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Gaza-StadtIsrael ruft zur Flucht auf

Das Militär erklärt die komplette Stadt zur Evakuierungszone. Unterdessen reklamiert Hamas-Flügel das Attentat am Montag in Jerusalem für sich.

Vertriebene Palästinenser fliehen nach einer israelischen Evakuierungsanordnung in Gaza-Stadt, 9. September 2025 Foto: Dawoud Abu Alkas/reuters

Jerusalem taz | Auf Flugblättern, die Israels Militär über Gaza-Stadt abgeworfen hat, weist ein großer gelber Pfeil in Richtung Süden. „Begeben Sie sich in die humanitäre Zone al-Mawasi“, steht auf Arabisch darauf und in gleichlautenden Posts. Damit erklärt das Militär erstmals die gesamte Stadt vor der angekündigten Offensive zur Evakuierungszone. Verteidigungsminister Israel Katz drohte am Dienstagmorgen, die Stadt werde zerstört, falls die Hamas ihre Waffen nicht niederlege und die israelischen Geiseln nicht freilasse.

Im Norden des Gazastreifens halten sich Schätzungen zufolge weiter fast eine Million Menschen auf. Viele von ihnen ziehen nun Richtung Süden. Doch längst nicht alle wollen gehen. Viele sind bereits im vergangenen Jahr mehrfach geflohen und kehrten Anfang des Jahres in oft zerstörte Häuser zurück.

Nun fürchten sie ihre endgültige Vertreibung sowie die Flucht in bereits überfüllte und in weiten Teilen zerstörte Gebiete im Süden. Auch dort werden immer wieder Tote nach israelischen Angriffen gemeldet. Das UN-Nothilfebüro OCHA warnte im Fall einer Intensivierung der Militäroperationen in Gaza-Stadt vor einer „Katastrophe“ für die Zivilbevölkerung.

Die Drohungen israelischer Politiker schüren bei vielen Ängste, dass Gaza-Stadt in seiner heutigen Form bald nicht mehr existieren könnte. In den vergangenen Tagen wurden bei Luftangriffen bereits mehrere bewohnte Hochhäuser im Stadtzentrum zerstört.

Eine von den USA vorangetriebene diplomatische Lösung könnte die Offensive noch stoppen, ihr Erfolg ist jedoch zweifelhaft. Der Vorschlag fordert im Wesentlichen eine sofortige Freilassung aller 48 Geiseln, die Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad (PIJ) noch festhalten.

Weniger als 20 von ihnen sollen allerdings noch am Leben sein. Im Gegenzug will US-Präsident Donald Trump danach persönlich Verhandlungen für ein Ende des Gazakriegs führen. Israel würde zudem mehrere Tausend palästinensische Gefangene freilassen.

Hamas lehnt Trump-Vorschlag wohl ab

Israels Außenminister Gideon Sa’ar erklärte, sein Land stimme dem Vorschlag zu. Das Kabinett hat ihn jedoch laut Medienberichten noch nicht diskutiert. Regierungschef Benjamin Netanjahu hat sich dazu bisher nicht geäußert. Er ist auf seine rechtsextremen Koalitionspartner angewiesen, die jede Waffenruhe bisher ablehnen.

Für die Hamas ist der Vorschlag wenig überzeugend, berichtet das Nachrichtenportal Times of Israel unter Berufung auf einen arabischen Vermittler. Die radikalislamische Gruppe misstraut der Trump-Regierung, auch weil diese Israels Bruch der Waffenruhe im März mitgetragen hat.

Der Vorschlag liefert zudem keine Lösung für die Kernfragen, an denen bisherige Verhandlungen scheiterten. Israel fordert mindestens die Entwaffnung der Hamas. Die Gruppe lehnt das ab und fordert ihrerseits einen vollständigen israelischen Abzug aus Gaza, was die israelische Regierung mehrfach ausgeschlossen hat.

Unterdessen haben die Kassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, den Anschlag am Montag nahe Jerusalem für sich reklamiert. Zwei palästinensische Attentäter hatten in einem Linienbus in Ostjerusalem das Feuer eröffnet und sechs Menschen getötet. Da­raufhin ging die israelische Armee im besetzten Westjordanland massiv vor. Soldaten stürmten mehrere Wohnungen, darunter die der Täter, und nahmen Angehörige fest.

Minister Katz kündigte zudem den Entzug von 750 Arbeitsgenehmigungen von entfernten Verwandten der Angreifer an. Bisher war lediglich der Entzug der Genehmigungen für direkte Verwandte von Attentätern gängige israelische Praxis. Kritiker sehen darin eine völkerrechtlich verbotene Kollektivstrafe. Viele Palästinenser im Westjordanland sind wirtschaftlich auf Arbeit in Israel angewiesen.

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9 Kommentare

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  • Das ist aber nett, dass die israelische Regierung die Bevölkerung von Gaza-Stadt zur Flucht aufruft. Ebenso nett wäre, wenn die deutsche Staatsräson die Bundesregierung mit einem großzügigen Aufnahmeangebot darauf reagieren würde. Oder wollen sich die Berliner Herren und Damen unterlassener Hilfeleistung für ein Israel Not schuldig machen? Immer droht ein eklatanter Bruch des Völkerrechts und der gehobene Mittelstand hat bestimmt noch Platz in Eigenheim und Garten.

  • Ich finde es gut und auch hilfreich, dass die Gaza-Stadt-Bewohner:innen vor dem Angriff gewarnt werden und die Stadt verlassen können. Das wünsche ich mir für alle Kriege auf dieser Welt.

    Ansonsten hoffe ich immer noch Tag für Tag darauf, dass die gegnerische Kriegspartei die Waffen niederlegt und die Geiseln freilässt. Dass sie das Angebot (vor einigen Monaten) von 5.000.000 US-Dollar pro Geisel und freies Geleit ins Ausland nicht annehmen möchte, ist für mich ein Hinweis darauf, dass sie sich von ihrem Verbleib im "Nachkriegs-Gaza" bessere Optionen (Macht, Geld, Ruhm, Einfluss u.v.m.) versprechen. Ich finde das auch für die gazanischen Bürger:innen nachteilig, wenn diese Leute weiterhin die Machtpositionen in Gaza einnehmen, aber vielleicht sehe ich das zu sehr mit meiner "westlichen Brille".

    Mit der Einnahme von Gaza-Stadt hoffe ich auf ein Ende des Krieges.

    (Viel hoffen, ich weiß.)

    • @*Sabine*:

      Ich finde, dass Ihre Kommentare schroff an der Lage vorbeigehen. Inzwischen haben wir die Aushebelung der humanitären Hilfe zugunsten privater,parteiischer und kommerzieller Anbieter; die Missachtung der UN Charta und eigentlich aller Paragraphen der Genfer Konvention und Zusatzabkommen, und Sie finden gut, dass nicht durchführbare Räumungswarnungen gegeben werden und finden angemessene, dass man für ein bisschen Knete, 5000 € pro Kopf, nun endlich auch vertreiben darf. Hier in Frankreich gibt es das schöne und sehr bekannte Lied eines jüdischen Komponisten, Paul Misraki" tout va bien, Madame La Marquise" : der Stall und das Schloss brennen, aber hier ist alles in Ordnung, Frau Gräfin. Irgendwie musste ich bei Ihrem Beitrag daran denken.

    • @*Sabine*:

      Ich finde es gut, dass Menschen mit solchen "Ansichten" keine Verantwortung tragen.

    • @*Sabine*:

      Wenn alle kriegführenden Parteien zuerst die Zivilbevölkerung warnen würden, das Zielgebiet eines Angriffs zu verlassen, dann wäre das in der Tat eine gute Initiative. Doch ausgerechnet im Fall Gaza/Israel ist es eine Farce. Die Menschen in Gaza-City haben keine Chance irgendwohin zu fliehen. Sehr viele von ihnen sind inzwischen 2x oder gar 3x geflohen. Sie haben nichts mehr, NICHTS. Nicht mal Nahrungsmittel. Und das ist Teil der israelischen Kriegsführung: Smotrioch, Ben Gvir und auch Netanjahu WOLLEN es so, dass völlig verzweifelte Menschen entweder ums Leben kommen (dann machen sie auch keine Scherereien mehr) oder so verzweifelt sind, letztendlich den Gazastreifen zu verlassen - auf Druck oder "freiwillig". Nur wohin? Und natürlich kommt jetzt wieder das Argument: aber die Israelis müssen sich verteidigen! Oder alles ist Hamas-Propaganda. Oder noch krasser: meine Meinung ist antisemitisch! NEIN. Ist sie nicht....

    • @*Sabine*:

      Sabine!

      Da sie von der "gegnerischen Kriegspaprtei" sprechen, identifizieren Sie sich eindeutig auf der "israelischen Seite".

      Sie blenden dabei, so scheint es, völlig aus, daß die fortschreitende Zerstörung von Gazastadt ZUGEGEBENERMASSEN ein wesentliches Ziel hat, nämlich Gazastadt und Gaza insgesamt unbewohnbar zu machen und so die Vertreibung der Palästinenser zu erzwingen. Die Geiseln sind dabei nur der Vorwand, auch das zeigt Israel mit dem Anschlag auf die Unterhändler. Sie reden der ethnischen Säuberung das Wort (und damit verbunden möglicherweise dem Völkermord) und zeigen sich einverstanden mit den Kriegsverbrechen.

      Und das machen Sie jetzt so bald zwei Jahre lang. Am Anfang habe ich das ja noch verstanden, Naïvität und so weiter, aber heute?! Da nehmen Sie mit Ihrer Einstellung nicht mal den Kanzler mit!

      Ist Ihnen dabei nicht einmal ein wenig komisch zumute? Gar nicht?

    • @*Sabine*:

      Am Ende werden sicher die von Ihnen erhoffte Ruhe und Frieden einkehren - Friedhofsruhe

    • @*Sabine*:

      Anders als gerne kolportiert wird, ist die Freilassung der Geiseln oder die Entmachtung der Hamas NICHT das primäre Ziel der rechtsradikalen Regierung Israels. Was das Ziel ist, hat beispielsweise Herr Smotrich mehrfach geäußert.

      www.cbsnews.com/ne...ll-start-to-leave/

      Und was nun die 5 Mio pro Nase angeht, die von Netanjahu angeboten wurden. LOL!

  • Klar wurde in Katar - wieder einmal -, dass sich Netanyahu vor Frieden und Verhandlungen fürchtet wie der Netanyahu vor Frieden und Verhandlungen.

    Wer verhandeln will auf der Gegenseite, wird demonstrativ getötet.



    So dass sich niemand finden soll und Netanyahu Premier bleibt.

    Das ist so perfide und auf Kosten von Israelis, Palästinensern und Dritten, dass es schmerzt.



    Zeit für Handeln: Palästina genauso wie Israel auch mal anerkennen. Israel soll den Weg für freie Wahlen in den gesamten palästinensischen Gebieten frei machen, Palästina nicht mehr zerbomben und zerstören, wie es selbst ja auch nicht zerbombt werden will (und vice versa). Rassisten raus aus Regierungen. Netanyahu und wohl auch noch nicht angeklagte Hamassis nach Den Haag.



    Es wäre selbst "wertfrei" betrachtet gerade eine Bankrotterklärung des "Westens", wenn verschiedene Regeln gälten oder ein Staat Menschen einfach so ohne Gericht überall umbringen könnte oder besatzt.



    Das war jetzt verkürzt, doch für die Richtung.