Massenproteste in Israel: Hunderttausende demonstrieren fürs Kriegsende
Viele Israelis protestieren gegen den Gaza-Krieg und für die Freilassung der Geiseln. Netanjahu wirft ihnen vor, die Hamas zu stärken.

Regierungschef Benjamin Netanjahu bekräftigte seinen Plan, die Kämpfe in Gaza auszuweiten und warf den Demonstranten vor, die Hamas zu stärken. „Diejenigen, die heute ein Ende des Krieges fordern, ohne die Hamas zu bezwingen, verhärten nicht nur deren Position und verzögern die Freilassung unserer Geiseln“, sagte Netanjahu. Sie würden zudem dafür sorgen, dass sich der 7. Oktober wiederholen werde und Israels Soldaten „in einem endlosen Krieg immer wieder kämpfen müssen“.
Mit diesem Argument dreht der Premier ausgerechnet den Hauptvorwurf seiner Kritiker um, die ihm seit Monaten vorwerfen, den Krieg aus politischen Gründen fortzusetzen. Netanjahu ist politisch abhängig von seinen rechts-religiösen Koalitionspartnern, die für eine Besetzung und Wiederbesiedlung Gazas stehen. In der israelischen Gesellschaft, in der rund zwei Drittel für ein Kriegsende und die Rückkehr der Geiseln sind, ist er zunehmend isoliert.
Auch aufseiten der Demonstranten wird verbal aufgerüstet: „Wir leben unter einer Terrororganisation, die sich aus politischen Gründen weigert, unsere Kinder zurückzubringen“, sagte Jehuda Cohen, der Vater des in Gaza gefangenen Nimrod Cohen, in Richtung Regierung. Ofir Braslavski, der Vater der Anfang August in einem Hamas-Video ausgemergelt vorgeführten Geisel Rom Braslavski, warf Netanjahu vor, mit der geplanten Offensive das Leben der Geiseln aufzugeben. „Das ganze Land hat es gesehen, alle Politiker haben es gesehen, aber das Kabinett hat sich dafür entschieden, den Krieg auszuweiten und sie im Stich zu lassen.“
Netanjahu auch international zunehmend isoliert
Indes verließen Berichten zufolge erste Palästinenser aus Furcht vor einem bevorstehenden israelischen Vormarsch die östlichen Teile von Gaza-Stadt. Derzeit halten sich im Norden des Küstenstreifens rund eine Millionen Menschen auf. Die Armee soll laut dem israelischen Plan zunächst Gaza-Stadt, später auch bewohnte Gebiete im Zentrum Gazas einnehmen. Die Bewohner, viele bereits mehrfach vertrieben, sollen in den Süden fliehen.
Die humanitäre Katastrophe vor Ort dürfte sich dadurch weiter verschärfen. Israel hat mit US-Unterstützung bereits das etablierte UN-System für humanitäre Hilfe stark eingeschränkt. Die Verteilung von Hilfsgütern durch die stattdessen eingesetzte Gaza Humanitarian Foundation aber ist von Chaos und tödlichen Fußmärschen für Palästinenser geprägt. Immer wieder werden Hilfesuchende von israelischen Soldaten erschossen.
Netanjahu bekommt mit seinem Gaza-Plan nicht nur in Israel Widerstand, auch international rücken Verbündete zunehmend ab. Mehrere Länder haben die Anerkennung eines palästinensischen Staates angekündigt. Sogar die deutsche Bundesregierung schränkte künftige Waffenlieferungen nach Israel ein. Am Montag erließ Australien ein Einreiseverbot für Simcha Rothman, einen Politiker der national-religiösen Regierungspartei „Religiöser Zionismus“. Israels Außenminister reagierte umgehend und entzog australischen Diplomaten bei der Palästinensischen Autonomiebehörde ihre Visa.
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