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Offener Brief zu Journalismus in GazaDeutschland zeigt endlich Haltung – aber nur ein bisschen

Israels Regierung lässt keine Jour­na­lis­t*in­nen nach Gaza und tötet lokale Medienschaffende. Nun hat Deutschland dazu Stellung bezogen – aber kleinlaut.

In Gaza werden Journalist*in­nen vom israelischen Militär getötet Foto: Abed Rahim Khatib/imago

A ls im Oktober 1983 die USA unter Ronald Rea­gan im karibischen Inselstaat Granada einmarschierten, ließ uns ein engagierter Englischlehrer im Unterricht folgenden Abschnitt aus dem Time Magazine auswendig lernen: „The wisdom of the US invasion of Granada will be debated for years. The unprecedented exclusion of the American press from that operation requires no debate. Clearly, it was a bad mistake, an outrage to press freedom and an ominous symptom of a tendency in the Reagan adminis­tration to try to control the flow of information.“

Knapp 42 Jahre später ist nun Gaza ein für die internationale Presse nicht zugänglicher Kriegsschauplatz. Informationen gibt es nur über einheimische Jour­na­lis­t*in­nen. Gerade wurden bei einem israelischen Angriff auf ein Krankenhaus fünf Journalisten und zahlreiche Rettungskräfte getötet, weil ein zweiter Angriff auf die Rettungsmaßnahmen folgte. Ergibt nach einschlägigen Einschätzungen so ziemlich aller Völ­ker­rechts­ex­per­t*in­nen mindestens drei Kriegsverbrechen.

Das Herumeiern der Bundesregierung und namentlich des Auswärtigen Amtes in Sachen Pressefreiheit und Gaza ist schlimm und bezeichnend. Ja, Deutschland hat wegen seiner Vergangenheit ein spezielles Verhältnis zu Israel und damit zu so ziemlich allen Konflikten im Nahen Osten. Weshalb die Bundesregierung sich bei Appellen in Sachen freier Zugang für die Presse in Gaza bis letzte Woche auch immer zurückgehalten hat. Da konnten Frankreich, Großbritannien oder sonst wer fordern. Deutschland blieb brav auf dem Zaun sitzen.

Doch als die Media Freedom Coalition (MFC) am Donnerstag vergangener Woche schärfer denn jeden freien Zugang ausländischer Medien nach Gaza sowie Schutz für dort tätige Jour­na­lis­t*in­nen forderte, gehörte Deutschland endlich mal zu den Mitunterzeichner*innen. „Wurde der internationale Druck zu groß oder war es doch die eigene Courage?“, fragt die Mitbewohnerin.

Wer davon mitbekommen wollte, musste die Mitteilung des britischen Foreign Office lesen. Das informierte ganz offiziell mit Krone im Briefkopf über den erneuten Appell und dass jetzt auch Germany dahinterstehe. Wer dagegen das Auswärtige Amt (AA) nach einer Bestätigung fragte, bekam erst mal lange keine Antwort. Und dann einen vertraulichen Hinweis auf einen kurzen Post des englischsprachigen AA-Kanals @GermanyDiplo auf X, der den Appell der MFC geteilt hatte.

„Also mitmachen, es aber keinem verraten“, analysiert die Mitbewohnerin. Am Ende weiß vielleicht nicht mal unser Medienstaatsminister davon. Dass Deutschland gerade mit Finnland als Doppelvorstand die MFC anführt, ist in dem Zusammenhang ein schlechter Witz. Ein noch schlechterer ist nur noch, dass es offenbar die Plattform des Pressefreiheits- und Demokratiefreunds Elon Musk braucht, um zu zeigen, dass die Bundesregierung in Sachen Gaza und Pressefreiheit nicht völlig vom Zaun fällt.

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
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