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Israels Krieg in GazaDie Boykottrufe werden lauter

Angesichts der Katastrophe in Gaza fordern immer mehr Menschen einen Sportausschluss Israels. Sollte man den Sport in die Verantwortung nehmen?

Forderungen nach einem Sportausschluss Israels, hier in der irischen Fußballiga der Männer Foto: imago

Im Januar 2024 schloss die Internationale Eishockey-Föderation die israelischen Nationalteams aus ihren Wettbewerben aus. Nach Kritik aus Sport und Politik nahm die IIHF diese Entscheidung zurück. Im September 2024 lehnte der norwegische Fußballer Ole Saeter einen Wechsel zu Maccabi Haifa ab. In einem Interview sagte er: „Es war ein Angebot, das mich finanziell unabhängig gemacht hätte. Aber ich will kein Blutgeld. Es ist ein Land, das ich nicht vertreten will.“

Und vor wenigen Tagen forderte der Bürgermeister von Udine, Alberto Felice De Toni, eine Verlegung des WM-Qualifikationsspiels zwischen Italien und Israel, das am 14. Oktober in Udine stattfinden soll. Er halte die Austragung angesichts des „unermesslichen Leids und einer humanitären Katastrophe in Gaza für unangemessen“. Laut dem italienischen Innenministerium soll die Partie weiterhin stattfinden. Alberto Felice De Toni jedoch erwartet Proteste gegen Israel.

In den ersten Monaten nach dem 7. Oktober 2023 hatten vor allem Sport­organisationen aus dem Nahen Osten einen Ausschluss Israels gefordert. Inzwischen aber sind in Gaza mehr als 62.000 Menschen getötet worden und der Internationale Strafgerichtshof hat einen Haftbefehl gegen Premierminister Benjamin Netanjahu erlassen. Auch in europäischen Staaten werden nun Boykottforderungen gegen israelische Athleten so laut vorgetragen wie nie zuvor.

Sollte man auch den Sport für Regierung und Armee verantwortlich machen? „Die Sportler haben direkt nichts mit Kriegsverbrechen zu tun“, sagt Susan Shalabi, Vizepräsidentin des Palästinensischen Fußballverbandes. „Aber die israelische Regierung nutzt den Sport für ihre Botschaften. Und einige Sportler und Vereine lassen sich gern einspannen.“

„Wir hassen alle Araber“

Da ist zum Beispiel der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir, der wegen seiner rassistischen und gewaltverherrlichenden Aussagen in sieben westliche Staaten nicht mehr einreisen darf. Ben-Gvir ist oft Ehrengast in der Fankurve des Fußballklubs Beitar Jerusalem. Dessen Ultras singen gern: „Wir hassen alle Araber“. Und: „Die israelische Armee muss siegen.“ Einige Fans waren als Soldaten in Gaza im Einsatz. Vor zerstörten Gebäuden posierten sie mit Fahnen von Beitar. Der Klub distanzierte sich davon nicht ausdrücklich.

Auch einige israelische Profis wählten drastische Worte. Der Nationalspieler Shon Weissman teilte in sozialen Medien Inhalte, in denen die Zerstörung Gazas gefordert wurde. Fortuna Düsseldorf verzichtete deshalb auf eine Verpflichtung Weiss­mans. Ein anderer Spieler, Menashe Zalka, zog als Soldat freiwillig in den Krieg und wurde später in den Stadien frenetisch gefeiert. Und der ehemalige Nationaltorhüter Dudu Aouate hat in sozialen Medien Menschen beleidigt, die sich für ein Ende des Krieges positioniert haben.

Aufgeladene Stimmung

„Der Fußball verdeutlicht die aufgeladene Stimmung in Israel“, sagt Matan Segal, Direktor der Antirassismus-Initiative „Kick it out“. In der vergangenen Saison dokumentierte sein Netzwerk eine Zunahme rassistischer Gesänge und Rufe von 64 Prozent gegenüber der Spielzeit davor. „Immer wieder wurden auch palästinensische Kriegsopfer verhöhnt“, sagt Matan Segal. „Und nur selten verhängt der Israelische Fußballverband ernsthafte Strafen.“ Aber sind das ausreichend Argumente für internationale Sanktionen?

Die Fifa etwa hat allein seit 2020 mehrere Verbände vorübergehend suspendiert, zum Beispiel Pakistan, Kenia oder Tschad. Meist, weil sich die lokale Politik unzulässig in die Verbandsangelegenheiten eingemischt habe. Krieg spielt selten eine Rolle. Das war nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine 2022 anders. Das IOC begründete die Suspendierung mit der Verletzung der „territorialen Integrität“ eines anderen Staates. Denn Russland hatte die Sportverwaltungen in den besetzten ukrainischen Gebieten an sich gebunden. Und auch der russische Fußballverband integrierte ukrainische Amateurklubs in russische Ligen.

Sportplätze auf palästinensischem Land

In diesem Punkt könne man Russland und Israel durchaus auf eine Stufe stellen, sagt Susan Shalabi vom Palästinensischen Fußballverband: „Denn auch die israelische Regierung untermauert ihren territorialen Anspruch mithilfe des Sports.“ In den Siedlungen im Westjordanland, die der Internationale Gerichtshof und die Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig einstufen, sind seit Jahren mehrere israelische Vereine aus Fußball, Basketball oder Netball beheimatet. Mithilfe von historischen Luftaufnahmen legt Human Rights Watch dar, dass etliche Sportplätze und Vereinsheime auf enteigneten Grundstücken von Palästinensern errichtet wurden.

In den Fifa-Statuten heißt es in Artikel 3: „Die Fifa verpflichtet sich, alle international anerkannten Menschenrechte zu achten und sich für den Schutz dieser Rechte einzusetzen.“ Und in Artikel 72: „Mitgliedsverbände und ihre Klubs dürfen nicht ohne die Zustimmung des anderen Mitgliedsverbands auf dessen Gebiet spielen.“ Stützt der Weltverband also indirekt die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik?

„Spieler fürchten Übergriffe“

In den vergangenen zehn Jahren hat die Fifa das Thema immer mal wieder aufgegriffen. 2017 drohte ein Ausschuss dem Israelischen Fußballverband mit Sanktionen, doch die Debatte ebbte ab. Seit dem 7. Oktober vertagte die Fifa mehrfach eine Entscheidung zu den Ausschlussforderungen gegen Israel. Eine Anfrage für diesen Artikel ließen die Fifa und auch die Uefa unbeantwortet. Der Israelische Fußballverband reagierte derweil mit einer schriftlichen Stellungnahme. Darin heißt es: „Der Israelische Fußballverband arbeitet gemäß allen Fifa-Regeln und es wurde nie etwas anderes festgestellt.“

Inzwischen leben mehr als 700.000 israelische Siedler in den besetzten Gebieten. Laut den Vereinten Nationen wurden seit dem 7. Oktober im Westjordanland rund 1.000 Palästinenser getötet. „An einen normalen Fußballbetrieb ist nicht zu denken“, sagt Funktionärin Susan Shalabi. „Unsere Spieler fürchten sich vor Übergriffen und werden an Kontrollpunkten stundenlang festgehalten.“ Etliche Spieler des palästinensischen Nationalteams sind seit Monaten im Ausland, um möglichen Reisebeschränkungen zu ent­gehen.

„Dämonisierung Israels“

An diesem Freitag spielen die israelischen Fußballer in der WM-Qualifikation gegen Moldawien und am Montag gegen Italien. Wieder werden wohl Aktivisten, Sportler und Parlamentarier ihre Boykottaufrufe erneuern. „Diese Forderungen bedienen ausschließlich die Dämonisierung und die Delegitimierung Israels“, sagt Alon Meyer, Präsident des jüdischen Sportverbandes Makkabi Deutschland. „Solche Aufrufe bestärken auch die antijüdische Stimmung in Deutschland.“

Seit dem 7. Oktober werden die Sportler von Makkabi auch in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien für die Politik der israelischen Regierung in Mithaftung genommen. „Und Boykottaufrufe gegen den Sport treffen auch diejenigen Menschen in Israel, die sich gegen die Kriegs- und Siedlungspolitik starkmachen“, sagt Alon Meyer.

Gemessen an der Bevölkerungszahl demonstrieren in Israel so viele Menschen gegen die Regierung wie in keinem anderen Land. Und der Sport beteiligt sich: Ziv Arie, Trainer von Hapoel Jerusalem, forderte stärkeren Einsatz für die Geiseln in Gaza. Und hunderte Ultras erinnern mit Bannern an Hersh Goldberg-Polin, einen Fan, der von der Hamas ermordet wurde. Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Vor Kurzem äußerte Benjamin Netanjahu Sympathien für ein „Groß-Israel“, indirekt für die Vertreibung der Palästinenser. Wie sollte der Sport reagieren? Eine Idee kommt aus Norwegen. Der norwegische Verband möchte das WM-Qualifikationsspiel gegen Israel nicht boykottieren, aber die Einnahmen an Organisationen spenden, die sich in Gaza engagieren.

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