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Diskussion um WehrdienstDoppelte Solidarität

Kommentar von Wolfgang Kessler

Alle jungen Frauen und Männer sollten ein soziales Jahr leisten. Und alle sollten danach einen Anteil am Erbvermögen erhalten.

Junge Menschen werden gebraucht – ein Grunderbe könnte mit der Abschaffung von Privilegien für Multimillionäre finanziert werden Foto: Frank Hammerschmidt/dpa

B undesverteidigungsminister ­Boris Pistorius will einen freiwilligen Wehrdienst. Die Union will eine Wehrpflicht, aber nur für Männer. Beiden geht es dabei „nur“ um die Bundeswehr. Marcel Fratscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) will immerhin ein soziales Jahr, für Ältere, Bodo Ramelow eines für alle junge Leute. Was all diesen Forderungen abgeht, ist ein Gesamtkonzept, das über die Verteidigungsfähigkeit hinaus vor allem den Zusammenhalt der Gesellschaft stärkt – und dabei alle Generationen einbindet.

Es wird deshalb Zeit, zwei Ideen zusammenzudenken, die bisher nicht zusammengedacht werden: die Forderung nach einem verpflichtenden Gesellschaftsjahr für alle Frauen und Männer ab 18 Jahren – und die Idee eines Grunderbes für alle jungen Menschen. Daraus könnte ein neuer Generationenvertrag entstehen. Klar, Worte wie „Pflichtjahr“ scheinen nicht in eine Gesellschaft zu passen, die sich immer stärker der individuellen Freiheit verpflichtet fühlt.

Viele sprechen sich lieber für eine Stärkung des Freiwilligendienstes aus. Damit es keine Missverständnisse gibt: Ein freiwilliges Engagement junger Menschen ist eine tolle Sache. Doch: Nur 7 Prozent entscheiden sich jedes Jahr dafür, mehr als 93 Prozent erreicht das Angebot also nicht. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird so nicht gestärkt.

Wolfgang Kessler

ist Ökonom und Publizist. Er war von 1999 bis 2019 Chefredakteur der Zeitschrift Publik-Forum. Von ihm erschien 2023 das Buch „Das Ende des billigen Wohlstands. Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört“, Publik-Forum Verlag 2023.

Wie wichtig jedoch genau dies wäre, zeigt ein Blick auf die Lage junger Menschen. Mehr als drei Millionen Kinder und Jugendliche wachsen laut Paritätischem Wohlfahrtsverband in prekären Verhältnissen auf, manche schon in zweiter oder dritter Generation. Die Selektion an den Schulen verstärkt die soziale Spaltung. An Gymnasien und Realschulen sind die Kinder in erster Linie mit jenen zusammen, die aus ihrem Herkunftsmilieu kommen. An den Hochschulen setzt sich dieses Aussortieren fort.

Nicht als Ersatz für Fachkräfte

Entsprechend bewegen sich junge Menschen in völlig unterschiedlichen Lebenswelten. Ein Trend, der längst auch Erwachsene erreicht hat. „In unserem Land mangelt es an Begegnung und Austausch zwischen den Verschiedenen“, sagt Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, „zwischen Jungen und Alten, Armen und Reichen, Ost- und Westdeutschen, zwischen Städtern und Landbewohnern, zwischen hier Geborenen und Zugewanderten.“ Steinmeier wirbt seit Langem für „ein soziales Pflichtjahr“.

Wenn es gelänge, alle jungen Menschen, die nicht schwer beeinträchtigt sind, für ein Jahr zu gesellschaftlichem Engagement zu verpflichten und ihnen danach ein Startkapital für ihr Leben zu gewähren, das von der älteren Generation finanziert wird, wäre dies ein erheblicher Beitrag zu einer gerechteren und solidarischeren Gesellschaft.

Wie könnte das konkret aussehen? Alle Beteiligten sollen frei darüber entscheiden können, wo sie ihr Dienstjahr ableisten: bei der Bundeswehr, in sozialen Institutionen, in Sportvereinen, im Umweltbereich, im Entwicklungs- oder Friedensdienst. Sie erhalten dafür nur einen bescheidenen Lohn, wie ehedem für Wehr- und Zivildienst. Dabei darf das Gesellschaftsjahr nicht zu einer billigen Ersatzlösung werden, um den Arbeitskräftemangel in der Pflege, in Kitas, Schulen und anderen Bereichen zu kaschieren.

Andererseits brauchen Kitas, Krankenhäuser, Pflege im Haus und in Heimen in jeder Hinsicht Unterstützung. Aber nicht nur dort gibt es viel zu tun: Wer hilft, kommunale Gärten oder Parks naturgerecht anzulegen oder Wälder aufzuforsten? Wer verstärkt die Feuerwehr, wer unterstützt die unzähligen Vereine, wer den Sport? Unabhängig von der gewohnten Umgebung und vom Konkurrenzkampf um Karrierechancen könnte das Gesellschaftsjahr jungen Leuten neue Perspektiven eröffnen.

Leistung und Lohn

Alle müssen sich mit den Lebenswelten der anderen auseinandersetzen. Junge Frauen und Männer aus Gymnasien treffen auf Hauptschülerinnen und Hauptschüler, Christen auf Muslime und Juden. Natürlich kann dies auch Konflikte auslösen. Doch vielfach würde die positive Wirkung überwiegen. Junge Leute würden Selbstwirksamkeit erleben, die ihnen in schwierigen Situationen hilft, nicht in Resignation, Depression oder Aggression ­abzugleiten.

Aber das Gesellschaftsjahr für junge Leute ist nur eine Seite der Medaille. Es geht auch darum, die ältere Generation in die Solidarität einzubinden. Zum Beispiel, indem junge Leute nach dem sozialen Jahr mit einem Anteil aus dem Reichtum der Älteren belohnt werden. Jährlich werden 400 Milliarden Euro vererbt, doch viele junge Leute erben nichts. Wie sich dies ändern ließe, zeigt ein Vorschlag des DIW in Berlin. Danach sollen alle jungen Erwachsenen ab 18 Jahren ein Grunderbe von 20.000 Euro erhalten.

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Finanziert werden soll das durch die Abschaffung von Privilegien für Multimillionäre in der Erbschaftsteuer, einem höheren Spitzensteuersatz oder einer Besteuerung hoher Vermögen, erklärt der Ökonom Stefan Bach. Rund 15 Milliarden Euro könnten auf diese Weise zusammenkommen. Für Bach wäre das ein großer Schritt zu einer gerechteren Gesellschaft: „Mit einem jährlichen Erbe für alle jungen Erwachsenen würde sich die Konzentration des Reichtums in den Händen des reichsten Prozents in 30 Jahren halbieren, während der Anteil der unteren Hälfte der Bevölkerung am Gesamtvermögen langsam steigt.“

Wie wäre es also mit einer Art doppelter Solidarität? Alle jungen Menschen leisten ein Gesellschaftsjahr und erhalten danach einen Anteil am Erbvermögen in Höhe von 20.000 Euro – als Startkapital für ihr Leben. Mehr Solidarität in der Gesellschaft ist dringend notwendig, wenn die kommenden Umwälzungen demokratisch und friedlich bewältigt werden sollen. Dass die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts bei der Debatte über die Wehrpflicht kaum eine Rolle spielt, ist eine vergebene Chance.

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11 Kommentare

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  • Dann dürfte aber nur der weibliche Teil der älteren Bevölkerung zur Kasse gebeten werden, da diese in jungen Jahren keinen Wehrdienst leisten musste.

  • Bekomme das Gefühl nicht los, dass das Geld der Reichen derzeit in mannigfaltigen Ideen mehrfach vervespert wird.



    Wobei: Die Idee scheint sogar eine der besseren.

  • Besser wäre es Vererbungen ganz abzuschaffen.



    Erben stellt die natürlichen Regeln des Lebens auf den Kopf. Der Tod ist als Ende, die Geburt als Anfang vorgesehen, das Erbe verbindet allerdings beides was vollkommen unnatürlich ist. Dynastien, Geld Adel, der Adel ansich, sollte es nicht geben, es gibt diese unschönen Dinge ausschließlich weil es das Erbe gibt.

    Die Natur hat ein Lebenskonzept entwickelt das effizient ist und seit Millionen Jahren wunderbar funktioniert und u.a. solche Geschöpfe wie den Menschen hervorgebracht hat. Und da beginnt alles mit der Geburt und endet mit dem Tod.

  • Was für eine schöne Idee!!!



    Es könnte alles ganz anders und viel besser sein...

  • Was soll das für ein "soziales Jahr" sein, wenn ich dafür 20.000 Euro erhalte?! Und kriegt die dann jeder? Also auch, wenn ich das Kind reicher Eltern bin und ohnehin erben werde? Das ist dann einfach ein Jahr Arbeit im sozialen Bereich, die trotz fehlender Ausbildung überdurchschnittlich gut bezahlt wird.

    Dieser Vorschlag liest sich, als ob sich eine fünfte Klasse gerade das erste Mal Gedanken über die Wohlstand- und Gerechtigkeitsfrage macht...

  • Originell und diskussionswürdig.



    Die Finanzierung darf dabei nicht über Schulden erfolgen (= entsprechende Zinszahlungen an Reiche), sondern schon durch die wieder überfälligen Beiträge aus Erbe und Vermögen.

  • Blödsinn.



    Das Erbvermögen gehört in den globalen Süden.



    Keinen Cent für die Generation Ballermann!

  • Die Vorstellung davon, dass Begegnungen von Reichen und Armen in Bundeswehr oder Zivil- oder Umweltdienst irgendwas an Zusammenhalt stärken würden, ist eine romantische. Klar kann der Vermietersohn mit dem Kind einer langzeitatbeitslosen Familie ein Jahr lang die Kaserne teilen (oder zusammen Menschen im Altenheim versorgen, oder oder oder). Am Ende des Tages ändert sich dadurch nicht das gesellschaftliche Verhältnis zwischen den beiden(übrigens auch nicht durch das Grunderbe). Der eine wird den anderen eher früher als später ausbeuten.



    Ich hab annodazumal nen Bundesfreiwilligendienst geleistet und das war ne gute Entscheidung. Unter anderem deswegen bin ich heute in der sozialen Arbeit. Aber ich will nicht, dass die jungen Menschen, mit denen ich arbeite, hier zu etwas gezwungen werden. Die Entscheidung muss freiwillig sein.

  • Die Diskussion wirft eine Frage auf, die durch den Verwendung des Begriffs "Gesellschaft" entsteht. Wer gehört im Sinne des Artikels zur Gesellschaft und wird dann verpflichtet, insbesondere zum Wehrdienst? Wir sind uns sicher schnell einig, dass man keinen deutschen Pass benötigt, um zur deutschen Gesellschaft zu gehören. Dann darf man den Dienst an der Gesellschaft, auch nicht den Wehrdienst, allerdings nicht auf die deutsche Staatsbürger beschränken, sonden sollte jeden verpflichten, der seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat?

  • Für die Einführung eines Wehrdienstes für alle Geschlechter wäre eine Änderung des Grundgesetzes notwendig!

    Das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer steht den Ländern zu, für eine Änderung bräuchte es eine Änderung des Grundgesetzes.

    Beides ist nicht absehbar und vollkommen utopisch. Sehr schwach, dass der Autor diese Hürde übersieht.

  • Das ist eher die WünschDirWas Kolumne. Finde ich sympathisch, aber es wird so nicht kommen. Sozialleistungen und Ausgaben für Bildung, Kultur und Integration werden gerade gestrichen. Obwohl das das Falscheste ist, was man in unserer Situation am Anfang des Faschismus tun sollte. Und das von einem Niveau, das sowieso schon prekär war. Die Kids haben immer weniger Räume, in denen sie sich treffen können, die Freizeitangebote der AfD treffen auf empfängliche Menschen.

    Wenn man die Äußerungen der cdsU hört weiß man: da wird nichts geändert an der massiven Ungleichheit im Land. Weitere Steuergeschenke an die Reichen, Kürzungen bei den Ärmsten. Den Sozialdienst für alle würde man mit der cdsU vielleicht hinkriegen, aber sicher nichts, was mit der Bezahlung zu tun hat.

    Nichts kann so sinnvoll sein, dass es eine Merz/Spahn/Dobrinth geführte cdsU es beschließen würde. Und von der anstehenden cdsU/AfD Koalition in 2029 kann man nichts besseres erwarten.