piwik no script img

Foto: getty images

Klimakrise in der StadtIm Bett wird’s hot

Bei Hitze schläft sich's schlechter. Die taz hat in Berliner Schlafzimmern zwei Monate Temperaturen gemessen. Die Ergebnisse zeigen, was Kühle bringt.

W enn Anja Steinke abends vor dem Einschlafen das Fenster öffnet, um das Zimmer zumindest noch ein bisschen abzukühlen, hört sie die Autos vorbeirauschen und das Quietschen der S-Bahn-Gleise. Am 2. Juli dieses Jahres gegen 23 Uhr zeigt ihr Thermometer 28,2 Grad Celsius, über Nacht wird ihr Schlafzimmer nicht weiter abkühlen. „Mit offenem Fenster kann ich nicht schlafen, das ist mir viel zu laut“, sagt die 42-jährige Leiterin einer NGO, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung nennen möchte.

Die Wohnung von Angela Isphording liegt keine drei Kilometer entfernt – und zumindest innen gefühlt wie in einer anderen Klimazone. Als sie am 2. Juli gegen 22.30 Uhr ins Bett geht, ist ihr Zimmer 24,1 Grad warm, ein Unterschied von mehr als 4 Grad. Die beiden Häuser trennen rund 80 Jahre Fortschritt bei Baustoffen und dem Umgang mit Hitze. Angela Isphording profitiert von dreifach verglasten Fenstern, besserer Isolierung und einer Kühlung über ihre Fußbodenheizung.

Dass die Temperatur in ihren Schlafzimmern so gut nachvollziehbar ist, liegt an den Thermometern, die Steinke, Isphording und neun weitere Berliner Haushalte von der taz erhalten haben. Geografisch sind sie alle sehr nah beieinander. Damit wollen wir zumindest punktuell Daten erheben, die bisher nicht verfügbar sind. Satelliten und Wetterstationen messen überall auf der Welt die Temperatur der Luft und von Oberflächen. Wir wissen also sehr genau, wie warm das Hausdach und die Luft vor dem Fenster sind. Für den Schlaf ist aber viel entscheidender, wie warm es im Schlafzimmer ist.

Ab Mitte Juni haben wir in den elf Schlafzimmern digitale Thermometer aufgestellt. Sie erheben dort minutengenau Temperatur und Luftfeuchtigkeit und senden die Daten automatisiert an einen Server, sodass wir sie auswerten können. Nach zwei Monaten lässt sich festhalten: Die Temperaturen in den Schlafzimmern waren hoch. Der Mittelwert von sämtlichen Messwerten, die an den Server gesendet wurden, liegt bei 24,1 Grad.

Und das, obwohl der Extremsommer ausgeblieben ist und gerade der Juli in der Wahrnehmung vieler Ber­li­ne­r:in­nen eher kalt und regnerisch war. Laut Deutschem Wetterdienst fiel fast dreimal so viel Niederschlag wie für den Monat üblich, die Sonne schien ein Fünftel weniger. Dennoch war der Juli in Berlin etwa 1,5 Grad wärmer als im langjährigen Mittel. An einzelnen Tagen wurde es sogar sehr heiß, wie am 2. Juli. Diese Hitzephasen hielten zwar nur kurz an, die Stadt konnte sich ent­sprechend weniger stark aufheizen und die Hitze speichern. Aber alles in allem reichte es, um Berlins Schlafzimmer aufzuheizen.

Aus den von uns erhobenen Daten lässt sich viel ablesen. Über die Auswirkungen von Hitze auf Menschen in der Stadt und darüber, wie Schlafzimmer und Wohnungen in Zukunft ausgestattet sein sollten, um die Menschen bei steigenden Temperaturen nicht zusätzlich zu stressen.

„Eine wichtige Voraussetzung für unseren Schlaf ist, dass etwa ab 18 Uhr die Körpertemperatur langsam absinkt“, sagt Schlafforscher Dieter Riemann, der die Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Freiburg leitet. Bei Hitze passiert das erst später und weniger stark, sodass der Körper schlechter in den Schlafmodus kommt. Die Nacht selbst wird unruhig, die Menschen schlafen weniger tief und damit auch weniger erholsam. Am nächsten Tag sind sie weniger ausgeruht.

„Eine Nacht mit schlechtem Schlaf ist kein Problem“, sagt Riemann. Aber nach mehreren Nächten wirke sich das auch auf das psychische Befinden aus. Die ideale Temperatur nachts im Schlafzimmer liege bei etwa 19 Grad, „zumindest unter 20 Grad sollte sie sein“.

In den vergangenen Monaten erreichten nur 3 der 11 Thermometer temporär eine Nachttemperatur von unter 20 Grad. Die anderen Thermometer sanken nie unter diese Grenze. Betrachtet man den Mittelwert pro Wohnung für die Stunden zwischen 22 Uhr und 6 Uhr, variieren die Werte zwischen 20,7 und 27 Grad.

Die Menschen sind den hohen­ Temperaturen aber nicht schutzlos ausgeliefert. Durch ihr Verhalten haben sie zumindest einen kleinen Einfluss darauf, wie sich die Temperatur in ihrer Wohnung entwickelt. „Die Ultima Ratio wäre natürlich eine Klimaanlage, aber die verbraucht sehr viel Energie. Im Klimawandel hieße das: Kurzfristig geht es mir gut, langfristig wird alles noch schlimmer“, sagt Dieter Riemann.

Stattdessen sollte man möglichst in den kühlen Morgen- und Abendstunden lüften und sowohl die Fenster als auch Rollläden oder zumindest Vorhänge tagsüber geschlossen halten. In südeuropäischen Ländern ist dieses Verhalten ganz normal: In den heißen Mittags- und Nachmittagsstunden sind die Rollläden dicht und die Straßen menschenleer. „Ein Ventilator neben dem Bett kann nachts zumindest für etwas Abkühlung sorgen“, empfiehlt der Schlaf­forscher außerdem. An besonders heißen Tagen könne man auch eine Sprühflasche verwenden, die man mit kaltem Wasser füllt und mit der man sich nachts gelegentlich einsprüht.

Natürlich bestätigt die Datenauswertung auch, dass die Temperatur stark von baulichen Faktoren und der direkten Umgebung abhängt. Ist es leise genug, um nachts lüften zu können? Gibt es schattenspendende Bäume? Hier hilft kein eigenes Handeln in der Wohnung – aber vielleicht ein Brief an die Abgeordnete.

Jens Grunwald, 45, Ehrenamtler

Das nach Süden ausgerichtete Fenster, die schlechte Isolierung und die fehlenden Rollläden – das Schlafzimmer von Jens Grunwald bietet eigentlich ziemlich gute Voraussetzungen, um an Sommertagen Hitze aufzunehmen. In den Messwerten des Thermometers zeigt sich das jedoch nicht. Als die Außentemperatur am 2. Juli auf 37,4 Grad Celsius stieg, erhitzte sich das Schlafzimmer von Grunwald nicht einmal auf 28 Grad.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob Sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Im Vergleich mit den anderen zehn Berliner Schlafzimmern war es bei ihm damit nicht außergewöhnlich warm. Ein entscheidender Grund dafür, dass sich die hohen Außentemperaturen nicht so stark auf das Zimmer auswirken, ist eine große Linde, die einen Großteil des Schlafzimmerfensters im zweiten Stock verschattet. Einerseits verhindert der Baum, dass die Sonne direkt ins Zimmer scheint, andererseits kühlt die Linde die Umgebung ab. Gegenüber dem Wohnhaus befindet sich zudem eine Kleingartenanlage. Die Anlage beeinflusst das Mikroklima positiv, indem sie verhindert, dass sich die unmittelbare Wohnumgebung so stark aufheizt, wie es etwa mit viel Asphalt der Fall wäre. Auch kleinere Grünflächen und Bepflanzungen wirken.

Birgit Bergmann, 58, Stadtführerin

Das Haus, in dem sich Birgit Bergmanns Altbauwohnung befindet, wurde 1906 gebaut und nie energetisch saniert. Das bedeutet, dass sie immer noch alte Fenster hat. In Bergmanns Schlafzimmer scheint ab etwa 14 Uhr bis in den Abend die Sonne, da das Fenster und die Balkontür nach Westen ausgerichtet sind. Viel Verschattung gibt es nicht. „Die Vorhänge sind nur Zierde“, sagt Bergmann.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob Sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Die höchste Temperatur hat das Schlafzimmer deshalb in den Abendstunden, wenn es sich durch die Sonne tagsüber aufgeheizt hat. Bergmann wohnt verhältnismäßig ruhig und nutzt diesen Vorteil. Bevor sie ins Bett geht, öffnet sie Fenster und Balkontür, im Sommer bleiben sie über Nacht offen. Dementsprechend zeigt das Thermometer die niedrigsten Temperaturen in den frühen Morgenstunden. Am 2. Juli, einem besonders heißen Tag, wurde mit 22,9 Grad die niedrigste Temperatur um 3.30 Uhr gemessen.

Beim Aufstehen zwischen 7 und 8 Uhr schließt Bergmann die Fenster wieder, kann damit sie aber nicht komplett verhindern, dass trotzdem Wärme in die Wohnung gelangt. Am 2. Juli erreichte die Temperatur ihren Höhepunkt von 28,3 Grad gegen 18 Uhr.

Angela Isphording, 62, selbstständig

Neu gebaute oder renovierte Häuser profitieren von besserer Isolierung und dreifach verglasten Fenstern, aber auch von neuer Technologie, wie sie unter Angela Isphordings Füßen verläuft. Das 2012 fertiggestellte Haus, in dem ihre Eigentumswohnung liegt, ist mit einer Fußbodenheizung ausgestattet. Im Winter wärmt Geothermie. Im Sommer fließt durch die Fußbodenheizung kaltes Wasser und kühlt die Zimmer leicht ab.

Den kühlenden Effekt einer Klimaanlage hat das nicht, auch die Temperatur kann Isphording nicht einstellen. „Am Schreibtisch bekommt man im Sommer ganz schön kalte Füße“, sagt sie. Zusammen mit der Isolierung hält die Kühlung die Temperatur sehr konstant bei etwa 24 Grad. Zudem ist das Schlafzimmer in Richtung Norden ausgerichtet, somit gibt es kaum direkte Sonneneinstrahlung. Die höchste gemessene Temperatur in der Nacht lag bei 25 Grad, das ist der niedrigste Höchstwert unter den Thermometern.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob Sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Und auch noch nicht zu kalt. Wenn der Unterschied zwischen Außenhitze und Innenluft zu groß wird, kann der Wechsel wiederum unter anderem den Kreislauf belasten. Mehr als 10 Grad Unterschied empfehlen Ex­per­t:in­nen nicht.

Anja Steinke, 42, Leiterin einer NGO

Bereits am frühen Morgen scheint die Sonne in das Schlafzimmer von Anja Steinke. Das Zimmer im 4. Stock ist gleichzeitig Schlaf- und Arbeitszimmer, tagsüber sitzt die 42-Jährige dort meistens im Homeoffice am Schreibtisch und leitet eine NGO. Die Rollläden lässt Steinke an heißen Tagen oft bis in den Nachmittag geschlossen, trotzdem heizt sich ihr Zimmer bereits morgens auf. Am 18. August erreichte die Temperatur bereits um kurz nach 5 Uhr den höchsten bei Steinke gemessenen Wert: 33,5 Grad Celsius.

Um schlafen zu können, macht Steinke das Fenster zu, der Tempelhofer Damm vor ihrem Fenster hält sie mit seinem Straßenlärm sonst wach. „Dann schlafe ich lieber in einem warmen Zimmer. Meine Wohlfühlschlaftemperatur liegt bei 27 Grad.“ Dass die ideale Temperatur individuell unterschiedlich ist, bestätigt auch Schlafforscher Dieter Riemann: „Es gibt sicher Leute, die mit 21 Grad im Schlafzimmer nachts kein Problem haben.“ Spätestens ab einer Raumtemperatur von 25 Grad nehme die Erholung aber definitiv ab.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob Sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

In der Vergangenheit hat Anja Steinke durchaus versucht, mit technischen Hilfsmitteln die Temperatur zu senken. Sie hat sowohl einen Ventilator als auch eine kleine Klimaanlage ausprobiert. „Aber die Wirkung war immer nur sehr kurzfristig.“ So bleibt ihr nur, vor dem Einschlafen und nach dem Aufstehen stoßzulüften und das Zimmer tagsüber abgedunkelt zu halten.

Projektmitarbeit: Lalon Sander und Luise Strothmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare