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Marla-Svenja Liebich auf der FluchtLiebesgrüße aus Moskau

Nicholas Potter
Kommentar von Nicholas Potter

Der Neonazi Marla-Svenja Liebich soll nach eigenen Angaben nach Russland geflohen sein. Mit Assad und Marsalek wäre er in bester Gesellschaft.

Moskau, Russland: ein Zufluchtsort für Neonazis, Despoten und Betrüger Foto: Alexey Chernyuk/Design Pics/imago

S ven Liebich ist eine rechtsextreme Rampensau. Für seinen neusten aufmerksamkeitsökonomischen Trick lässt er sich gänzlich verschwinden – und seine Social-Media-Follower raten, wohin er geflohen ist.

Bis Freitagabend sollte der 54-jährige Neonazi aus Halle eine Haftstrafe antreten: 18 Monate wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und Beleidigung. Weil Liebich – bekanntermaßen queerfeindlich – im Januar sein Geschlecht offiziell ändern ließ und inzwischen offiziell Marla-Svenja Liebich heißt, soll er die Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Chemnitz absitzen – in einem Frauengefängnis. Er versprach eine Art Pressekonferenz vor dem Haftantritt direkt vor dem Gefängnis.

Erschienen ist Liebich nicht, sondern untergetaucht. In einer Telegram-Sprachnachricht an seine Fans sagte er, er könne an „dieser schönen Zusammenkunft heute“ nicht teilnehmen, da er sich „in einem Drittland“ befinde. Damit ist Liebich einer von mehr als 500 Rechtsextremen, die in Deutschland per Haftbefehl gesucht werden. Ist Liebich, wie er in den sozialen Medien behauptet, nun in Moskau? Falls es stimmen sollte, wird er schnell Gleichgesinnte finden.

Provokation gehört zu Liebichs Geschäftsmodell. Seit 2011 betreibt er einen Online-Gemischtwarenladen für Hass und Hetze. Je provokanter der Spruch, umso mehr Aufmerksamkeit bekommt er – und Geld. Die Motive reichen von Putin-freundlich bis stramm antisemitisch.

Auch seine offizielle Geschlechts­änderung im Januar gilt als weitere Provokation: Er will sich fortan mit Sonnenhut, Leopardenbluse und runder Sonnenbrille als Dame inszenieren. Und forderte Schmerzensgeld, nachdem Medien ihn missgendert hatten (eine Beschwerde hat der Presserat inzwischen als unbegründet zurückgewiesen).

Stilisierung als Opfer

Auch Liebichs Flucht vor der Justiz schlachtet er medial und geschäftsmännisch aus. Er deutet an, in Russland zu sein, teilt KI-generierte Memes von ihm in Moskau – darunter ein James-Bond-Plakat mit dem Konterfei Liebichs, der Aufschrift „Liebesgrüße aus Moskau“ und dem Hashtag #runningwoman. „Ein echter Vorteil: Schon als kleines Mädchen war ich auf einer Schule mit erweitertem Russisch­unterricht“, schreibt er. Gleichzeitig hätten die USA Interesse bekundet, ihm Asyl zu gewähren, behauptet Liebich weiter. In seinem Webshop verkauft er eine Reihe neuer Motive, inspiriert von seiner Flucht: Eines zeigt ihn vor der Freiheitsstatue in New York.

Liebichs Plan geht auf: Medien von der Bild bis zum Spiegel greifen seine Fluchtinszenierung auf, Rechtsextreme wie Martin Sellner und Tommy Frenck feuern ihn an. Liebich selbst kommentiert sein Untertauchen im Stundentakt auf Social Media, er genießt die Jagd, als sei er Protagonist des Spielfilms „Catch Me If You Can“. Statt ins Gefängnis zu gehen, hat er erneut für Aufruhr gesorgt und stilisiert sich als Verfolgter eines Unrechtsregimes.

Ob Liebich wirklich in Russland ist – einem tatsächlichen Unrechtsregime –, bleibt unklar. Er wäre in Moskau aber in bester Gesellschaft. Man stellt sich eine WG des Grauens vor: Liebich zusammen mit den anderen Geflohenen und Gesuchten der Welt, die in Putins Diktatur ein neues Zuhause gefunden haben.

In Gesellschaft mit Assad, Marsalek, Snowden?

Etwa Baschar al-Assad, der gestürzte Despot und Massenmörder Syriens. Oder Jan Marsalek, jener Wirecard-Manager, der mutmaßlich hinter einem der größten Wirtschaftsskandale der Geschichte stand, jahrelang für den russischen Geheimdienst spioniert und Kontakt zur berüchtigten Miliz der Gruppe Wagner gepflegt haben soll. Vielleicht ist auch Edward Snowden dabei, der NSA-Whistleblower, der die digitale Massenüberwachung der USA enthüllte. Oder Karin Kneissl, die ehemalige, FPÖ-nahe Außenministerin aus Österreich, die sich politisch verfolgt und beruflich „vernichtet“ fühlte und deshalb 2023 nach Russland zog.

Man denkt auch an den Familienvater aus Texas, der diesen Frühling ebenfalls nach Moskau mit seiner Frau und drei Töchtern zog, um „Wokeness“ in den USA zu entkommen. Nun wurde er an die Front geschickt, um gegen die Ukraine zu kämpfen – ohne Kampf­erfahrung, ohne Russischkenntnisse. Seine Frau mache sich große Sorgen, erzählte sie internationalen Medien.

Liebich, der seit Kriegsbeginn stolz mit Z-Symbolen posiert und russische Propaganda auf Merchandise druckt, müsste wissen, worauf er sich einlässt, sollte er sich tatsächlich in Russland befinden.

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Nicholas Potter
Redakteur
Nicholas Potter ist Redakteur bei taz zwei (Gesellschaft/Medien). 2025 ist er Sylke-Tempel-Fellow des Deutsch-Israelischen Zukunftsforums. 2024 war er Nahost-Fellow des Internationalen Journalistenprogramms bei der Jerusalem Post. Im selben Jahr wurde er für den Theodor-Wolff-Preis nominiert. Seine Texte sind auch im Guardian, Haaretz und Tagesspiegel erschienen. Er ist Mitherausgeber des Buches "Judenhass Underground" (2023).
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13 Kommentare

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  • Asyl bei Trump? Na dann...

  • Auch eine Nazi-Transfrau ist eine Frau und sollte entsprechend gegendert werden. Wer soll das Selbstbestimmungsgesetz noch ernst nehmen wenn die Presse es nach Lust und Laune ignoriert?

  • Ich lach mich schlapp. Lustig jetzt die anderen rechten Trolle im Internet, die das jetzt abfeiern als hätte Liebich sie grad nicht alle voll im Regen stehen lassen, von wegen "Pressekonferenz zum Haftantritt" etc.



    Soviel zu "Ich geh in den Knast und zeig den Woken mal wie krank das alles ist1!11". Und die rechten Trolle zeigen mal wieder ganz klar, was sie von Recht und Ordnung halten wenn es einen der Ihren betrifft: Null komma nichts.



    Herrlich.

    • @V. Ohneland:

      Wunschdenken. Der Typ sitzt jetzt mit Glatze und ohne Frauenkleider irgendwo in einer Unterstützer-Kaschemme und lässt sich feiern, würde ich sagen.



      Mit öffentlichen Auftritten ist es jetzt natürlich vorbei, aber ich befürchte, er denkt, er hätte aus seiner Sicht "das Beste" aus dem Urteil gemacht. Anstatt einfach unterzutauchen, hat er die Medien und den Staat verhöhnt und vorgeführt (ich persönlich sehe das anders).

  • "Svenja Liebich: Zu feige für den Frauenknast?"

  • Man muss dieser Widerlichkeit von Mensch fast dankbar sein, seine Haft nicht angetreten zu haben.



    Damit hat sich dieser Mensch jegliche Chance auf offenen Vollzug verbaut, schön.



    Auch die Rolle des rechten Märtyrers und Showmasters, der den Rechtsstaat mit dem Ausreizen gesetzlicher Grenzen am Nasenring durch die Manege zieht, kann er nun nicht mehr so gekonnt spielen, noch schöner.



    Auch wenn ich zu keiner Sekunde glaube, dass Russland ihn reinlässt oder irgendein Interesse an dieser rechtslastigen Nebelkerze von Mensch, diesem Lokalteilfüller hat, wünsche ich gutes Gelingen und sende Liebesgrüße nach Moskau 😘

  • Die gute Nachricht nicht vergessen: Herr Liebich wird seine anderthalb Jahre komplett absitzen, weil er sich mit dieser Aktion die Bewährung verbaut hat.

  • Warum wird Snowden mit den anderen gleichgesetzt?

    • @Littleneo:

      OK. Ich revidiere meine Antwort: Snowdon ist nach Rußland gegangen, weil im in Europa niemand Asyl gewähren wollte. Mit der US-Regierung wollte es sich niemand verderben.

    • @Littleneo:

      OK. Der Vergleich hinkt ein wenig. Dennoch: Wenn sich einer aus den Armen des Belzebubs befreit und in die Arme des Teufels flüchtet - dann kann er bei mir nicht gerade mit viel Verständnis rechnen.

    • @Littleneo:

      Ja, das stößt einem bitter auf. Er ist einfach nur auch dort, allerdings schon sehr lange, noch aus der Zeit als der offensichtliche Irrweg "Wandel durch Handel" gepredigt wurde.

  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Person nach Russland geflohen ist. Diese Person hat doch das ganze Affentheater angestellt, um ja nicht ins Gefängnis zu müssen. Hier ging es doch nie darum, den Staat vorzuführen sondern einzig darum, dass diese Laute Person in wirklichkeit innerlich ganz klein ist.



    Sucht alle Löcher in Deutschland ab, da findet ihr bestimmt bald ein kleines, zitterndes Häuflein Elend, das nach seiner Mami ruft.



    Wisst ihr noch als Paris Hilton ins Gefängnis gegangen ist? Das war Stil! Hoch erhobenen Hauptes. Aber verkauft mir doch bitte nicht diese Liebich-Schmierenkomödie als politisches Statement!

    • @TaAl:

      Erhobenen Hauptes? Vielleicht bei den ersten 3 Tagen, wo sie wohl auf den Hausarrest hoffen konnte. Als der nach nur 1 Tag für unzulässig befunden wurde, ist sie weinend und schreiend aus dem Gerichtssaal wieder ins Gefängnis gebracht worden.