Eröffnungsstück der Ruhrtriennale: Ein lahmer Lars Eidinger in Watertown
Das Festival war mal ein Fixstern am Theaterhimmel. Dieses Jahr eröffnet es mit Ivo van Hoves Musiktheater „I Did It My Way“. Reichen die guten Songs?
Die Eröffnung der Ruhrtriennale war einmal ein glanzvolles Ereignis. Mit abnehmender Relevanz des einstigen Leuchtturm-Festivals, dessen Gründungsideen schon längst nicht mehr neu sind, ist das Projekt auf eher regionales Interesse geschrumpft. Immerhin, die große Landespolitik lässt sich noch sehen bei der Eröffnung, was dazu führt, dass sich der Beginn der Vorstellung um eine halbe Stunde verzögert. Kein gutes Omen für den Abend.
Denn schleppend geht es weiter. Bühnenbildner Jan Versweyveld hat für „I Did It My Way“ von Regisseur und Triennale-Intendant Ivo van Hove ein großes, weißes, einstöckiges Haus in die Jahrhunderthalle gewuchtet, am Boden davor sind spiegelnde Ölpfützen aufgeklebt, rechts steht eine riesige, kalt leuchtende Straßenlaterne. Man denkt sofort an Edward Hopper und seine Bilder der amerikanischen Tristesse und Leere, auf dem Dach sitzt halb versteckt die kammermusikalisch geschrumpfte Version einer Bigband.
Dann entert Lars Eidinger die Bühne, brav gekleidet in Hemd und Bundfaltenhose, und singt „Old Watertown, nothing much happenin’“, die ersten Zeilen des Songs „Watertown“, der Titelsong von Frank Sinatras gleichnamigem Konzeptalbum, dessen Pop-Songs von einem einfachen Mann erzählen, dessen Frau ihn und die Kleinstadt Watertown verlassen hat.
Eidinger singt in tiefer Lage und versucht glücklicherweise gar nicht erst, wie Frank Sinatra zu klingen. Der Schauspielstar, der mit seiner magnetischen Präsenz mühelos jede Bühne und Kinoleinwand füllt, wirkt seltsam unsicher. Sein Englisch klingt sehr deutsch, er bewegt sich zögernd, als wüsste er nicht so recht, wie man das macht, auf der Bühne stehen und singen, und das Gesungene mit wahrhaftiger Körpersprache zu beglaubigen.
Es liegt an der Inszenierung
Dieser verhaltene Beginn folgt natürlich einem Plan: Van Hove will mit Popsongs von Sinatra und Nina Simone die Geschichte eines weißen Mannes erzählen, der von seiner Schwarzen Frau verlassen wird, die hinausgeht in die Welt, sich emanzipiert und sich ihrer Identität als Schwarze Frau stellt. Zurück bleibt der weinerliche Mann.
Keine Traumrolle für den flamboyanten Eidinger, der nun als depressiver Trauerkloß herumlungern muss, obwohl er sonst ja durchaus ein Händchen für gebrochene Charaktere hat. Dann kommt Larissa Sirah Herden dazu, sie spielt und singt sein Gegenüber, die Frau, die ihn verlässt. „Everything Must Change“ singt sie, ungleich treffsicherer im Gesang und Auftritt als Eidinger, aber das passt ja wieder zum Plan des Regisseurs, den weißen Mann alt aussehen zu lassen neben der sich empowernden Frau.

Aber auch die charismatische Sängerdarstellerin bewegt sich erst mal wenig, sie geht auf und ab, sie geht ins Haus, kommt wieder heraus, schaut aus dem Fenster, wirft Kleider auf die Straße, zieht ein Rollo hoch, dann wieder runter. Ist der Song zu Ende, tritt sie ab. Und dann kommt wieder Eidinger und singt. So geht das eine Weile, wie in einem dekorierten Konzert oder einer etwas traurigen Revue.
Bis endlich Bewegung in die Sache kommt, als sich vier Tänzerinnen und Tänzer des Faso Danse Théâtre hinzugesellen, zwei Tänzerinnen (Ida Faho, Sylvie Sanou) als Begleiterin von Herden und zwei Tänzer (Marco Labellarte, Samuel Planas) für Eidinger. Serge Aimé Coulybaly hat die Choreografie besorgt, zu Eidingers „A Man Alone“ wälzen sich die beiden Tänzer zunächst in konvulsivischen Zuckungen am Boden, während das Frauen-Duo zupackend-kraftvoll zunehmend Musical-Laune verströmt.
Langsam nimmt das Stück Fahrt auf
Allmählich wächst das Ganze zusammen, es gibt Szenen, wenn alle sechs tanzen – Eidinger und Herden immer in artistisch abgespeckter Version – und dazu gesungen wird, die an die Jets- und Sharks-Formationen aus der „West Side Story“ erinnern. Die dramaturgische Funktion der getanzten Doubles bleibt aber dürftig, denn sie illustrieren nur, was von den beiden Hauptpersonen gesungen wird. Ohne sie freilich wäre immer noch herzlich wenig los auf der Bühne.
Immerhin gewinnt der Abend an Tempo. Das weiße Haus wird zwischendurch zur Projektionsfläche für Videos, man blickt zuerst in die Zimmer hinein, später sieht man historische Aufnahmen von Rassenunruhen in den USA, Reden von Martin Luther King werden eingeblendet, seine Beisetzung. Eidinger singt den Titelsong des Abends, das ikonische „I Did It My Way“ in einer instrumental abgespeckten und tiefer gelegten Version, es klingt wie ein Dementi des trotzigen Pathos von Sinatras Original.
Larissa Sirah Herden macht mit Nina Simones „Why? (The King of Love Is Dead) einen showtauglichen Ausflug ins Publikum, die brave Frisur und das weiße Hausfrauenkleidchen vom Beginn hat sie längst ausgetauscht mit einem sexy Minikleid und krauser Afro-Frisur.
Festival der Künste. Bis 21.09.2025. Mehr Infos unter: https://www.ruhrtriennale.de/de
Den letzten Teil des Abends beginnt sie mit „A Single Woman“, es folgt eine Wiederannäherung des getrennten Paares, aber nach der finalen Wiederholung von „I Did It My Way“, diesmal höher gelegt und im Arrangement (Henry Hay) deutlich näher am Original, gehen beide in verschiedene Richtungen ab. Freundlicher, aber enden wollender Applaus und ein paar Buhs für die Regie und einen matten Festival-Auftakt.
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