piwik no script img

Steigende PreiseDeutschland braucht eine gerechtere Mehrwertsteuer

Der Staat verdient daran, dass Menschen Nahrung brauchen – bei armen Menschen umso mehr. Das muss unbedingt aufhören.

Die Amen essen, der Staat kassiert, ungerechter geht's nicht Foto: Martin Wagner/imago

M al angenommen, wir müssten unser Steuersystem noch einmal ganz neu erfinden. Vor uns liegt ein weißes Blatt Papier, das auf Vorschläge für ein effizientes und gerechtes Steuersystem wartet. Was würden Sie besteuern? Löhne, Häuser, Autos? Schenkungen und Erbschaften? CO2-Emissionen und fossile Kraftstoffe? Und wie halten Sie es mit Grundnahrungsmitteln?

Eine Mehrwertsteuer auf Brot, Butter und Brokkoli würde verteuern, was jeder braucht – und damit Menschen ausschließen. Derzeit verdient der Staat mit, wenn wir Lebensmittel einkaufen.

Die Mehrwertsteuer ist eine der unsozialsten Steuern überhaupt. Wer wenig hat, muss einen großen Teil seines Einkommens für Essen ausgeben. Wer viel hat, nur einen Bruchteil. Einkommensschwache tragen daher proportional eine viel höhere Steuerlast, wenn sie ihre Grundbedürfnisse decken. Den Kellner und die Mechanikerin treffen die Steuer auf Brot und Butter also härter als den Bundesligaprofi und die Bankmanagerin.

Team Zukunft – der Newsletter zu Klima, Wissen, Utopien

Du liest einen Text aus unserem Zukunfts-Ressort. Wenn Du Lust auf mehr positive Perspektiven hast, abonniere TEAM ZUKUNFT, den konstruktiven Newsletter zu Klima, Wissen, Utopien. Jeden Donnerstag bekommst du von uns eine Mail mit starken Gedanken für dich und den Planeten.

Dabei könnte eine Befreiung von der Mehrwertsteuer nicht nur für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen, sondern auch der Volkswirtschaft helfen. Denn wir befinden uns gerade mitten in einer Konsumkrise. Der Einzelhandel klagt über die schlechte Geschäftslage, die Kauflaune ist im Keller, die Reallöhne verharren auf dem Niveau von 2019. Eine Befreiung von der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wäre eine direkte und sofort spürbare Entlastung. Jeder Einkauf würde günstiger, das verfügbare Einkommen stiege – und damit auch die Möglichkeit, wieder Geld in die Wirtschaft zurückzutragen. Den Bundeshaushalt würde das rund 13 Milliarden Euro pro Jahr kosten, 2025 soll er insgesamt 488 Milliarden Euro umfassen.

Gegner einer Mehrwertsteuersenkung befürchten, dass davon vor allem die Supermärkte profitieren könnten, indem sie die Differenz einstecken. Dabei gehört der deutsche Lebensmitteleinzelhandel zu den härtesten Preiswettbewerben überhaupt, gerade bei Grundnahrungsmitteln wie Brot und Butter. Unwahrscheinlich also, dass ein Händler die Steuerbefreiung einfach für höhere Margen nutzen würde. Und wenn doch, dann funktioniert der Markt im Einzelhandel offensichtlich nicht – das wäre wiederum ein Fall für das Kartellamt.

Bild: Olaf Krositz
Maurice Höfgen

28, ist Autor und Ökonom. In der wochentaz überlegt er einmal monatlich, wie sich wirtschaftliche Utopien umsetzen ließen.

Außerdem gibt es längst den Beweis, dass Steuersenkungen im Lebensmitteleinzelhandel bei den Verbrauchern ankommen: Während der Coronakrise hat die Bundesregierung die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von 7 auf 5 Prozent gesenkt. Studien zeigen, dass der allergrößte Teil dieser Senkung tatsächlich an die Verbraucher weitergegeben wurde – und das, obwohl die Senkung sogar nur eine Krisenmaßnahme für sechs Monate war.

Ein Blick nach Europa macht zusätzlich deutlich, wie es laufen kann. Spanien hat im Zuge der Inflationskrise Grundnahrungsmittel zeitweise komplett von der Mehrwertsteuer befreit. Ärger wegen der EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie gab es nicht.

Essen darf nicht arm machen. Niemand sollte zwischen Miete und Milch abwägen müssen, die Steuer auf Grundnahrungsmittel sorgt aber genau dafür. Sie ist unsozial, ökonomisch kontraproduktiv und moralisch schwer zu rechtfertigen. Die Bundesregierung sollte deswegen endlich Grundnahrungsmittel von der Mehrwertsteuer befreien und zeigen, dass sie ökonomische Existenzängste und soziale Sorgen ernst nimmt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!