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Krieg in GazaWahrheit zwischen Trümmern

Israel lässt keine ausländischen Jour­na­lis­t:in­nen in den Gazastreifen. Umso wichtiger sind palästinensische Reporter:innen, auch für die taz.

Gefährliche Einblicke: Gaza-Stadt am Sonntag nach einem israelischen Angriff Foto: Hamza Z. H. Qraiqea/imago

Tel Aviv/Berlin taz | „Seid ihr o. k.?“, schreiben wir an unsere Reporter in Gaza, wenn Evakuierungs­anordnungen oder Bombardierungen in ihrer Nähe gemeldet werden. Und jetzt, wo Israels Militär im Begriff ist, Gaza-Stadt einzunehmen: „Wisst ihr schon, wohin ihr fliehen könnt?“

Großflächige Zerstörung, massenhaftes Aushungern, täglich getötete Kinder und noch immer 20 Geiseln, all das in Echtzeit auf Social Media: Der Gaza-Krieg ist so gut dokumentiert wie wohl kein anderer in der Geschichte. Dennoch ist das Misstrauen gegenüber jeder Information, jedem Foto, jedem Bild gewaltig. Obwohl sich der Schrecken vor aller Augen abspielt, sieht, wer nach Gaza blickt, doch nur, was er oder sie sehen will. Licht in dieses Dunkel bringen palästinensische Journalisten vor Ort. Seit fast zwei Jahren riskieren viele von ihnen alles, berichten trotz Hunger, Luftangriffen und Flucht. Ohne sie könnte auch die taz nicht aus Gaza berichten.

Woher wissen wir als Reporter, dass etwas wahr ist? Etwa, wenn wir es mit eigenen Augen sehen. Israel lässt aber seit fast zwei Jahren keine internationalen Journalisten nach Gaza. Offensichtlich hat die Regierung von Benjamin Netanjahu kein Interesse an Zeugen für das Vorgehen der israelischen Armee.

Internationaler Aktionstag für Pressefreiheit in Gaza

Teilnehmer: Über 150 Medienunternehmen aus mehr als 50 Ländern nehmen am 1. September an einem groß angelegten Aktionstag teil, der von Reporter ohne Grenzen (RSF) und der globalen Online-Kampagnenbewegung Avaaz koordiniert wird.

Kritik: Die teilnehmenden Redaktionen kritisieren die Verbrechen der israelischen Armee an palästinensischen Jour­na­lis­t:in­nen und Re­por­te­r:in­nen in Gaza.

Forderung: Die Beteiligten fordern besseren Schutz für alle Medienschaffenden dort und verlangen, dass Israel anderen Journalisten endlich unabhängigen Zugang in den Gazastreifen gewährt.

➝ Mehr Informationen zum Aktionstag

Aufwendige Recherchen

Was der Berichterstattung bleibt, ist eine Annäherung: Wir betrachten Fotos, Videos, Karten und Satellitenbilder. Wir sprechen mit möglichst vielen Quellen in Gaza und in Israel. Wir lesen Berichte von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Hilfsorganisationen. Wir beziehen aufwendige Recherchen internationaler Medien ein. Kommen sie alle zu ähnlichen Schlüssen, können wir relativ sicher davon ausgehen, dass es stimmt.

Damit lässt sich mehr beantworten, als es mitunter scheint. Auch wenn viele mittlerweile mit Blick auf Gaza erschöpft abwinken: Wer soll angesichts des von Israel und der Hamas aufwendig geführten Propagandakrieges noch wissen, was wirklich passiert?

Einiges lässt sich klar und mit Verweis auf die Verantwortlichen beantworten: Ja, es gibt in Gaza vor allem aufgrund der israelischen Blockade eine Hungersnot. Ja, israelische Soldaten erschießen regelmäßig unbewaffnete Hilfesuchende vor Verteilzentren für humanitäre Hilfsleistungen. Ja, Israel zerstört systematisch die Lebens­grundlagen der zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens. Ja, in den wenigen noch funktionierenden Krankenhäusern von Gaza liegen unterernährte Kinder, die, selbst wenn sie überleben, ihr ­Leben lang an Folgen leiden werden. Ja, Israel greift regelmäßig völkerrechtlich geschützte Krankenhäuser ohne ausreichende Rechtfertigung an.

Und ja, die Hamas nutzt die zivile Infrastruktur im Gazastreifen für ihre Zwecke. Ja, die Hamas schüchtert Menschen ein, die sich öffentlich gegen sie äußern, sie tötet sie sogar. Ja, es gibt Journalisten, die ihr ideologisch nahestehen.

Doch es gehört nicht zufällig zum Handbuch autoritärer Rechtspopulisten wie Netanjahu und US-Präsident Donald Trump, Misstrauen gegen diese Quellen zu verbreiten. Gesellschaftliche Institutionen werden so sturmreif geschossen, bis sie entweder ausgeschaltet, neu besetzt oder ersetzt werden können. Nähe zur oder Unterwanderung durch die Hamas sind die meistgenutzten Vorwürfe, die israelische Regierungsmitglieder vorbringen: gegen Krankenhäuser im Gazastreifen, Rettungsdienste, UN-Organisationen, NGOs. In der Regel ohne Beweise.

Dass das trotzdem funktioniert, zeigt sich auch darin, dass Organisatio­nen wie die Vereinten Nationen oder internationale Hilfsorganisationen in der Berichterstattung über Gaza wenig Gewicht haben, obwohl sie mit hunderten internationalen und tausenden lokalen Mitarbeitern vor Ort sind. Die Vorwürfe genügen, und obwohl bis heute keine Beweise vorliegen, dass das UN-Palästinahilfswerk UNRWA, wie von Israel behauptet, systematisch von der Hamas unterwandert ist, hat die Organisation international viel von ihrer Glaubwürdigkeit verloren.

Auch deshalb kann kein Bericht und keine Hilfsorganisation palästinensische Journalisten vor Ort ersetzen. „Kannst du hingehen und mit den Betroffenen sprechen?“, ist unsere häufigste Frage an unsere Kolleginnen in Gaza. „Berichtete ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters/AP/AFP vor Ort“, lautet die Zeile, die bei Breaking News für Sicherheit sorgt: Ein palästinensischer Kollege war dort, darauf können wir uns verlassen.

Auch die vielen Geschichten, die im Kleinen konkret das Große erzählen, wären ohne palästinensische Reporterinnen und Reporter nicht möglich. Sie brechen Schlagzeilen auf einzelne Schicksale herunter. Etwa, wenn unser Reporter Sami Ziara das Al-Aqsa-Märtyrer-Krankenhaus in der Stadt Deir al-Balah besucht, während es vor einer drohenden Offensive evakuiert wird. Das Schicksal des Patienten Mohammad al-Akhras, der nirgendwohin flüchten kann, macht deutlich, was es bedeutet, wenn ein Krankenhaus in die Schusslinie gerät.

Auch das Gaza-Tagebuch trägt zur Berichterstattung bei. Unsere Autorinnen und Autoren beschreiben darin konkret ihren Kriegsalltag. Im Juli, als die Hungersnot in Gaza am größten wurde, schrieb unser Autor Esam Hajjaj: „Vor Kurzem gelang es mir, ein Kilogramm Mehl für 27 US-Dollar zu bekommen. Außerdem habe ich fünf Tomaten, sieben grüne Paprikaschoten und ein Kilo Molokhia (auf Deutsch: Mußkraut) für 44 US-Dollar bekommen. Beim Kochen schnurrt es wie Spinat zusammen. Aus dem Mehl backen wir zehn kleine arabische Brote. Das ist alles, was wir als fünfköpfige Familie an diesem Tag essen.“

So konkret, so eindrücklich können wir aus Berlin oder Jerusalem nicht berichten. Das hat auch Israels Regierung verstanden – und es dem Anschein nach gezielt auf die Kollegen abgesehen. Journalistinnen und Journalisten in Gaza brauchen dringend internationalen Schutz, sonst könnten ihre Stimmen bald zum Schweigen gebracht werden – so wie etwa am 25. August Maryam Abu Dagga.

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11 Kommentare

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  • "Und ja, die Hamas nutzt die zivile Infrastruktur im Gazastreifen für ihre Zwecke."

    Genau das wird aber viel zu wenig thematisiert. Terror verändert eine Gesellschaft. Das scheinen viele Linke nicht begreifen zu wollen. Die Berichterstattung ist komplett von Sofa-Pazifismus durchdrungen, der sich in moralischer Überlegenheit gefällt. Nach dem 11. 9. haben die USA mit breiter europäischer Unterstützung jahrelange blutige Kriege in Afghanistan und Irak geführt und in Guantanamo Menschenrechtsverletzungen begangen, die bis heute andauern. Ja, das war falsch aber das Pendel ist mittlerweile so umgeschlagen dass der Hamas Jihad und Begriffe wie Intifada als "Befreiungskampf" von der Linken verniedlicht werden. Das ist auch kompletter Kulturkampf- Irrsinn, wenn Linke wie Mamdani "die globale Intifada" als Wahlkampf-Losung ausgeben. Gehts noch?

    Wenn wir hier einen Terroranschlag vom Ausmass des 7.10. hier hätten mit den entsprechenden Bildern von deutschen Frauen, was denken Sie eigentlich was hier los wäre? Menschen/ Asylrechte werden Themen von gestern sein. Wir sind auch ohne einen Terror vom Ausmass des 7.10. oder 9.11. schon kurz davor, der Afd Rekordergebnisse zu liefern.

  • Das mag ja alles richtig sein, aber durch die Art und vor allem durch das Maß der Berichterstattung entsteht der Eindruck, wir hätten es mit einem Thema zu tun, das einmalig sei, wodurch wiederum der Eindruck entsteht und verfestigt wird, das israelische Vorgehen sei von einzigartiger Grausamkeit und Verbrechertum gekennzeichnet. Das wiederum schürt antisemitische Stereotype, wie ja gegenwärtig weltweit zu sehen ist.



    Dem Kundigen ist jedoch vollkommen klar, dass andere aktuelle Konflikte noch schlimmer geführt werden, z. B. der Bürgerkrieg im Sudan, der jedoch kaum mediale Aufmerksamkeit erfährt. Mir ist zumindest nicht bekannt, dass ein Sudanese befragt wurde, wie viel Geld er zur Verfügung hat und wie er Nahrung für seine Familie kaufen kann.



    Ich denke schon, dass dieses quantitative und qualitative Missverhältnis zumindest diskutiert werden sollte. Aber vermutlich wird mir Whataboutism vorgeworfen werden, gewissermaßen als Standardreflex.

  • Vielen Dank für den Artikel,



    was kann man überhaupt hierzu noch schreiben? Bombardierungen, Erschießungen von hungernden Menschen, zu Tode hungern von Menschen, Kindern in Gaza.



    Ich finde keine Worte mehr für die Abscheulichkeiten. Kinder absichtsvoll zu Tode zu hungern ist dermaßen montrös und zeigt mir was für ein Versagen der Menschheit hier stattfindet.



    Alles mit deutscher Unterstützung. Deutschland steht nun in einer Linie mit Ungarn, blockiert jegliche Sanktionen auf EU-Ebene gegen die Vernichtung die in Gaza statfindet.



    Daher ist alles was Deutschland sagt, man sei gegen die Vernichtung, man wolle die Versorgung der sterbenden Menschen in Gaza, etc. nur Gerede.



    Man tut nichts um der Vernichtung der Menschen in Gaza entgegenzuwirken.



    Ein Komplettversagen der Menschheit. Eine Komplizenschaft deutscher Politiker und deutscher Mainstream-Medien mit Völkermord.



    Für unsere deutschen Mainstream-Medien (die TAZ ist eine der wenigen positiven Ausnahmen) und Politiker habe ich nur noch Verachtung. Die Tötung derart vieler Kinder in Gaza werde ich nie verzeihen könne und die Geschichte wird es auch nicht.



    Schämt euch!

  • Bitte auch über die Hamas und ihre Strukturen berichten. Wie funktioniert eine solche Terrororganisation, inwiefern wird sie von der Bevölkerung unterstützt bzw. inwiefern wird die Bevölkerung von der Hamas unterdrückt.



    Warum gibt es s keine Demonstrationen gegen die Hamas mehr?



    Wie stehen islamische Religionsvertreter zur Auslegung der Hamas des Islam. Wie beurteilen muslimische Palästinenser/innen den ‚heiligen‘ Krieg gegen den Westen, der seit Jahren von Islamist/inn/en aller Couleurs im Nahen Osten organisiert wird und wurde?

    • @Barbara Schmelzer:

      Zu Punkt 1: Da könnte man gut das historische Deutsche Beispiel nehmen

      Gegenfrage zu Ihrem 2. Punkt:



      Wie sollen Menschen die flüchten demonstrieren?

      Zu Punkt 3: Die Positionen anderer Muslimischen Religionsvertreter ist gemischt, weil es nicht "DIE" Auslegung des Islam gibt. Auch gibt es nicht den von Ihnen beschriebenen 'heiligen' Krieg gegen den 'Westen'.



      Richtig ist: Spinner gibt es in jeder Religion.



      Diese stehen aber nicht für die ganze Religion.

  • Es gibt keine Nachrichten aus Gaza ohne das die Informationen aus der Enklave zum überwiegenden Teil durch die Terrororganisation Hamas gefiltert sind. Wer sich nicht an die Direktiven der Hamas hält sirbt und wird gefoltert.

    www.zeit.de/politi...uppe-gaza-kaempfer

    • @zartbitter:

      Und Berichte sus Israel müssen durch die israelische Militärzensur.

    • @zartbitter:

      Und warum lässt die Israelische Regierung keine anderen Journalisten rein?

    • @zartbitter:

      Die inzwischen über 200 Journalisten, die aus Gaza berichtet haben und dabei getötet wurden (teils mit ihren Familien) gehen allesamt auf das Konto der IDF; es ist auch nicht Hamas, die internationalen Journalisten die Einreise verweigert, sondern Israel. Wenn ein Staat offenkundig Jagt auf Journalisten macht und das teils nicht einmal mehr verheimlicht, ist "aber Hamas..." Keine gute Antwort mehr (und verlinkte Artikel sollten die These des Beitrags auch unterstützen...)

  • Und die, die dort waren, sind gefallen.



    Durch israelischen Beschuss.

  • Zweifelt noch irgendwer daran, dass die Netanjahu Regierung massiv gegen Rechtsgrundlagen verstößt?? Eine "demokratische" Regierung oder ein kaum besseres Regime als das der Terrorgruppe Hamas? Warum lässt die Weltöffentlichkeit zu, dass ein sich zivilisiert nennender Staat, der auch den UN angehört, derart abdriftet in die Barbarei ???