Polens Präsident blockiert Gesetze: Veto gegen Geflüchtete
Der neue polnische Präsident Nawrocki blockiert Sozialleistungen für ukrainische Geflüchtete. Auch militärisch wichtige Unterstützung könnte wegfallen.

Sollte Polens Mitte-links-Regierung nicht sofort einen Plan B vorlegen, erlischt am 30. September der legale Aufenthaltsstatus der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Polen. Das Gesetz hätte diesen bis zum 4. März 2026 verlängert und damit auch ihre Arbeitserlaubnis, ihren Anspruch auf Nutzung des polnischen Sozial- und Gesundheitssystems sowie das Recht auf Kindergeld in gleicher Höhe wie es polnische Kinder erhalten.
Zudem endet der millionenschwere Zuschuss Polens zu den ukrainischen Internetabonnements der US-Firma Starlink. Ohne diesen Zugang ist die ukrainische Armee gegen die russischen Raketen- und Drohnenangriffe wehrlos.
Für die ukrainischen Geflüchteten in Polen bedeutet der Verlust des Aufenthaltsstatus Unsicherheit. Das Innenministerium teilte am Dienstag mit, es rechne damit, dass viele der Geflüchteten nun einen Asylantrag stellen würden. Das dürfte für den polnischen Staat deutlich teurer werden, zusätzliche Sozialleistungen könnten anfallen. Andere Ukrainer könnten beantragen als Arbeitsmigranten in Polen zu bleiben, wieder andere in die Illegalität abtauchen.
Nawrocki fällt durch antiukrainischen Nationalismus auf
Schon während des Präsidentschaftswahlkampfes hatten Demokraten vor dem antiukrainischen Nationalismus Nawrockis und seinem Slogan „An erster Stelle Polen“ gewarnt. Doch seine Wähler schätzten die reaktionäre Donald-Trump-Attitüde des „Make America Great Again“. Sie wollten einen Präsidenten, der es dem Establishment und den Eliten, darunter der aktuellen Mitte-links-Regierung, den verhassten Deutschen und der ebenso verhassten EU mal so richtig zeigen würde.
Obwohl rund zehn Millionen Polen und Polinnen für Rafał Trzaskowski, den EU-freundlichen Kandidaten der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) stimmten, gewann Nawrocki, Kandidat der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS), die Stichwahl im Juni knapp.
Im Wahlkampf sei er zu der Überzeugung gekommen, „dass alle größeren politischen Kreise der Ansicht sind, dass das Kindergeld in Höhe von 800 Złoty (ca. 190 Euro) pro Monat nur denjenigen ukrainischen Geflüchteten zustehen sollte, die sich zur Arbeit verpflichten“, begründete Nawrocki sein Veto. Auf seinem Social-Media-Konto bei X wetterte Nawrocki gegen die angebliche „Privilegierung von Bürgern anderer Staaten“ und setzte hinzu: „Vorrang den Polen!“
Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 verbreiten sich im Internet Fake News, die Neid und Hass gegen Ukrainer wecken sollen und auch in Polen auf fruchtbaren Boden fallen. Viele Polen sind überzeugt, dass die meisten Ukrainer als „Sozialschmarotzer“ nach Polen gekommen sind.
Ukrainer tragen Steuern und Sozialabgaben bei
Dabei hat im Juni 2025 eine Studie der Firma Deloitte für das Flüchtlingshilfswerk UNHCR gezeigt, dass fast 70 Prozent der ukrainischen Kriegsflüchtlinge im erwerbsfähigen Alter legal in Polen arbeiten und Steuern und Sozialabgaben zahlen. Bei Polen im erwerbsfähigen Alter liegt die Quote nur leicht höher bei 75 Prozent. Die ukrainischen Kriegsflüchtlinge trugen laut der Studie 2024 rund 2,7 Prozent zum polnischen Bruttoinlandsprodukt bei.
Laut einem Bericht der Wirtschaftsbank Polens aus dem März 2025 zahlten sie 2024 rund 15,21 Milliarden Złoty (ca. 3,6 Milliarden Euro) an Steuern und Sozialabgaben ein und erhielten dagegen rund 2,8 Milliarden Złoty (ca. 658 Millionen Euro) Kindergeld. Sollten die Ukrainer ab dem 1. Oktober nicht mehr arbeiten dürfen, weil durch Nawrockis Veto ihre Arbeitserlaubnis erlischt, fallen auch die Steuern und Sozialabgaben weg, die sie bislang leisten.
Ganz unschuldig an der inzwischen verbreiteten Ukrainehetze ist auch die Mitte-links-Koalition von Donald Tusk nicht. Statt den Rechtsradikalen und Nationalisten entgegenzutreten, übernahmen sie oft deren Narrativ, fuhren die sozialen Hilfen für die meist allein mit ihren Kindern geflüchteten Ukrainerinnen immer weiter runter oder knüpften sie an mehr Bedingungen.
Im Wahlkampf fiel auch der liberale Kandidat Trzaskowski mit antiukrainischen Parolen auf, mit denen er wohl im rechten Lager fischen wollte. Und Premier Donald Tusk ließ sich in Polen dafür feiern, dass er in Brüssel die EU-Agrarförderung für die Ukraine runterhandeln konnte. Doch jetzt wird er wohl zumindest einen Teil der gestoppten Ukrainehilfen – es geht vor allem um die Starlinkabos und die sichere Datenspeicherung im Internet – zu retten versuchen. Möglich wäre das durch den neuen Haushalt, der demnächst verabschiedet werden muss. Gegen das Haushaltsgesetz kann Nawrocki kein Veto einlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Robert Habeck tritt ab
„Ich will nicht wie ein Gespenst über die Flure laufen“
Berlins neuste A100-Verlängerung
Vorfahrt für die menschenfeindliche Stadt
Kritik am Selbstbestimmungsgesetz
Kalkulierter Angriff
Mikrofeminismus
Was tun gegen halbnackte Biker?
Aufnahme von Kindern aus Gaza
Auch Hamburg will human sein
Buchmarkt
Wer kann sich das Lesen leisten?