piwik no script img

Militärexperte über Zapad-Manöver„Für Belarus besteht ein Risiko“

Mitte September beginnt die größte russisch-belarussische Militärübung seit 2021. Moskau kann sich's leisten, sei die Botschaft, sagt Experte Joel Linnainmäki.

Militärfahrzeuge auf dem Weg zum Zapad-Manöver 2021 in Belarus Foto: Henadz Zhinkov/Xinhua/imago

taz: Herr Linnainmäki, Mitte September beginnt mit „Zapad-2025“ die größte russisch-belarussische Militärübung seit 2021. Stellt das Manöver eine Bedrohung für die Ukraine dar?

Joel Linnainmäki: Die Ukrainer haben angesichts der Geschichte der Zapad-Manöver gute Gründe, vorsichtig zu sein und der Übung misstrauisch gegenüberzustehen. 2021 diente das Manöver dazu, erhebliche russische Truppenteile an die Grenze zur Ukraine zu verlegen. Im Jahr 2008 wurden nach der Militärübung einige Einheiten nach Georgien verlegt, 2013 auf die Krim und in die Ostukraine. Anfang 2022 wurde die Übung „Union Resolve“ als Deckmantel für eine militärische Aufrüstung für die Invasion in der Ukraine durch Russland genutzt. Aber es scheint, dass an „Zapad-25“ nach litauischen Schätzungen etwa 30.000 russische und belarussische Soldaten beteiligt sind und die Übung etwas weiter von den Nato-Grenzen entfernt stattfindet. Für die Nato besteht also keine akute militärische Bedrohung. Aber natürlich werden die Ukrainer darauf achten, dass es nach Abschluss der Übung nicht zu Provokationen kommt.

taz: 2021 nahmen laut russischem Verteidigungsministerium etwa 200.000 Militärangehörige an der Übung teil. Warum sind es in diesem Jahr vergleichsweise wenige Truppen?

Linnainmäki: Russland ist so stark in der Ukraine engagiert, dass es nicht mehr Truppen für diese Übung bereitstellen kann. Der Zeitpunkt der Übung soll demonstrieren, dass der Kreml trotz hoher Verluste und im Verbund mit Belarus immer noch in der Lage ist, neue Einheiten zu bilden und zu trainieren, obwohl Moskau Krieg gegen die Ukraine führt.

Bild: FIIA
Im Interview: Joel Linnainmäki

Der Politikwissenschaftler forscht am Finnischen Institut für Internationale Beziehungen zu finnischer Außenpolitik, Nato und Fragen der Sicherheit in Nordeuropa. Von 2019 bis 2023 war er als Berater des finnischen Außen­ministers Pekka Haavisto tätig.

taz: Verfolgt Russland mit dem Manöver noch andere Ziele?

Linnainmäki: Eines der Ziele ist die Wiederaufnahme der Integration belarussischer und russischer Streitkräfte und Einheiten. Das ist eine Möglichkeit, sicherzustellen, dass sie im Falle eines Falles gemeinsam operieren können. Das ist außerdem ein Druckmittel gegenüber dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Er war in der Vergangenheit sehr geschickt darin, den Westen und Russland gegeneinander auszuspielen, um sich selbst politischen Spielraum zu verschaffen.

taz: Wie lautet Moskaus Botschaft an die Nato, den Westen und die Ukraine?

Linnainmäki: Es geht dem Kreml darum, Entschlossenheit zu signalisieren und die Fähigkeit zu demonstrieren, sich nicht jederzeit mit der gesamten Streitmacht in der Ukraine engagieren zu müssen. Kyjiw soll dadurch abgelenkt und dazu gezwungen werden, möglicherweise einen Teil der Streitkräfte aus dem Osten und Süden abzuziehen. Die Russen erhoffen sich dadurch, die ukrainischen Verteidigungslinien dort zu durchbrechen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

taz: Sie haben den sogenannten Integrationsprozess zwischen Belarus und Russland erwähnt. Langfristig will Moskau sich das Nachbarland einverleiben. Glauben Sie, dass Manöver wie „Zapad-25“ ein weiterer Schritt in diese Richtung sein könnten?

Linnainmäki: Das ist definitiv etwas, das Lukaschenko wahrscheinlich nachts wach hält. Die Militärübung von 2017 bestätigt dies. Damals gab es viele Analysen und Spekulationen, dass die Russen nach der Übung eingreifen und ihre Streitkräfte zu diesem Zweck in Belarus stationieren könnten, wenn die Wahlen in Belarus einen bestimmten Verlauf nehmen oder es zu einem Aufstand gegen Lukaschenko kommen sollte. Aus Minsker Sicht besteht immer das Risiko, dass russische Streitkräfte ihr Territorium nicht verlassen. Und wir wissen, dass Russland in den vergangenen Jahren zunehmend mehr Truppen und Kapazitäten nach Belarus verlegt hat.

taz: Wie schätzen Sie die militärische Stärke Russlands momentan ein?

Linnainmäki: Die Dynamik dreht sich derzeit leider zugunsten der Russen. Sie erzielen zwar keine größeren Durchbrüche, aber im Hinblick auf den allgemeinen Verlauf des Krieges ­glauben sie, dass sie das auch nicht müssen. Ihre militärischen Fähigkeiten und ihre Wirtschaftskraft reichen nicht ewig. Sie müssen nur länger durchhalten, als die Ukraine und Europa bereit sind den Kampf fortzusetzen. In diesem Frühjahr wurde viel darüber gesprochen, dass Russland in der Nähe der finnischen Grenze militärische Einrichtungen und Infrastruktur aufbaut. Sie bereiten sich darauf vor, ihre Präsenz in der Nähe von Finnland und den baltischen Staaten auszubauen. Aber das wird erst nach Kriegsende geschehen können, da Moskau derzeit nicht die Kapazitäten hat, seine Bodentruppen in der Nähe von Nordeuropa massiv aufzustocken.

taz: Also besteht aktuell kein Anlass zur Panik bei der Nato?

Linnainmäki: Wie gesagt: nein. Die bevorstehende Militärübung ist keine unmittelbare Bedrohung für die Nato. Dennoch reagiert sie mit eigenen Manövern. An „Iron Defender 2025“ in Polen nehmen etwa 30.000 Soldaten teil. Dabei geht es nicht nur darum, Russland abzuschrecken und zu zeigen, dass wir in Polen und als Nato wachsam sind, sondern auch darum, gemäß den regionalen erneuerten Verteidigungsplänen der Nato zu trainieren.

taz: Apropos Nato: US-Präsident Donald Trump ist, was Europa angeht, auf dem Rückzug. Kann Europa allein die Verteidigung des Kontinents stemmen?

Linnainmäkis: Langfristig mache ich mir derzeit keine großen Sorgen, da die europäischen Länder massiv in ihre eigene Verteidigung investieren. Das ist auch ein Signal an den privaten Sektor, die Produktion von Ausrüstung und Munition hochzufahren. Aber all das braucht Zeit. Es braucht Zeit, neue Offiziere zu rekrutieren, Einheiten und Streitkräfte auszubilden. Es braucht Zeit, Waffensysteme zu kaufen und ­deren Einsatz zu erlernen. Daher sind wir kurzfristig und ­wahrscheinlich auch mittelfristig in Bezug auf unsere Verteidigung und Sicherheit weiter stark von den Ver­einigten Staaten abhängig, ob es uns gefällt oder nicht. Die Frage ist, ob die Reduzierung der amerikanischen Militärpräsenz in Europa nach einem Zeitplan erfolgt, der es den Europäern ermöglicht, US-Streitkräfte und -­Fähigkeiten so zu ersetzen, dass die Verteidigungsfähigkeit der Nato nicht gefährdet wird.

taz: Was wäre Finnlands künftige Rolle in der Nato?

Linnainmäkis: Als ein Staat, der eine lange Grenze zu Russland hat und neben den baltischen Staaten liegt, versucht Finnland vor allem dafür zu ­sorgen, dass diese Grenze sicher und stabil bleibt. Die Verlegung von Streitkräften oder Einheiten aus Finnland in andere Nato-Staaten würde nicht zu ­einer Erhöhung der Nato-Streitkräfte in den anderen Nachbarländern Russlands führen. Finnland konzentriert sich daher derzeit eher auf den Aufbau seiner eigenen Verteidigungsfähigkeiten, möchte aber gleichzeitig zeigen, dass es sich auch um die Sicherheit anderer Nato-Verbündeter kümmert. Aus diesem Grund hat die finnische Luftwaffe an Luftpatrouillen und Luftüberwachungsmissionen in Rumänien und Island teilgenommen. Wir haben jedoch nur begrenzte Kapazitäten, gleichzeitig an vielen verschiedenen Operationen teilzunehmen.

taz: Litauen, Estland und Lettland fühlen sich von Russland besonders bedroht. Wie wirkt sich Finnlands Nato-Beitritt auf diese Staaten aus?

Linnainmäki: Alle Nachbarn Russlands haben historische Traumata und Erfahrungen mit Russland, wenn auch unterschiedlicher Art. Der Nato-­Beitritt Finnlands, aber auch Schwedens schafft für das Bündnis mehr Möglichkeiten, die verletzlichen baltischen Staaten zu verteidigen. Moskau muss seine Truppen umverteilen und dabei die neuen Gegebenheiten berücksichtigen. Ich sage nur: Hunderttausende aufgebrachte Finnen gleich in der Nähe von St. Petersburg.

taz: Gibt es derzeit Chancen, einen Frieden in der Ukraine auf dem Verhandlungsweg zu erreichen?

Linnainmäki: Moskau hat nicht wirklich einen Anreiz, sich auf einen tatsächlichen Friedensprozess ein­zulassen, da es an der Front langsam vorankommt. Zwar wurden die wichtigsten politischen Ziele noch nicht erreicht, wie die komplette Annexion von vier Regionen der Ukraine und eine umfassendere politische Unterwerfung Kyjiws. Wenn diese Ziele durch Friedensverhandlungen erreicht werden könnten, würde Moskau diese auch vorantreiben. Kurz gesagt: Russland spielt auf Zeit. Andererseits scheint jedoch sehr unwahrscheinlich, dass sich die Ukrainer Russland unterwerfen werden. Sie sind noch immer in der Lage, weiter zu kämpfen, und das machen sie gut. Europa ist weiterhin bereit, die Ukraine zu unterstützen.

taz: Sollten europäische Truppen in die Ukraine entsandt werden, würde sich auch Finnland daran beteiligen?

Linnainmäki: Die Diskussion ­darüber läuft, bislang halten sich die Verantwortlichen bedeckt. Die Mehrheit der Finnen steht fest zur Ukrai­ne. Sie wollen das Land unterstützen und wünschen sich Frieden. Das wird die finnische Regierung und den ­Präsidenten unter Druck setzen, sich künftig in einer wichtigen Rolle an Sicherheits­garantien für die Ukraine zu beteiligen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Es gibt auch Experten wie z.B. Neitzel, die davor warnen, dass dieses der letzte Sommer für uns in Frieden sein könnte, da Moskau dieses Manöver für einen Angriff auf das Baltikum bzw die NATO nutzen könnte. Ich sehe das zwar skeptisch, aber letztendlich sollten wir uns durchaus mit verschiedenen Szenarien auseinandersetzen ohne ziellos Geld für Aufrüstung auszugeben.

    • @Alexander Schulz:

      Sie können sicher sein das da Experten sitzen und Geld nicht ziellos ausgegeben wird. Was bisher geplant ist sind Investitionen in Flugabwehrsysteme, Artillery, mehr gepanzerte Fahrzeuge, etc. Das macht alles Sinn.

  • Moskau gesteht also ein im militärischen Bereich noch üben zu müssen.