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Kommunalwahlen in NRWBerliner Bremsklotz zu Besuch

Der Bundeskanzler kommt ins nordrhein-westfälische Münster, um der CDU im Kommunal-Wahlkampf zu helfen. Aber ist Merz überhaupt eine Unterstützung?

Bundeskanzler Friedrich Merz (l) und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, am 1. September 2025 in Münster Foto: Leon Kuegeler/reuters

Münster/Bonn/Berlin taz | Es dauert nur eine gute Viertelstunde, da ist Friedrich Merz beim „Bullshit“ angekommen – und das alles andere als freiwillig. Der Bundeskanzler steht am Montagmittag gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst vor einer holzgetäfelten Wand mit aufwendigen Schnitzereien, der Friedenssaal im Rathaus in Münster ist ein geschichtsträchtiger Raum.

Hier wurde einst der Westfälische Frieden verhandelt, der den Dreißigjährigen Krieg beendet hat. Merz, der selbst aus Westfalen kommt, hat gerade noch betont, welch besonderer Ort das sei, er stehe für „Dialog, Verständigung und die Kraft der gemeinsamen Lösung“.

Doch damit ist es jetzt vorbei. Schon die erste Frage einer Journalistin zielt auf den neuen Streit in der Bundesregierung. Wie er denn den Widerspruch auf seine Kürzungspläne bei den Sozialsystemen von Bärbel Bas sehe, der SPD-Chefin und Sozialministerin in seinem Kabinett, will eine Frau vom WDR wissen. Bas hatte dies am Wochenende bei einem Juso-Treffen „Bull­shit“ genannt.

Merz ist am Montagmorgen zum Antrittsbesuch nach Nordrhein-Westfalen gekommen, es ist das vierte Bundesland, das er offiziell als Kanzler besucht. Münster ist für die CDU nicht nur wegen der historischen Kulisse interessant. In knapp zwei Wochen sind in NRW Kommunalwahlen, die einzigen wichtigen Wahlen in diesem Jahr.

Grünes Biotop

In Münster werden Tilman Fuchs von den Grünen gute Chancen eingeräumt, der CDU den Posten des Oberbürgermeisters abzujagen, zumal der langjährige Amtsinhaber nicht erneut kandidiert. Die heimliche Hauptstadt Westfalens, wie Merz es nennt, ist zwar wohlhabend und noch immer auch katholisch geprägt – aber mit der Universität, zahlreichen Behörden und den vielen Rad­fah­re­r:in­nen auch eine Art grünes Biotop. Da kann im Wahlkampf ein Besuch von CDU-Prominenz aus Land und Bund zur Unterstützung vermutlich nicht schaden.

Doch die Frage ist: Hilft ein Besuch des Kanzlers den wahlkämpfenden Christ­de­mo­kra­t:in­nen derzeit überhaupt?

Die schwarz-rote Bundesregierung ist nach der gescheiterten Richterinnenwahl zerstritten in die Sommerpause gegangen, Erinnerungen an die Ampel wurden wach. Mit einem Streit über Sozialkürzungen und Steuererhöhungen kommt sie nun aus der Sommerpause wieder heraus, kein gutes Zeichen. Zudem ist Merz, anders als der geschmeidige Ministerpräsident Wüst, beim Wahlvolk nicht sonderlich beliebt: Zwei Drittel der Bun­des­bür­ge­r:in­nen sind mit dem Kanzler unzufrieden.

Zwei Tage zuvor, World Conference Center Bonn, Landesparteitag der nordrhein-westfälischen CDU. Auch hier ist Merz zu Gast, er ist der erste Redner an diesem Samstagmorgen. Die Stimmung ist verhalten, der Applaus höflich, leidenschaftlich aber sind die Delegierten nicht.

„Viele Bürger sind von Herrn Merz und seiner Politik nicht so ganz begeistert“, sagt eine Christdemokratin aus der Eifel, einer tiefschwarzen Region. Der plötzliche Abschied von der Schuldenbremse und die einkassierte Stromsteuer-Senkung ärgerten die konservativen Wähler:innen. „Derzeit stützen wir als Basis eher Herrn Merz – nicht umgekehrt.“

Die Angst vor der AfD

Einfach nur „schwierig“ sei die Stimmung, erzählt auch ein Delegierter aus dem Ruhrgebiet: „Die Lebensmittelpreise, die teure Energie – das geht den Leuten an den Geldbeutel.“ Die Stimmung wende sich gegen Geflüchtete, das zahle bei der rechtsextremen AfD ein. Zwar sei besonders die Basis der Sozialdemokraten anfällig für die AfD-Parolen. Trotzdem sei es besonders im Ruhrgebiet fraglich, wie viele Oberbürgermeister-Kandidaten der CDU es in die erwartbaren Stichwahlen schaffen dürften – oder ob SPD und AfD das Rennen unter sich ausmachen.

Noch stütze die Sorge vor der AfD seine Partei, glaubt ein Christdemokrat aus Halle, einer kleinen Stadt bei Gütersloh: „Die Leute bei uns haben Angst: Wenn es die CDU nicht schafft, dann kommt Blau.“

Merz selbst weiß um die Bedeutung der Kommunalwahlen im größten Bundesland: Zur Wahl aufgerufen seien „13 Mil­lio­nen Wähler“, das sei „mehr, als manches Mitglied der Europäischen Union Einwohner hat“, sagt er in Bonn.

„Wir muten den Sozialdemokraten einiges zu – und die uns auch“, sagt Merz mit Blick auf die Bundesregierung und betont mit Verweis auf „Migrationswende“ und Wirtschaft, wie viel man bereits auf den Weg gebracht habe. Und auch hier kündigt Merz noch einmal Kürzungen beim Sozialstaat an: „Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse“, meint der Kanzler. Es ist diese Passage, die Bas zu ihrer „Bullshit“-Äußerung gebracht hat.

Merz’ Amtsbeginn sei überraschend gewesen, findet Politikwissenschaftler Norbert Kersting, der an der Universität Münster lehrt: „Merz hat von Anfang an versucht, außenpolitisch zu punkten, dabei ist der Blick eines neuen Regierungschefs üblicherweise auf die Innenpolitik gerichtet.“ Ausgezahlt habe sich das für Merz nicht. Die gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Bundestag und die Kehrtwende bei der Schuldenbremse wirkten nach, auch die Wirtschaftskrise färbe ab. Eine große Unterstützung für seine CDU, sagt Kersting, sei der Kanzler nicht.

Geschenke statt echte Hilfe

Immerhin hat Merz den Wahl­kämp­fe­r:in­nen in NRW Geschenke mitgebracht. Ab Anfang kommenden Jahres will auch der Bund den Städten und Gemeinden bei der Tilgung ihrer milliardenschweren Altschulden helfen, zumindest mit „einem kleinen Betrag“, kündigt der Kanzler in Bonn an. Konkrete Zahlen allerdings nennt er nicht. Viele Städte in Nordrhein-Westfalen haben seit Jahren kaum noch Handlungsspielraum: Altschulden von satten 55,4 Milliarden Euro belasten ihre Haushalte.

In Münster vor der Presse lobt Wüst das Entgegenkommen des Bundes bei den Altschulden noch mal, auch nennt er die Stimmung in der gerade absolvierten gemeinsamen Kabinettssitzung wie auch sein Verhältnis zum Kanzler „sehr gut“. Doch auch Wüst weiß, dass Merz zumindest aktuell kein Zugpferd ist.

„Das Umfeld ist nicht immer optimal“, so hat er es auf dem Landesparteitag gesagt. Und: Er sei CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann „sehr, sehr dankbar, dass er festgestellt hat, die Stimmung könnte noch einen Tick besser werden“. Das habe er Merz auch in der vergangenen Woche persönlich mitgeteilt.

Das klingt zwar kritisch, aber nicht mehr so herausfordernd wie noch zu der Zeit, als Wüst selbst als möglicher Kanzlerkandidat der Union gehandelt wurde. Damals warb er unter anderem in einem Text in der FAZ für einen Kurs der Mitte und erteilte dem „spalterischen Populismus“ im Namen der ganzen Partei eine Absage. Merz tobte und soll sogar erwogen haben, hinzuschmeißen, wie der Spiegel später berichtete.

Spahn als rechter Hoffnungsträger

Inzwischen sind zwischen Merz und Wüst die Verhältnisse geklärt. Interessant aber könnte es in zwei Jahren werden, wenn möglicherweise die Nachfolge für Merz als CDU-Chef und die Suche nach einem neuen Kanzlerkandidaten ansteht. Wüst, der relativ stabil mit den Grünen regiert, ist dafür ein möglicher Kandidat. Ein anderer ist Jens Spahn. Der Fraktionschef der Union im Bundestag gilt als Hoffnungsträger derer, die einem weiteren Rechtsdrift der Union nicht abgeneigt sind.

Wüst selbst kann gerade einigermaßen zufrieden sein. Auf dem Landesparteitag wurde er mit 98 Prozent der Stimmen als Chef der NRW-CDU wiedergewählt, im Umfragen sind die Ergebnisse der Landespartei zwar nicht top, liegen aber deutlich vor der Union im Bund. Vor fünf Jahren, bei der letzten Kommunalwahl, war das noch andersherum.

In Bonn, beim Landesparteitag, betont Wüst dann auch vor allem die Erfolge seiner Landesregierung. Hier stehen vor allem die Grünen als kleinerer Koalitionspartner unter Druck – etwa wegen des weiterlaufenden Braunkohleabbaus im Tagebau Hambach, der drohenden Castor-Transporte oder des stockenden Ausbaus des Radwegenetzes.

Trotzdem könnte es sein, dass die Grünen sich in manchen Großstädten weiter behaupten. In Bonn hat die grüne Rathaus­chefin Katja Dörner gute Chancen, ihr Amt zu verteidigen, in Aachen die parteilose Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, die auf grünem Ticket regiert.

In Köln könnte die langjährige grüne Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz gewinnen – und im traditionell roten Bielefeld dürften SPD und Grüne den Kampf um das Rathaus unter sich ausmachen. In den landesweiten Umfragen aber liegt die CDU mit 35 Prozent deutlich vorn, die SPD ist bei 18, die AfD bei 16 und die Grünen bei 13 Prozent.

Keine Änderungen ohne „Extremschock“

Ob Merz also hilft? Womöglich nicht. Aber Kommunalwahlen verlaufen nach ganz eigenen Regeln. Die Unzufriedenheit mit Regierungen in Bund und Land hätten meist keine Folgen für die Kommunalwahl, glaubt etwa der Politologe Karl-Rudolf Korte, emeritierter Professor der Universität Duisburg-Essen.

Auswirkungen seien nur nach einem „radikalen Extremschock“ wie einem „Kriegsbeginn oder Fukushima“ spürbar. Gerade in kleineren Orten spiele nicht die große Politik, sondern die Kan­di­da­t:in­nen die entscheidende Rolle. „Je kleiner die Gemeinde, desto personalisierter der Wahlkampf“, sagt Korte. „Teilweise wissen die Leute gar nicht, wer für welche Partei kandidiert.“

Am Freitag wird Merz jedenfalls zum dritten Termin innerhalb einer Woche nach NRW reisen. Am Jülicher Forschungszentrum wird dann der Supercomputer Jupiter eingeweiht.

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