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Proteste bei der Spanien-RundfahrtAlle auf Israel!

Boykottforderungen gegen den jüdischen Staat gibt es schon immer. Derzeit werden sie bei der Spanien-Rundfahrt der Radprofis vorgetragen. Aber warum?

Protest bei der Vuelta: Die Absperrungen, hier auf der 11. Etappe bei Bilbao, halten dem Druck der Demonstranten nicht stand

E s gibt Sätze, die waren völlig zu Recht über Jahrzehnte unumstritten, auch im Sport. Jüdisches Leben ist zu schützen, ist so ein Satz. Der ist so wichtig, dass auch heute ihm kaum jemand widersprechen möchte. Bloß: Diesen Satz gibt es immer häufiger mit einem angehängten „Aber“.

Bei der Vuelta der Radprofis haben Demonstranten in der vergangenen Woche für den Abbruch einer Etappe gesorgt – wegen des Teams Israel-Premier Tech. Dessen Sportdirektor, der Spanier Óscar Guerrero, berichtete von Morddrohungen gegen sich und die Fahrer, von denen einer Israeli ist. Viele Beobachter befürchten eine weitere Eskalation, bis die Spanien-Rundfahrt am 14. September zu Ende geht.

Dagegen erscheinen andere Vorfälle als beinah harmlos. Mitte August etwa hatten in Köln britische Rollstuhlbasketballer ihren Gegnern den Rücken zugewandt, als die israelische Hymne lief. Mit Respekt vor jüdischem Leben hat dies nichts zu tun.

Aufrufe, Israel zu boykottieren, gibt es so lange, wie es den Staat gibt, seit 1948. Da wurde Israel einen Tag nach seiner Unabhängigkeitserklärung von einer Allianz benachbarter Staaten angegriffen – und auch im Sport angefeindet. Gegen die Teilnahme Israels an der Fußball-WM 1950 gab es Proteste, der Weltverband Fifa gab dergestalt nach, dass das asiatische Land gegen europäische Teams spielte und gegen Jugoslawien in der Qualifikation scheiterte. Bezüglich Israels Teilnahme an den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki war es die Sowjetunion unter Stalin, die Ägypten davon abbrachte, zu boykottieren.

Bei den Mittelmeerspielen, die es seit 1951 gibt und die unter dem Patronat des IOC stattfinden, durfte Israel noch nie teilnehmen – völlig unabhängig davon, ob die Spiele gerade in Spanien oder im Libanon stattfinden, in Frankreich oder Algerien, in Italien (etwa nächstes Jahr: 2026) oder im Nicht-Mittelmeer-Staat Kosovo (2030).

So geht es seit 1948. Der jüdische Staat wird entweder offen angefeindet oder auf softe Weise aus dem Weltsport herausgedrängt. Ein Großteil der Boykotte oder Boykottforderungen wird nicht oder nur am Rande vermeldet. Auch wenn der Satz, jüdisches Leben sei zu schützen, keinen nennenswerten Widerspruch findet, so fällt doch auf: Jewish life does not matter very much.

Das große „Aber“, das derzeit formuliert wird, wenn jemand das selbstverständliche Recht von Israelis, am Weltsport teilzunehmen, bestreitet, lautet: Gaza. Verwiesen wird auf die in Teilen rechtsextreme Regierung Israels und die von ihr verantwortete Kriegsführung (und nicht etwa die in toto terroristische Regierung des Gazastreifens und das von ihr verantwortete Massaker vom 7. Oktober 2023, das ja eine Kriegserklärung bedeutete).

Früher waren es andere Vorwürfe gegen Israel, die Boykotte und Anfeindungen legitimieren sollten. 1948 etwa war es die bloße Existenz eines jüdischen Staates. Irgendwas, so scheint es, lässt sich immer finden, um ausgerechnet Israels Teilhabe infrage zu stellen. Dabei ist es doch genau dieses Land, das jüdisches Leben im Weltsport repräsentiert. Aber es folgt immer ein Aber.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
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