Ukraine-Gipfel bei Trump: Die Kunst des strategischen Schmeichelns
Wolodymyr Selenskyj und seine Verbündeten haben gelernt, wie man Trump umgarnt. Ob es zu einem Treffen mit Putin kommen wird, ist trotzdem unsicher.

G espräche hier, Luftalarm dort. Fast pünktlich auf die Minute, als die europäischen Politiker zu ihrem Treffen mit US-Präsident Trump und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj am Weißen Haus eintrafen, ertönten in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw die Sirenen. Allein am Montag wurden nach ukrainischen Angaben zehn Menschen bei erneuten russischen Luftangriffen getötet. Damit zeigt Russlands Machthaber Putin der Welt, was er von Friedensgesprächen hält.
Dementsprechend mit Vorsicht ist auch Trumps Verlautbarung nach dem Treffen und seinem Telefonat mit Putin im Anschluss zu lesen. Der US-Präsident schrieb auf Truth Social, er bereite ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj vor, bevor es zu einem Dreier-Gipfel mit ihm kommen solle. Doch bislang hat sich lediglich Selenskyj öffentlich zu einem Gespräch bereit erklärt. Putin kommuniziert lieber mit Raketen.
Dabei unterstreichen die russischen Angriffe die beiden Hauptforderungen, mit der die europäischen Politiker und Selenskyj nach Washington gekommen waren. So ist es gut, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Friedrich Merz Trump klarmachten, dass die Waffen schweigen müssen: „Wir alle möchten einen Waffenstillstand sehen, spätestens ab dem nächsten Treffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das nächste Treffen ohne Waffenstillstand stattfindet“, sagte Merz zu Trump. Nach Trumps Kumpelei mit Putin in Alaska hatte der US-Präsident nichts mehr davon wissen wollen.
Auch wiederholten die Europäer gegenüber Trump mehrmals ihre zweite Hauptforderung: Einen eventuellen Friedensschluss kann es nur mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine geben, entweder durch eine Art Beistandsklausel oder durch Soldaten aus Drittländern in der Ukraine. Hier äußerte sich Trump offen. Der US-Präsident sagte zwar, dass die Europäer die Hauptlast tragen würden, aber er sicherte seine Hilfe zu.

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Vance nur in der zweiten Reihe
Nun weiß man um die Trump’schen Kapriolen, und was er heute sagt, kann morgen überholt sein. Und weil es eigentlich keine substanziellen Ergebnisse gibt, fällt auch das Urteil schwer, ob das Treffen im Weißen Haus denn ein Erfolg war oder nicht. Vielleicht sollte man die Zusammenkunft eher als eine Notwendigkeit betrachten, eine doppelte Korrektur, die nach diesen Maßstäben durchaus geglückt ist.
Einerseits stärkte der vereinte Auftritt im Weißen Haus die Position der Ukraine, was nötig war, nachdem Putin Trump in Alaska umsäuselt hatte. Andererseits rehabilitierte das Treffen den ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Washington, wo dieser vor einem halben Jahr noch von Trump und seinem Vize J.D. Vance vor laufenden Kameras gedemütigt worden war. So saß Vance diesmal wortwörtlich nur in der zweiten Reihe, während die Erwachsenen sich am Tisch unterhielten.
Und das funktionierte. Selenskyj und seine Verbündeten formulierten ihre Forderungen klar gegenüber Trump, verpackten sie aber in allerlei Lob und Dank. Selenskyj trug sogar einen Anzug, scherzte darüber mit jenem rechten Journalisten, der ihn im Februar noch für sein Outfit angegangen hatte, und überreichte Trump einen Brief seiner Frau an die amerikanische First Lady.
Der ukrainische Präsident und seine europäischen Partner haben also die Kunst des strategischen Schmeichelns gelernt. Denn sie wissen: Von dem großen Ego im vergoldeten Oval Office kann am Ende die Zukunft der Ukraine abhängen.
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