Nichts den Rechten überlassen: Warum auch Linke Freiheit brauchen
Freiheit – das Lieblingswort der Rechten. Für die Linke ist es an der Zeit, sich den Begriff zurückzuerobern. Doch was kann der dann bedeuten?

W ir brauchen eine Wehrpflicht, „um unsere Freiheit zu verteidigen“, die Zukunft gehört jenen, „die an Freiheit glauben“, „¡Viva la libertad, carajo!“. Markus Söder, Donald Trump und Javier Milei lieben es, über Freiheit zu sprechen – und mit ihnen Rechte rund um den Globus. Und die Linken? Seien damit beschäftigt, Dinge zu verbieten, so der Vorwurf.
Spätestens seit Corona ist Freiheit bei Linken ein Unwort geworden. Als 2021 Schauspieler Jan Josef Liefers und sein Gefolge bei ihrer #allesdichtmachen-Kampagne mit pathetischer Ironie für „Meinungsfreiheit“ protestierten, war ich nicht der einzige Linke, dem sich die Zehennägel hochrollten. Bis heute ist uns das Thema unangenehm. Dabei kann der Streit über Freiheitsbegriffe sehr produktiv sein – und dabei helfen, die Gesellschaft zu gestalten.
Warum wirken sie dann so unattraktiv? Heute geht es in Freiheitsdebatten häufig um die Abwesenheit von Zwang. Wir reden darüber, ob große Vermögen besteuert werden sollen, ob SUVs 200 auf der Autobahn fahren dürfen oder inwiefern uns die Grünen auf Facebook die Meinung verbieten.
In gewisser Weise ist das ein Verdienst der Neoliberalen und Libertären: Sie haben es geschafft, den Diskurs um Freiheit so zu drehen, dass wir dabei vor allem an sogenannte negative Freiheit im Sinne von John Locke oder Thomas Hobbes denken. Also die Freiheit des Einzelnen davon, dass sich andere in seine Angelegenheiten einmischen.
Nicht mehr en vogue
Doch kann es gute Gründe dafür geben, sich einzumischen. Während der Pandemie etwa nahmen viele Linke die harten Maßnahmen der Ampelregierung hin, ging es doch darum, Schwächere zu schützen. Auch was die Klimakrise angeht, hoffen wir eher auf mehr Vorschriften. Deregulierung bei Steuern und Erbschaften führte dazu, dass Deutschland in der Eurozone eines der vermögensungleichsten Länder ist.
Freiheit von ist bei Linken außerdem bereits länger nicht mehr en vogue. Schon Marx reichte es nicht aus, frei vom Joch der Tyrannei zu sein. Er kritisiert negative Freiheit als „bürgerlich“, da sie unter kapitalistischen Bedingungen nur den Besitzenden zugutekommt. Niemand hindert einen Analphabeten daran, ein Buch zu lesen, faktisch ist er aber nicht dazu in der Lage.
Daher orientieren sich Linke und Progressive häufig eher an der von Jean-Jacques Rousseau geprägten positiven Freiheit – der Freiheit zu persönlicher Entfaltung oder gesellschaftlicher Teilhabe. US-Philosophin Martha Nussbaum erkennt jene als frei an, die über bestimmte Fähigkeiten (Capabilities) verfügen, die für ein menschenwürdiges Leben notwendig sind – zum Beispiel Vernunft, Bildung oder Gesundheit.
Für die Antifaschistin Hannah Arendt ist frei, wer Neues beginnen, sich an öffentlichen Prozessen beteiligen und mit eigener politischer Stimme sprechen könne. Ohne Freiheit verkomme Politik zu Herrschaft und Verwaltung.
Nicht den Rechten überlassen
In Zeiten, in denen Überwachungssoftware von Tech-Bros wie Peter Thiel bis in hessische Polizeiwachen hineinreicht, sollten wir zwar auch die Freiheit von Zwang nicht den Rechten überlassen.
Doch gerade über positive Freiheit lohnt es zu diskutieren, wenn man sich eine gerechte Gesellschaft wünscht: Wie gebildet muss ich sein, um mich einen mündigen Bürger zu nennen? Ist der Staat verantwortlich dafür, uns zur Autonomie zu befähigen? Können wir wirklich von freien Wahlen sprechen, wenn unsere Entscheidungen durch Fake News beeinflusst werden?
Darum, um allerlei Artverwandtes und manchmal auch um völlig anderes wird es künftig an dieser Stelle gehen.
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