Illegale Kopien von Nachrichtenseiten: Wie ich einen taz-Klon aus dem Internet verbannte
Die taz wurde von einer Website kopiert. Ebenso wie die „Bild“ und „Merkur“. Doch wieso? Die Spur führt zu einer Kryptobörse im Ausland.
M anchmal google ich meinen Namen. Das mache ich, weil ich schauen will, ob andere meine Texte legal verbreiten. Dafür bekomme ich Tantiemen von der VG Wort. Am 9. Juli 2025 stoße ich bei so einer Routine-Suche plötzlich auf eine Seite: taznachricht.org. Das Layout: eine schlechte Kopie von taz.de. Keine taz-Tatze, eine andere Schriftart – doch alle Artikel von uns erscheinen dort in Echtzeit. So, als würde jemand direkt an unserer Datenleitung hängen.
Ich schreibe eine Rundmail: „Ganz sicher nicht von uns“, schreibt ein Kollege. Ein weiterer merkt an, dass er auf eine Kryptobörse weitergeleitet wurde. Was bisher klar ist: Hier klaut jemand unsere Inhalte. Doch wer?
Wer mehr über eine Website herausfinden möchte, für den ist der Quellcode eine Anlaufstelle, das sind die unsichtbaren Baupläne, die zeigen, wie eine Seite dargestellt werden soll. Ich vergleiche die Codes von taz.de und taznachricht.org. Und tatsächlich: große Teile sind kopiert. Zusätzlich finde ich eine Zeile, die im taz-Code nicht existiert: „tongji.khan2.com/tongji.js“. Ein JavaScript, also ein kleines Programm, das im Hintergrund läuft. „Tongji“ heißt auf Chinesisch „Statistik“, ein Tracking-Tool. Die Fake-Seite klaut nicht nur unsere Texte, sondern sammelt zudem Daten.
Über den Dienst whois.com lässt sich eigentlich herausfinden, wer eine Domain, also eine Internetadresse, betreibt. Bei taznachricht.org taucht aber eine Adresse in Island auf. Dort residiert der Dienst Withheld for Privacy, der die wahren Betreiber verschleiert. Die New York Times hat über ihn berichtet: Tausende zweifelhafte Websites, von Identitätsdiebstahl bis Desinformation, verstecken sich hinter derselben Reykjavíker Adresse, in einem Gebäude, in dem auch ein Penismuseum und ein H&M untergebracht sind.
Nach Island und China
Beim Recherchieren stoße ich auf merkurnachricht.org, eine Kopie des Nachrichtendienstes Merkur. Ich tippe daraufhin die Namen großer Medien inklusive „nachricht.org“ ins Suchfenster und bei „bildnachricht.org“ lädt eine Seite, die dem deutschen Boulevardblatt zum Verwechseln ähnlich ist. Auch der Quellcode gleicht in großen Teilen dem Original. Wieder führt die Spur nach Island und nach China. Wir haben es also mit einer Serie zu tun.
Die spontane „Taskforce“ der taz bestehend aus IT, Redaktion und Justiziar ist sich einig: Hier wird gegen das Urheberrecht verstoßen. Doch wie bringt man die Seite zum Verschwinden, wenn die Betreiber anonym sind?
Der Schlüssel heißt: Namecheap. Der US-Anbieter stellt den Fake-Seiten die Domains bereit. Also verfassen wir eine Beschwerde, mit Paragrafen aus dem deutschen Urheberrecht und EU-Richtlinien, fordern wir die sofortige Abschaltung von taznachricht.org.
Unser Justiziar dämpft die Erwartungen. Zu oft ignorieren solche Firmen Beschwerden. Wenige Stunden leitet er mir dann eine Mail weiter, die Antwort von Namecheap: „We have investigated the website and suspended the involved service.“
Kopien für den Datenklau
Doch wer macht sich den Aufwand, mehrere deutsche Nachrichtenseiten zu kopieren? Hinweise darauf finden sich wieder einmal im Quellcode. Im Quellcode der Klon-Seite gibt es eine Art Weiterleitung, die direkt zur Anmeldeseite der Kryptobörse BTCC führt, wenn man keinen Werbeblocker aktiviert hat. Dort ist der Bonuscode „BTCCVIP“ schon eingetragen, eine Art Anmeldebonus, den man auch oft bei Onlineshops bei Erstanmeldung bekommt. Oft bereichern sich Nutzer an solchen Aktionen, indem sie durch einen solchen Bonuscode bei Anmeldung neuer Mitglieder Provision kassieren.
Zunächst denke ich: Perfekt. Ich frage einfach die Börse und finde heraus, wer dank dieses Codes eine Provision kassiert und sich dementsprechend an den Anmeldungen über die Fake-Nachrichtenseiten bereichert. Bevor ich BTCC kontaktiere, tippe ich den Code mit Anführungszeichen in Google ein. Und: Er taucht auch auf der offiziellen BTCC-Seite auf. Die naheliegende Vermutung: Die Börse könnte die Fake-Seiten selbst in Auftrag gegeben haben, um neue „Kunden“ einzusammeln.
Doch wer wäre schon so blöd, sich über eine dubiose Fake-Nachrichtenseite auf einer Kryptobörse anzumelden? Nicht wirklich plausibel. Ich konsultiere den Chaos Computer Club (CCC), die größte Hackervereinigung Europas. Am Telefon schildert CCC-Sprecher und Programmierer Dirk Engling seine Vermutung: Es gehe nicht um diejenigen, die auf taznachricht.org landen, sondern um ihre Klicks und die Weiterleitung auf die Kryptobörse. „Nachrichtenseiten sind eine der wenigen Arten von Websites, die ständig und von Menschen aktualisiert werden, das wirkt sich positiv auf ihre Platzierung bei Suchmaschinen aus“, sagt Engling.
Er vermutet, dass die Masche wie folgt funktioniert: Durch das Kopieren der taz-Artikel wird taznachricht von Suchmaschinen aufgeschnappt. Leute klicken darauf und werden teils direkt und unfreiwillig auf btcc.com weitergeleitet. Suchmaschinen registrieren aus Deutschland viele Klicks auf die Kryptobörse. Davon profitiert wiederum die Kryptoseite, die nun in Deutschland in den Suchergebnissen von Leuten, die nach „Krypto“ und „Bitcoin“ suchen, höher gelistet ist. Die wirklichen Interessierten klicken also eher auf btcc.com, weil die Seite bei Suchmaschinen oben angezeigt wird. Sowohl unser Content als auch diejenigen, die sich auf den Klon verirren, sind folglich nur Mittel zum Zweck.
Aggressive Werbung
BTCC wirbt auch an anderen Stellen aggressiv: Auf der Krypto-News-Seite BeInCrypto steht ein „Bericht“ über die Plattform. Ein genauer Blick zeigt: Es ist eine bezahlte Werbung, die wie ein journalistischer Artikel aussieht, aber keiner ist.
Auch sonst poliert BTCC sein Image mit fragwürdigen Methoden: Auf der eigenen Homepage rühmt sich die Firma, von „mehr als 1.500 Medien“ erwähnt worden zu sein. Quellen zu den Berichten verlinkt sie nicht. Sie behauptet, in den Rankings großer Kryptoportale wie Coin-MarketCap oder CoinGecko in den Top 10 zu stehen. Ein Blick in die Listen zeigt: Bei CoinGecko taucht BTCC gar nicht auf, bei CoinMarketCap liegt es weit abgeschlagen.
Offiziell steht das zweite „C“ im Namen für „Crypto“. In einem Forbes-Artikel aus dem Jahr 2013 findet sich ein Hinweis auf die eigentliche Bedeutung: Ursprünglich stand es für „China“. Heute verschweigt die Firma ihre scheinbar chinesischen Wurzeln.
Die aktuellen Personalien werfen Fragen auf. CEO Dan Liu wirkt auf Fotos wie aus dem Baukasten, sein LinkedIn-Profil zählt gerade mal 13 Kontakte. Im litauischen Handelsregister, dort sitzt der europäische Ableger, heißt der CEO „Wing Hin Liu“. Die Firmen-News auf btcc.com verstärken den Verdacht: Zwischen 2022 und 2024 stehen dort nur generische Krypto-News ohne Substanz. Erst ab März 2025 gibt es drei Pressemitteilungen, wenige Monate, bevor die Fake-Nachrichtenseiten ans Netz gingen, bildnachricht am 16. Juni, taz- und merkurnachricht am 19. Juni. Alles wirkt so, als hätte dieses Unternehmen erst vor wenigen Monaten damit begonnen, sich eine Geschichte zu basteln.
Warnungen vor BTCC
Dazu kommen aktuelle Warnungen auf Reddit: Mehrere Nutzer berichten, von BTCC um ihr Geld betrogen worden zu sein. Ob BTCC tatsächlich selbst hinter den Klon-Seiten steckt, ist nicht beweisbar. Bis Druckschluss antwortete das Portal nicht auf eine taz-Anfrage. Doch das Muster ist auffällig: Während die Firma auf seriös macht, wurde ich wegen Website-Cloning erst auf sie aufmerksam.
Ich aktualisiere taznachricht.org in meinem Browser. Erst lädt die Seite noch, dann ist sie weg. Am Nachmittag nach der Mail von Namecheap ist der Klon offline. Jubeln durchs Homeoffice: Wir haben es tatsächlich geschafft.
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