Mercosur-Deal: Aus der Zeit gefallen
Das Abkommen fokussiert sich zu sehr auf den Freihandel und zu wenig auf Klima- und Umweltschutz. Für Proteste und einen Neustart ist es noch nicht spät.

S eit zwanzig Jahren tobt der Streit um das Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Landwirte und Umweltschützer, Menschenrechtler und Politiker aller Couleur haben ernstzunehmende Bedenken angemeldet. Immer wieder wurden sie von der EU-Kommission abgebügelt. Nun hat die Brüsseler Behörde Fakten geschaffen und den Mercosur-Deal abgesegnet.
Wenn es nach dem Willen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) geht, dann soll das Abkommen, das sie persönlich abgeschlossen hat, im Eiltempo ratifiziert werden und noch vor Jahresende in Kraft treten. Hinter ihr steht Kanzler Friedrich Merz. Von der Leyens Parteikollege hat geholfen, den Deal gegen den Willen Frankreichs zu verabschieden.
Getrieben werden Merz und von der Leyen von der schieren Not. Nachdem sie den Handelsdeal mit US-Präsident Donald Trump vermasselt haben, brauchen sie ein Erfolgserlebnis. Mercosur bot sich an, denn vom Ende der Zollbarrieren in Lateinamerika würde vor allem Deutschland profitieren.
Doch das Abkommen liefert keine Antworten auf die tiefe Krise, die Deutschland und die EU durchlaufen. Es kann weder die schwere Niederlage gegen Trump vergessen machen noch die dringend nötigen Impulse für die Wirtschaft geben. Klar, die deutsche Autoindustrie freut sich auf neue Exportmärkte. Doch das macht die hohen neuen US-Zölle auf alle europäischen Waren nicht im Ansatz wett. Selbst Studien im Auftrag der Europäischen Kommission rechnen nur mit einem Wachstumsimpuls von 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Übertriebene Hoffnung
Übertrieben ist auch die Hoffnung, dass die EU durch eine engere Zusammenarbeit mit Mercosur außenpolitisch gestärkt wird. Das Abkommen habe eine „strategische Bedeutung“, die weit über die Wirtschaft hinausgehe, heißt es in Berlin und Brüssel. Doch die wichtigsten Mercosur-Staaten, Argentinien und Brasilien, gehen längst eigene Wege. Brasilien hat sich dem Lager der Brics-Staaten angeschlossen, die Alternativen zum Westen suchen.
Derweil hält Argentinien unter dem ultraliberalen Präsidenten Javier Milei ausgerechnet Trump die Treue. Auch da dürfte es den Europäern schwerfallen, den Kurs in ihrem Sinne zu beeinflussen. Angesichts der sich herausbildenden multipolaren Weltordnung droht der EU der Abstieg in die dritte Liga.
Natürlich ist eine Annäherung an Lateinamerika wünschenswert. Nicht einmal die härtesten Kritiker des Mercosur-Abkommens bestreiten die Notwendigkeit, sich dem Globalen Süden zuzuwenden. Doch dies geht nicht mit einer Vereinbarung, deren Wurzeln auf den Neoliberalismus im 20. Jahrhundert zurückgehen. Der Handelspakt ist völlig aus der Zeit gefallen; ein Neustart wurde verpasst.
Dabei haben Umwelt- und Klimaschützer sowie grüne und linke Politiker rechtzeitig eine Umkehr gefordert. Früher als von der Leyen haben sie erkannt, dass Freihandel in Zeiten der Klimakrise und des Protektionismus nicht die allein selig machende Antwort sein kann. Doch die Forderung nach einem „Reset“ wurde ignoriert.
Unfaire Konkurrenz für Europas Landwirte
Stattdessen hat die EU-Kommission einige kosmetische Veränderungen vorgenommen. Das Pariser Klimaabkommen wurde in den Vertragstext aufgenommen, der umstrittene Investitionsschutz endlich gestrichen. Doch weil der Fokus weiter auf Freihandel liegt, birgt der grün angemalte und mit Schutzklauseln versüßte Deal immer noch erhebliche Risiken.
Europas Landwirte müssen unfaire Konkurrenz durch billige Agrarprodukte aus dem Mercosur fürchten. Die Gefahr einer weiteren Entwaldung am Amazonas – künftig dann auch für Rindfleischexporte nach Europa – ist nicht gebannt.
Sogar das Demokratieproblem ist nicht gelöst, im Gegenteil. Schon bisher gab es ein eklatantes demokratisches Defizit, weil die EU-Kommission ohne Rücksicht auf viele Mitgliedstaaten weiterverhandelt hat. Doch nun wird das Dilemma noch größer. Das Abkommen wurde nämlich in zwei Teile aufgespalten – den Handel, für den allein die EU zuständig ist, und die politischen Vereinbarungen.
Das erklärte Ziel: Kritikern wie Frankreich soll die Möglichkeit genommen werden, den Handelsteil durch ein Nein zu stoppen. Nun reicht schon eine qualifizierte Mehrheit, um das Abkommen in Kraft zu setzen. Da Polen und Österreich signalisiert haben, dass sie ihren Widerstand aufgeben, scheint diese Mehrheit in Reichweite.
Dennoch ist die Schlacht um Mercosur noch nicht verloren. Zum einen rollt eine neue Protestwelle an, die die Zustimmung erschweren dürfte. Zum anderen hat das Europaparlament ein Wörtchen mitzureden. Da gehen die Bedenken quer durch alle Fraktionen. Die letzte Schlacht könnte spannend werden.
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