Umsatzrückgänge und Stellenabbau: Autoindustrie killt 50.000 Jobs in einem Jahr
Deutsche Kfz-Hersteller schwächeln – und sparen am Personal, zeigt eine EY-Studie. Dabei gäbe es Alternativen zu Streichungen, sagen Aktivist:innen.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Beratungsgesellschaft EY, die am Dienstag veröffentlicht wurde. Grundlage der Analyse sind Daten des Statistischen Bundesamtes.
Demnach machten die deutschen Industrieunternehmen im zweiten Quartal dieses Jahres 2,1 Prozent weniger Umsatz als im gleichen Zeitraum vor einem Jahr. Nur die Elektroindustrie konnte höhere Umsätze verbuchen. Alle anderen großen Branchen verzeichneten Umsatzrückgänge. In der Autoindustrie sanken die Umsätze im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,6 Prozent.
Ein Hauptgrund für die Zahlen: der Handelsstreit mit der US-Regierung unter Donald Trump. „Der massive Rückgang der Exporte in Richtung USA hat die deutsche Industrie zuletzt empfindlich getroffen“, sagt Jan Brorhilker, leitender Gesellschafter bei EY. Trump hatte in den vergangenen Monaten hohe Zölle auf Produkte aus der Europäischen Union verhängt. Für Autos aus europäischer Produktion gilt in den USA seitdem ein Zollsatz von 27,5 Prozent – die EU versucht aber noch, ihn rückwirkend auf 15 Prozent zu senken.
Autobauer kämpfen mit Konkurrenz aus China
Außerdem schwächeln gerade die Autohersteller in Deutschland auf dem chinesischen Markt, der deutschen Marken in der Vergangenheit stets hohe Absätze versprach. Inzwischen aber setzt China konsequent auf E-Mobilität. Das dortige Regime verhalf heimischen E-Autobauern mit reichlich Staatshilfen zum Aufschwung auf dem internationalen Markt. Die deutschen Autobauer hingegen verpassten die Umstellung auf Elektrofahrzeuge und gerieten im globalen Vergleich ins Hintertreffen.
Hinzu kommt, dass konservative Kräfte in der Bundesregierung und der Europäischen Union immer wieder am Verbrenner-Aus zu sägen versuchen. Eigentlich dürfen laut EU-Gesetz nach 2035 keine neuen Autos mit Benzin- oder Dieselmotoren mehr verkauft werden.
Angesichts der sinkenden Umsätze haben nicht nur die Autobauer, sondern auch Zulieferer wie ZF und Continental Kürzungsprogramme aufgesetzt – und die treffen unter anderem die Beschäftigten. Volkswagen etwa will bis 2030 35.000 Stellen abbauen. Mercedes-Benz plant, bis 2017 jährlich 5 Milliarden Euro durch freiwillige Kündigungen einzusparen.
„Die Autoindustrie hat ein handfestes Problem“, sagt Florian Schuster-Johnson, Experte für Haushaltspolitik bei der Denkfabrik Dezernat Zukunft. Problematisch sei aber vor allem, „dass in den Sektoren Auto und Maschinenbau so viele Arbeitsplätze verschwinden, ohne dass bei produktiven, industrienahen Dienstleistungen ausreichend neue Stellen entstehen“.
Busse und Bahnen statt Autos bauen
Die Krise der Autoindustrie bietet auch eine Chance, sagt Annika Fuchs, Referentin für Mobilität bei der Umweltorganisation Robin Wood. Klimapolitisch dränge der Umbau auf eine sozial-ökologische Industriepolitik. In Autowerken könnten etwa Busse und Schienenfahrzeuge produziert werden.
Diese Chance aber lasse die Branche liegen und setze den Rotstift lieber beim Personal an, kritisiert Tobi Rosswog, der sich in Wolfsburg zusammen mit VW-Arbeiter:innen für die klimafreundliche Transformation eingesetzt hat. Trotz der Umsatzrückgänge hätten die meisten Autobauer Gewinn gemacht, den sie sinnvoll investieren könnten.
„Die Arbeitgeber müssten noch mehr ihrer Arbeitskräfte umschulen“, schlägt Rosswog vor. „Das passiert ohnehin gerade mit der Umstellung auf E-Autos.“ Statt gleich Stellen zu streichen könnten die Konzerne außerdem die Arbeitszeit verkürzen. Und auch Zulieferer könnten ihre Produkte anpassen und zum Beispiel für klimafreundliche Busse anbieten, um Jobs zu sichern.
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