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Rechte Proteste in GroßbritannienKeine Hotels für Asylsuchende

Erneut organisiert die britische Rechte landesweite Proteste. Gefordert wird die Schließung von Hotels, in denen Geflüchtete auf Staatskosten leben.

Orpington, UK, am 22. August: Demonstration gegen die Unterbringung von Asylsuchenden in Hotels Foto: Alberto pezzali/ap

London taz | Erneut ist es am Wochenende im Vereinigten Königreich zu landesweiten Protesten gegen die Hotelunterbringung von Asylbewerbern gekommen. Unter Slogans wie „Abolish Asylum System“ gehen seit Freitagabend in den englischen Städten Bristol, Liverpool, Oxford, Leeds, Cheshunt, Exeter, Tamworth, Cannock, Nuneaton, Wakefield, Newcastle, Horley, Bournemouth und Portsmouth, im schottischen Perth und Aberdeen, im walisischen Cardiff und Mold und im nordirischen Antrim teils Hunderte von Menschen auf die Straße.

Gegenproteste antirassistischer Netzwerke, vor allem von der Gruppe „Stand Up to Racism“, stellten sich ihnen entgegen. Oft waren letztere größer. In Bristol und Liverpool kam es fast zu Reibereien. Da war es nur ein kleiner Trost, dass in den Docklands von London, wo es bereits vor Wochen zu Protesten gekommen war, rechte Ak­ti­vis­t:in­nen nicht mehr als zehn Personen mobilisieren konnten. Zahlreiche Menschen wurden festgenommen.

Beflügelt wurden die erneuten Proteste vor allem durch eine gerichtliche Verfügung vom vergangenen Dienstag, wonach bis zum 12. September Asylbewerber aus dem Bell Hotel in Epping geräumt werden müssen. In dem kleinen, relativ abgelegenen Ort neben einem riesigen Wald östlich von London hatten die neuen Antiflüchtlingsproteste im Juli begonnen, nachdem ein im Bell Hotel untergebrachter äthiopischer Asylbewerber, der kurz vorher mit einem Boot über den Ärmelkanal gekommen sein soll, der sexuellen Nötigung eines 14-jährigen Mädchens angeklagt worden war. In Horley in Südengland gab es einen ähnlichen Fall, wo ein 26-jähriger Einwanderer vergangene Woche der sexuellen Übergriffe auf drei Frauen schuldig gesprochen wurde.

Die von den Konservativen geführte Kommunalbehörde von Epping Forest legte Beschwerde gegen die Umwidmung des Hotels zur Flüchtlingsunterkunft ein und listete alle möglichen Bedenken auf: Sicherheit, die Kosten der Polizeimaßnahmen, Verkehrschaos, das Wohl der gemeinschaftlichen Beziehungen. Sie bekam Recht, weil die Besitzer des Hotels keinen Antrag zur Nutzungsveränderung bei der Gemeinde gestellt hatten.

Kosten in Milliardenhöhe für den Staat

Andere Gemeinden wollen sich nun an Epping ein Beispiel nehmen und ebenfalls die Schließung von Flüchtlingshotels erzwingen – nicht nur konservativ geführte, sondern auch solche von der rechtspopulistischen Reform UK und auch von der regierenden Labour-Partei. Die Unterbringung von Asylsuchenden in Hotels gehen auf die Politik der konservativen Vorgängerregierung zurück, die nach dem starken Anstieg der Zahlen von Bootsflüchtlingen aus Frankreich keine andere Möglichkeit sah. Inzwischen kostet das den Staat umgerechnet rund 2,4 Milliarden Euro pro Jahr. Heute tun die Tories so, als sei es nicht ihr Problem und hoffen, dass man es ihnen abkauft.

Die seit Juli 2024 amtierende Labour-Regierung hat angekündigt, Hotelunterbringungen bis 2029 zu beenden, doch es sind immer noch 210 im ganzen Land. Laut der letzten Statistik des Innenministeriums sind derzeit 32.000 Asylsuchende auf Staatskosten in Hotels untergebracht, unter anderem in bekannten Hotelketten wie Holiday Inn, Radisson, Marriott und Sheraton. Zudem wurde jetzt bekanntgegeben, dass seit Labours Regierungsübernahme 110.000 Menschen Asyl in Großbritannien beantragt haben.

Was die Proteste dieses Wochenende zusätzlich anheizte, war die Ankündigung von Labour-Innenministerin Yvette Cooper am Freitag, gegen die richterliche Verfügung in Epping Berufung einlegen zu wollen, um statt einer schnellen Räumung „ordentliche Maßnahmen“ durchzuführen. Auf der Straße hatte man für „ordentliche Maßnahmen“ eher weniger Verständnis.

Nigel Farage stellt sich an die Spitze des Protests

Obendrein feuerte Reform-Führer Nigel Farage die Proteste an und rief dazu auf, dass es Leute im ganzen Land Epping nachmachen sollten.

In einem Interview verkündete Farage, dessen Partei seit Monaten alle britischen Meinungsumfragen anführt, dass seine Partei im Falle einer Regierungsübernahme tägliche Abschiebeflüge starten und Asylsuchende ansonsten in britische Überseegebiete verfrachten werde.

Zunehmend an Akteptanz gewinnt auch die Idee eines Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Menschenrechtskonvention – das fordern nicht nur Reform UK und die Mehrheit der Konservativen, sondern sogar der frühere Labour-Innenminister David Blunkett empfiehlt jetzt Labour-Premierminister Starmer einen kurzfristigen Ausstieg aus Teilen der Konvention, um Personen leichter abschieben zu können.

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