
10 Jahre Fluchtsommer: Was haben wir geschafft?
Seit 2015 ist das Thema Migration allgegenwärtig. Ein Zeitstrahl zu den prägenden gesellschaftlichen und politischen Ereignissen.
Inhaltsverzeichnis
- Januar 2015
- April 2015
- Mai 2015
- August 2015
- August 2015
- September 2015
- September 2015
- September 2015
- Oktober 2015
- November 2015
- Dezember 2015
- März 2016
- März 2016
- Februar 2017
- Juni 2018
- August 2018
- April 2019
- Juni 2019
- März 2020
- September 2020
- November 2021
- Februar 2022
- Dezember 2022
- Juni 2023
- Juli 2023
- Oktober 2023
- Februar 2024
- April 2024
- August 2024
- Oktober 2024
- Oktober 2024
- Februar 2025
- Mai 2025
Januar 2015
Schon im Vorjahr ist die Zahl der Geflüchteten, die nach Europa kommen, deutlich gestiegen. Jetzt werden es noch mehr. Viele flohen vor dem Bürgerkrieg in Syrien oder der Gewalt der Taliban in Afghanistan, aber auch aus afrikanischen Ländern kommen manche. Oft sind sie bereits seit Jahren unterwegs, fanden zwischenzeitlich prekären Schutz in Ländern wie der Türkei.
April 2015
In der Nacht vom 18. April kentert bei einer Rettungsaktion ein Flüchtlingsboot vor der libyschen Küste. Nur 28 der rund 800 Menschen an Bord überleben. Es ist eine der schlimmsten Katastrophen auf dem Mittelmeer bis dahin.
Mai 2015
Am 19. Mai gründen Aktivist*innen den Verein Sea-Watch. Sie beschreiben sich als Menschen „die dem politisch kalkulierten Sterbenlassen im Mittelmeer nicht länger tatenlos zusehen konnten“.
August 2015
Immer mehr Geflüchtete kommen über den Balkan und Österreich nach Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nennt die Aufnahme der Geflüchteten eine „große nationale Aufgabe“ und versichert: „Wir schaffen das“.
August 2015
Deutschland setzt am 25. August das Dublin-Verfahren für Syrer*innen aus, weil die Abschiebungen ohnehin kaum funktionieren. Syrer*innen werden nicht mehr in das Land zurückgeschickt, in dem sie zuerst EU-Boden betreten haben. Stattdessen übernimmt Deutschland ihre Asylverfahren. Damit wird das Land zunehmend zum Hauptziel für flüchtende Syrer*innen.
Zehn Jahre Flüchtlingssommer 2015: Die großen Fragen von damals sind die großen Fragen von heute – ganz egal, ob es um Grenzkontrollen, Integration oder die AfD geht. Die taz sucht in einem Sonderprojekt Antworten.
September 2015
Am 2. September wird der Leichnam des zweijährigen Alan Kurdi an die türkische Mittelmeerküste nahe Bodrum geschwemmt. Das Bild von ihm geht um die Welt und wird zum traurigen Symbol für die tödliche Abschottungspolitik der Europäischen Union. Auch seine Mutter und sein Bruder sterben bei dem Versuch, auf dem Seeweg in die EU zu kommen.
September 2015
Auf der Balkanroute stranden immer mehr Geflüchtete in Ungarn. Am 4. September entscheiden Deutschland und Österreich, zehntausende von ihnen aufzunehmen. Fotos von langen Kolonnen Geflüchteter gehen um die Welt. Aktivist*innen bringen Schutzsuchende über die Grenze. An den Bahnhöfen wird geklatscht. Der Begriff „Willkommenskultur“ etabliert sich für die anhaltende Atmosphäre der Hilfsbereitschaft. Aber die Behörden sind zunehmend überfordert.

September 2015
Bundesinnenminister Thomas de Maizière führt am 13. September Grenzkontrollen an der Grenze zu Österreich ein. Eine Anordnung, Geflüchtete entgegen dem Europarecht zurückzuweisen gibt er aber nicht. Konservative und Rechte beklagen dies als angebliche Grenzöffnung. Faktisch ist es aber nur die Entscheidung gegen eine illegale Grenzschließung.
Oktober 2015
Der Bundestag beschließt am 15. Oktober ein „Maßnahmenpaket zur Bewältigung des Flüchtlingsandrangs“. Darin sind unter anderem enthalten: Einstufung der Länder Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten und der Wechsel von Bargeld zu Sachleistungen sowie Leistungskürzungen für Geflüchtete.
November 2015
Hunderttausende Geflüchtete sind über den Sommer und Herbst nach Deutschland gekommen, bald sind es knapp eine Million. In der Union rumort es zunehmend, viele wollen Merkels Politik der Flüchtlingsaufnahme nicht mehr mittragen. Auf dem CSU-Parteitag in München am 20. November liefern sich Merkel und Bayerns CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer einen Schlagabtausch. Merkel lehnt die CSU-Forderung nach einer Obergrenze für Zuwanderung strikt ab.
Dezember 2015
In der Silvesternacht gibt es in Köln hunderte sexuelle Übergriffe. Danach wird debattiert – meist über die Herkunft der Täter. Die AfD hetzt Tag um Tag gegen Geflüchtete. Medienwissenschaftler bezeichnen die Silvesternacht als einen Wendepunkt für die Berichterstattung zu Migration. Auch in der Politik ist plötzlich vieles anders: Auf dem Neujahrsempfang der CDU am 22. Januar 2016 sagt Merkel: „Eines ist klar, wir müssen die Zahl der Flüchtlinge spürbar reduzieren. Daran arbeiten wir mit Nachdruck.“
März 2016
Die AFD erzielt bei drei Landtagswahlen Rekordergebnisse. In Sachsen-Anhalt werden die Rechtspopulisten mit 24,3 Prozent zweitstärkste Kraft. Auch in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zieht die AfD mit zweistelligen Ergebnissen in die Landtage ein.
März 2016
Die Europäische Union und die Türkei unterzeichnen am 18. März den sogenannten Flüchtlingsdeal. Die Türkei soll möglichst viele Geflüchtete an der Weiterfahrt nach Europa hindern. Personen, die es übers Meer schaffen, sollen zurückgebracht werden. Im Gegenzug verpflichtet sich die EU, sechs Milliarden Euro für die Aufnahme von Geflüchteten in der Türkei zu zahlen und in einem geordneten Prozess Schutzsuchende von dort aufzunehmen. In der Praxis funktioniert nichts davon. Stattdessen entsteht ein brutales Abschottungsregime. Die Ankunftszahlen in Deutschland sinken deutlich.
Februar 2017
Die italienische Regierung und die EU unterzeichnen ein Migrationsabkommen mit Libyen. Ein EU-Gipfel beschließt kurz darauf die „Malta-Deklaration“. In beiden Abkommen geht es um Unterstützung für die sogenannte libysche Küstenwache, die nicht viel mehr ist als eine Miliz. Bald gibt es Berichte über Folter, Sklaverei und Hinrichtungen in den Flüchtlingslagern in Libyen. Zwischen 2017 und 2024 überweisen die EU und Italien mindestens 59 Millionen Euro dorthin.
Juni 2018
Ende Juni gründet sich in Deutschland die Protestbewegung „Seebrücke. Schafft sichere Häfen“. Sie fordert Seenotrettung auf dem Mittelmeer und Zugang zum Flüchtlingsschutz in Deutschland. In zahlreichen Städten gehen seit Anfang Juli mehr als 150.000 Menschen für ihre Forderungen auf die Straße.
August 2018
Die Stadt Freiburg im Breisgau wird am 1. August die erste Stadt, die sich als „Sicherer Hafen“ erklärt. Gemeint sind Kommunen, die geflüchtete Menschen willkommen heißen und bereit sind, mehr Menschen aufzunehmen. Heute gibt es 320 Sichere Häfen.
April 2019
Die Institutionen der Europäischen Union beschließen die Grenzschutzagentur Frontex weiter auszubauen. Bis 2027 soll eine ständige Reserve von 10.000 Grenzschutzbeamt*innen entstehen. Die räumliche Begrenzung der Frontex-Einsätze auf unmittelbar angrenzende Staaten soll aufgehoben werden.
Juni 2019
In der Nacht zum 29. Juni nehmen italienische Polizeibeamte Carola Rackete, Kapitänin der Sea Watch 3, fest. Das Seenotrettungsschiff wurde über mehrere Wochen in keinen Hafen gelassen. Da sich die gesundheitliche Lage der Geflüchteten an Bord zunehmend verschlimmert, entscheidet sich Rackete ohne die Erlaubnis in einem italienischen Hafen anzulegen. Schnell kommen mehr als 200.000 Euro an Spendengelder für die Gerichtskosten zusammen.
März 2020
Das EU-Türkei-Abkommen bricht zusammen. Um Druck auf die EU-Staaten zu machen, schickt die Türkei gezielt Geflüchtete über die Grenze nach Griechenland. Griechische Grenzschützer drängen sie mit brutaler Gewalt zurück. Kritik an diesen illegalen Pushbacks gibt es von den Regierungen der anderen EU-Staaten nicht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versichert Griechenland gar die „volle Solidarität“ und Unterstützung beim Grenzschutz.
September 2020
Das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos brennt ab. Zeitweise lebten hier 20.000 Menschen unter elendigen Bedingungen. Der Brand wird zum Symbol einer gescheiterten, inhumanen Abschottungspolitik an den EU-Außengrenzen. Europaweit gibt es Demonstrationen. In Deutschland fordert ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis die sofortige Evakuierung der Menschen aus Moria und anderen griechischen Lagern. Die Aktion heißt „Es reicht! Wir haben Platz“.

November 2021
Am 24. November 2021 einigt sich die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP auf einen Koalitionsvertrag. Er weckt Hoffnung auf eine humanere Fluchtpolitik. „Wir wollen einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird.“ heißt es in dem Dokument etwa.
Februar 2022
Russland überfällt die Ukraine, millionen Menschen müssen fliehen. Wie im Sommer 2015 ist die Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung zunächst groß. Zum ersten Mal setzt die EU die Massenzustromrichtlinie in Kraft. Ukrainer*innen erhalten durch sie Schutz in EU-Staaten, ohne einen Asylantrag stellen zu müssen. Auch bei Sozialleistungen und Unterbringung gelten für die Ukrainer*innen andere Regeln als für reguläre Asylbewerber*innen.
Dezember 2022
Das Gesetz zur Einführung des Chancen-Aufenthaltsrecht tritt am 31. Dezember in Kraft. Langjährig Geduldeten bekommen so Zugang zu einem legalen Aufenthaltstitel. Expert*innen loben den Schritt.
Juni 2023
Am 14. Juni kentert ein Schiff mit mehr als 750 Geflüchteten an Bord vor der griechischen Küste. Mindestens 600 Menschen sterben. Die griechische Küstenwache hatte das Schiff über 15 Stunden beobachtet, ohne einzugreifen, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen wäre. Erst 2025 wird ein Strafverfahren eingeleitet.
Juli 2023
Die EU und Tunesien unterzeichnen am 16. Juli eine Absichtserklärung, dass Geflüchtete an der Überfahrt nach Europa gehindert werden sollen. In der Praxis bedeutet das brutale Gewalt. Mit dem Deal unterstützt die EU das menschenrechtswidrige Handeln der tunesischen Regierung mit knapp einer Milliarde Euro.
Oktober 2023
In der Ausgabe vom 21. Oktober titelt das Wochenmagazin Der Spiegel „Wir müssen im großen Stil abschieben“. Der Satz stammt aus einem Interview mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Von den Versprechen der Ampel auf eine menschlichere Fluchtpolitik ist fast nichts mehr geblieben.
Februar 2024
Ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung tritt in wesentlichen Teilen am 27. Februar in Kraft. Unter anderem sollen Abschiebungen erleichtert, Anforderungen an einen Asylfolgeantrag verschärft und die Gründe für eine Ablehnung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ ausgeweitet werden.
April 2024
Nach jahrelangen Verhandlungen beschließt das EU-Parlament die Reform des EU-Asylsystems GEAS. Vorgesehen sind unter anderem Schnellverfahren an den Außengrenzen unter Haftbedingungen. Auch illegale Pushbacks werden erleichtert. Den lange geforderten verpflichtenden Verteilmechanismus für Geflüchtete innerhalb der EU enthält die Reform nicht.

August 2024
Am 30. August schiebt Deutschland zum ersten Mal seit der Machtübernahme der Taliban vor drei Jahren wieder Menschen nach Afghanistan ab. Menschenrechtler*innen sind entsetzt, denn den Abgeschobenen droht Folter und Todesstrafe.
Oktober 2024
Italiens extrem rechte Regierung eröffnet am 11. Oktober in Albanien zwei Aufnahmezentren für ausgelagerte Asylverfahren. Wenige Tage später erreicht ein erstes italienisches Marineschiff mit 16 Asylsuchenden die Zentren. Nach einem Gerichtsurteil aus Rom werden drei Tage später aber alle nach Italien gebracht. Bis heute verhindern Gerichte immer wieder, dass die Lager so genutzt werden, wie es die italienische Regierung plante.
Oktober 2024
Am 31. Oktober tritt in Deutschland das sogenannte „Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ in Kraft. Die darin enthaltenen massiven Verschärfungen betreffen das Asyl- und Aufenthaltsrecht sowie das Asylbewerberleistungsgesetz.
Februar 2025
Im Wahlkampf für die Bundestagswahl ist Migrationspolitik das Hauptthema. Die „Asylwende“ wird zu Friedrich Merz' großem Versprechen. Nach einem Messerangriff durch einen Geflüchteten in Aschaffenburg sind CDU und CSU bereit, mit der AfD zu kooperieren. Sie verabschieden mit ihr einen Antrag im Bundestag.
Mai 2025
Direkt nach Amtsantrifft ordnet Bundesinnenminister Alexander Dobrindt an, dass Asylsuchende an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden sollen. Expert*innen erkennen darin einen eindeutigen Verstoß gegen Europarecht. Auch das Berliner Verwaltungsgericht entscheidet in einem Fall so. Dennoch halten Dobrindt und Kanzler Friedrich Merz an den Zurückweisungen fest.
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