender NOS zitiert Vizepremierministerin Mona Keijzer: „Die Ehrlichkeit gebietet es zu sagen: Wer springt so kurz vor den Wahlen ein?“
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