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KI und JournalismusWir Überflüssigen?

Johannes Drosdowski
Kommentar von Johannes Drosdowski

Springer hat einen neuen Plan für künstliche Intelligenz. Alle Gewerke sollen bei jedem Arbeitsschritt mit KI arbeiten. Was bringt das?

Nervensystem Druckerei: Dort werden Informationen weitergeleitet Foto: Deepol/plainpicture

W etware ist teuer. Sie braucht nicht nur bei der Erstellung, sondern auch im Erhalt täglich diverse Stoffe ebenso wie Umweltreize. Wetware kann in Inhaltsleere nicht existieren. Sie braucht Jahre, bis sie sprechen, lesen, schreiben kann und mit Zahlen haben es nur manche Modelle. Pro Einheit Wetware müssen Betriebe ein ganzes Monatsgehalt hinblättern und akzeptieren, dass Wetware lange Phasen der Erholung und damit Nichtarbeit braucht. Ja, so ein Gehirn ist ganz schöner Luxus. Wohingegen KI aber immer erschwinglicher wird. Ein Fest für Konzerne!

Der Tagesspiegel und der Medieninsider haben nun darüber berichtet, dass die sogenannte Premium-Gruppe von Springer, zu der Welt, Politico und Business Insider gehören, einen neuen KI-Plan hat. Der beinhaltet, dass alle Gewerke, also Redaktion wie Nicht-Redaktion bei jedem Arbeitsschritt mit KI arbeiten sollen. Sie soll demnach Standard bei Recherchen werden und bei der Ideenfindung, bei Präsentationen helfen ebenso wie bei der Überprüfung von Texten, Papieren, Konzepten.

Was eine Ersparnis! Wie gut für alle, die mit Medien Geld verdienen wollen und dabei nicht um ihre Jobs fürchten müssen. Vorerst zumindest. Und nicht nur, weil In­ves­to­r*in­nen positiv auf Buzzwords wie „KI“ reagieren.

Wer mit Journalismus Geld einnehmen oder zumindest nicht zu viel verlieren will, muss Werbeplätze verkaufen und dafür braucht es Leser*innen. Um die steht es auch bei Springer nicht gut, selbst wenn der Umsatz leicht steigt. Die Auflage der Bild lag im zweiten Quartal 2025 nur knapp unter einer Million – halb so viel wie noch 2017. Was also gefällt Leser*innen? Womit bekommt man sie ran?

KI als Sparringspartner

Der „Tagesschau“-Fan legt vermutlich weniger Wert auf eine linke Berichterstattung und Einordnung als die taz-Leserin und die taz-Leserin weniger Wert auf Hass als ein Bild-Abonnent. Der wiederum weniger Wert legt auf eine gepflegte Ausdrucksweise als ein Politico-Jünger. Es ist kompliziert. Deswegen sucht jedes Medienhaus seine eigene KI-Strategie. Bei der Mediengruppe NOZ/mh:n wird etwa ein „KI-Buddy“ genutzt, der unter anderem dabei helfen kann, Textelemente zu generieren oder gesprochene Sprache zu transkribieren (bei nahezu allen Medien zum Glück Standard).

Die KI als Sparringspartner kann zum Vereinsamungstool werden: weniger Zeit mit anderen Menschen, mehr Zeit im eigenen Kopf. Die Spar­rings­part­ne­r*in­nen dieses Textes waren (neben ChatGPT) vor allem Kol­le­g*in­nen unterschiedlicher Medienhäuser und unterschiedlicher Gewerke, So­cial-Media-Re­dak­teur*in­nen, Ent­wick­le­r*in­nen neuer Konzepte, Re­dak­teur*innen, Künstler*in­nen. Alle haben einen anderen Blick, entwickeln den Autoren weiter. Deswegen liefert dieser Text keine Antwort.

Denn was menschlichen Gehirnen neben Berechnungen noch schwerfällt, ist die einfache Lösung. Aber worin ist Wetware dann eigentlich gut? Die meisten Gehirne können recht geschickt Menschen verstehen, Emotionen erkennen, kleine Beobachtungen machen, ohne dass jemand sie dazu auffordert. Sie können sich schnell und oft unbemerkt anpassen, deswegen hatten wir seit unserer Entstehung verhältnismäßig viel Erfolg. In all dem übertrifft Wetware die KI.

Wenn wir mit Menschen reden und kleine Zwischentöne wahrnehmen, finden wir auch heraus, was Menschen von Medien wollen: Informationen und eine Darstellung ihrer eigenen Lebenserfahrungen. Sie wollen sich wiedererkennen. Das ist der Grund, warum viele Jugendliche nichts mit Zeitungen anfangen können und viele Ältere nichts mit News-Influencer*innen.

Jährliche Gebetsmühle

Bild und Welt sind sehr gut darin, Lebenswelten so darzustellen, dass sich viele Menschen darin wiedererkennen. Darin liegt die Springer-Macht. Dieses Wiedererkennen beruht nicht nur auf Emotionen – oft negativen wie Wut oder Angst – sondern ist auch wiederkehrend. Auch Klassiker der Literatur, der Musik, der Kunst beruhen darauf. „Romeo und Julia“ behandelt die Verzweiflung der ersten Liebe, die fast alle von uns tiefst erinnern können. Die journalistische Wiederholung von Inhalten zeigt sich etwa in der jährlichen Gebetsmühle von „Osterhase heißt jetzt Sitzhase“ und „Dieser woke Kindergarten verbietet im Karneval Verkleidung XY“.

KI für derlei Themensuche einzusetzen, ist eine sehr gute Idee. KI stützt sich auf schon existierende Inhalte und zerrt sie zur Wiedervorlage heraus. Es wird ein Ringelreihen der Themen und Meinungen. Das bringt sicherlich eine Zeit lang Klicks. Ist aber das Gegenteil von dem, was Journalismus sein muss. Gewinnen werden nur diejenigen Medien und Parteien, die davon profitieren, wenn eine Gesellschaft verdummt wird und ihren Horizont verengt.

Es gibt sicher aber weniger fragwürdigen Einsatz von KI: Sie kann helfen, Dienstpläne zu erstellen, sie kann Texte übersetzen, wenn das Unternehmen kein Geld für Über­set­ze­r*in­nen hat, sie kann helfen, die beste Zeit für das Veröffentlichen von Social-Media-Posts zu erkennen. Am Ende steht mehr Zeit für Recherche oder auch die aufwändige Gestaltung eben jener Posts. Die Fähigkeit, die drögen Aufgaben zu bewerkstelligen, muss aber weiterhin gegeben sein. Vor einigen Monaten brach für viele Menschen ihre Liebesbeziehung zusammen: Sie hatten Partnerschaften mit KIs begonnen, die aber ein Update erhielten. Zack, dein Freund ist weg. Was macht man dann? Schokolade und weinen. Aber journalistisch ist das eher keine Option.

Je mehr wir uns von KI abhängig machen, weil wir zu viel auf sie setzen, zu wenige Fähigkeiten selbst entwickeln oder pflegen, desto gefährlicher für alle. Nicht nur, weil die KI plötzlich wegbrechen könnte.

Journalismus ist Teil des Kommunikationsprozesses innerhalb einer Gesellschaft und ihrer politischen Meinungsbildung. Darf sich eine KI an einem dieser Punkte einmischen? Darf sie Teil dieser Gesellschaft werden? Die Frage wird oft in der Science-Fiction diskutiert, dort aber mithilfe von humanoiden Robotern. Dort stellt sich meistens die Frage der Empathie. Die ist aber nicht die richtige. Die richtige Frage wäre: Welche Firma steht denn da auf der Unterseite des Fußes als Hersteller? Welches Interesse könnte er haben, die Gesellschaft zu formen. Denn Medien sind, ebenso wie Tech, Macht.

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Johannes Drosdowski
Redakteur Medien/Digitales
Redakteur für Medien und Digitales. Ansonsten freier Journalist und Teamer zum Thema Verschwörungserzählungen und Fake News. Steht auf Comics, Zombies und das Internet. Mastodon: @drosdowski@social.anoxinon.de
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