Parlamentswahl in Argentinien: Öl, Gas, Lithium – und Glück
Am Sonntag finden Parlamentswahlen in der Provinz Buenos Aires statt. Ein Kampf zwischen Präsident Javier Milei und dem alten Kirchner-System.
E s sind schwierige Zeiten für Argentiniens libertären Präsidenten Javier Milei: In den vergangenen Wochen hat er im Kongress gut zehn Abstimmungen über Gesetze und Vetos verloren. Ein Korruptionsskandal sorgt täglich für neue Schlagzeilen, bei denen ein Name immer wieder genannt wird: Karina Milei. Sie ist nicht nur Generalsekretärin des Präsidialamts, sondern auch Mileis Schwester. Das kratzt kräftig am Image des Präsidenten, der mit dem Ziel angetreten war, genau solche Korruption abzuschaffen.
Unabhängig davon sinkt die Industrieproduktion, steigende Zinsen würgen die Kreditvergabe für Investitionen ab, während ein billig gehaltener Dollar Importe begünstigt und so die heimische Industrie zunehmend unter Druck setzt. Dieses negative Potpourri erweckt den Eindruck, als wären Mileis Tage als Präsident gezählt. Doch dem ist nicht so. Milei sitzt fest im Präsidentensessel. Das Fehlen einer Alternative in der Opposition ist sein größter Rückhalt. Denn der überraschende Sieg des Outsiders bei den Präsidentschaftswahlen 2023 hat die politische Landschaft Argentiniens nachhaltig erschüttert.
Alte Bündnisse sind zerbrochen, kurzlebige Allianzen werden geschlossen und wieder aufgelöst. Die Suche nach neuen und stabilen Bündnissen ist in vollem Gange. Mileis Parteienbündnis La Libertad Avanza (LLA, Die Freiheit schreitet voran) ist dabei am erfolgreichsten. Im Kampf um die Vorherrschaft im rechten Lager in der Hauptstadt Buenos Aires setzte sich die LLA im Mai bei der Wahl des Stadtparlaments gegen die Partei PRO des ehemaligen konservativen Präsidenten Mauricio Macri durch.
Als Mileis LLA vor Kurzem die PRO zur Aufstellung einer gemeinsamen Kandidat*innenliste für die bevorstehenden Teilwahlen zum Kongress im Oktober zwang, hat sie die bis dahin noch nicht übergelaufene Rest-PRO nahezu gänzlich geschluckt.

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Der Kampf um die Vorherrschaft rechts von der Mitte ist entschieden. Jetzt geht es gegen die letzte Bastion des Kirchnerismus. Am kommenden Sonntag wird das Parlament der Provinz Buenos Aires neu gewählt. „Kirchnerismo nunca más“ (Niemals wieder Kirchnerismus) lautet Mileis provozierender Wahlkampfslogan. In dieser Provinz lebt ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung des Landes, sie ist die letzte Hochburg der ehemaligen Präsidentin Cristina Kirchner.
Erwartet wird, dass der Kirchnerismus bei der Wahl am Sonntag die meisten Stimmen erhalten wird. Die spannende Frage lautet, wie dicht der Kirchnerismus Mileis LLA auf den Fersen ist. „Für die Kirchneristen wird das Wahlergebnis ihre endgültige Obergrenze sein, während unser Ergebnis nur die Basis sein wird, auf der wir aufbauen können“, prophezeite Milei.
Kurioserweise unterstreicht gerade ein Vergleich mit dem Namensgeber der linksnationalistischen Bewegung Mileis gute Aussichten für die kommenden Jahre, auch wenn die politischen Vorzeichen der beiden unterschiedlicher nicht sein könnten. Néstor Kirchner trat 2003 mit einer ähnlich schwachen Machtbasis als Präsident an wie Javier Milei 20 Jahre später. Beide übernahmen ein katastrophales wirtschaftliches und soziales Erbe. Kirchner war als ehemaliger Bürgermeister von Río Gallegos, der Hauptstadt der Provinz Santa Cruz und anschließend Gouverneur der Provinz, kein politischer Outsider.
Sozialen Protest kanalisieren
Auf nationaler Ebene war der schlaksige Mann aus Patagonien dennoch nahezu unbekannt. Im Präsidentenamt sicherte er sich die Unterstützung der sozialen Basisorganisationen, in dem er die Sozialhilfe über deren Funktionäre verteilen ließ. So kanalisierte er den sozialen Protest und gewann Rückhalt in der armen Bevölkerung.
Ganz anders Milei. Er entzog den Funktionären diese Verteilerfunktion, lässt die Sozialhilfe über personalisierte Geldkarten direkt den Berechtigten zukommen und sichert sich auf diese Weise soziale Befriedung. Den Funktionären wurde so das Druckmittel genommen, mit der Androhung von Leistungskürzungen die Hilfsempfänger zur Teilnahme an Protestaktionen zu bewegen. Tatsächlich sind seither die Proteste sowie deren Teilnehmendenzahl stark gesunken.
„Kirchner hat Glück und Soja“, erklärte der ehemalige Präsident Carlos Menem (1989–1999) den Erfolg Kirchners, der damit einen neuen politischen und wirtschaftlichen Zyklus einläutete. Der Sojaboom begann Anfang der Nullerjahre. Argentiniens Agrarwirtschaft fuhr nicht nur eine Rekordernte nach der anderen ein. Die steigende Nachfrage aus Asien trieb den Weltmarktpreis auf immer neue Höhen, füllte über die Exportsteuererlöse die Staatskasse und gab Präsident Kirchner einen unerwartet großen finanziellen Handlungsspielraum.
Milei hat Glück und Öl, Gas, Kupfer und Lithium, könnte es bald heißen. Die Prognosen des Wirtschaftsministeriums sagen einen jährlichen Anstieg der Nettoexporte bei diesen Gütern voraus. Bis 2027 soll der Wert auf 18 Milliarden Dollar steigen, bis 2033 gar auf 54 Milliarden Dollar. Wie viel eine Exportsteuer in die Staatskasse spülen könnte, ist offen, da für den libertären Präsidenten alles Staatliche das Böse schlechthin ist. Das Back-up für Milei dürfte jedoch dem von Néstor Kirchner kaum nachstehen. 20 Jahre später scheint ein neuer politischer und wirtschaftlicher Zyklus zu beginnen.
Für Argentiniens Wirtschaftselite ist Milei jedoch nicht nur ein Glücksfall. Seine rigorose Sparpolitik wird öffentlich bejubelt. Hinter verschlossenen Türen werden seine Wutausbrüche und Hasstiraden als für das Investitionsklima nicht förderlich kritisiert. Und bei so mancher finanzpolitischen Anordnung des Präsidenten ist Zähneknirschen inzwischen nicht zu überhören.
Was jedoch ansteht, sind tiefgreifende Reformen im Steuer- und Arbeitsrecht. Für deren Durchsetzung ist Milei für sie der richtige Mann. Oder um es mit den erst kürzlich geäußerten Worten des „Sojakönigs“ Gustavo Grobocopatel zu sagen: „Lasst uns Milei helfen und möge dann ein Präsident kommen, der uns besser gefällt.“
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