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Wissenschaftlerin über Echokammern„Die Filterblase ist oft ein Phantom“

Studien zeigen, dass die meisten Menschen Medien kombinieren und nicht in geschlossenen Blasen leben. Warum das Bild trotzdem wirkmächtig ist.

„Filterblase“ oder „Echokammer“? Menschen treffen sich, um Pudding mit Gabeln zu essen – ein Internettrend Foto: Moritz Frankenberg/dpa
Regina Roßbach

Interview von

Regina Roßbach

taz: Frau Mahrt, wenn ich auf Instagram unterwegs bin, habe ich oft das Gefühl, nur das zu sehen, was mich ohnehin schon interessiert. Woher kommt dieses Phänomen?

Merja Mahrt: Das berichten viele Menschen. Einerseits liegt es an den Algorithmen sozialer Plattformen, deren Ziel es ist, uns möglichst lange zu halten. Deshalb zeigen sie bevorzugt Inhalte, die unseren Interessen entsprechen. Andererseits spielt auch die soziale Vernetzung eine Rolle: Wir umgeben uns mit Menschen, die ähnlich ticken wie wir. Das sind zentrale Mechanismen hinter den Konzepten „Filterblase“ und „Echokammer“.

taz: Wie unterscheiden sich diese beiden Begriffe genau?

Mahrt: Die „Echokammer“ beschreibt ein selbstgewähltes Medienverhalten: Wir klicken häufiger auf Inhalte oder vernetzen und mit Menschen, die unsere Meinung bestätigen. Cass Sunstein hat das Konzept 2001 geprägt. Die „Filterblase“ hingegen wurde 2011 von Eli Pariser eingeführt. Sie meint die algorithmisch erzeugte Personalisierung von Inhalten, ohne dass wir das unbedingt merken. Beide Begriffe stammen übrigens nicht aus der Kommunikationswissenschaft, sondern aus Büchern für die breite Öffentlichkeit.

Im Interview: Merja Mahrt

Mahrt ist Kommunikationswissenschaftlerin am Weizenbauminstitut in Berlin. Sie forscht zu digitaler Fragmentierung, Echokammern, Filterblasen und Polarisierung.

taz: Hat das Auswirkungen auf ihre wissenschaftliche Nutzung?

Mahrt: In der Wissenschaft werden sie eher kritisch betrachtet, weil sie keine klaren Definitionen liefern und empirisch schwer zu belegen sind. Trotzdem sind sie in der öffentlichen Debatte sehr präsent, weil sie starke Bilder liefern und intuitiv einleuchten. In der Forschung sprechen wir oft differenzierter über Selektionsmechanismen, Medienrepertoires oder Netzwerkstrukturen.

taz: Welche Aspekte lassen die populären Begriffe außer Acht?

Mahrt: Zum Beispiel, dass Menschen verschiedene Medien parallel nutzen. Selbst wenn mir Facebook nur Gleichgesinntes zeigt, schaue ich vielleicht auf YouTube etwas ganz anderes oder lese klassische Nachrichtenangebote. Dieses „Medienrepertoire“ wird in der öffentlichen Debatte oft übersehen.

taz: Sind Echokammern und Filterblasen also ein Mythos?

Mahrt: Nicht ganz. Studien zeigen, dass die meisten Menschen im Alltag viele verschiedenen Medien kombinieren und nicht in geschlossenen Blasen leben. Es gibt aber kleine Subgruppen, oft mit extremen politischen Haltungen, die sich stark abkapseln. Da sehen wir tendenziell echokammerähnliche Strukturen.

taz: Werden diese Gruppen im Diskurs überbewertet?

Mahrt: Häufig ja. Die Debatte suggeriert manchmal, die ganze Gesellschaft sei in Blasen fragmentiert. Dabei gibt es auch viele Menschen, die gar nicht am politischen Mediendiskurs teilnehmen. Oft sind das ältere oder sozial isolierte Personen. Diese stille Gruppe verdient mehr Aufmerksamkeit.

taz: Welche Rolle spielt dabei die Eigenverantwortung der Nutzenden?

Mahrt: Wie groß die ist, ist schwer zu sagen. Algorithmen gelten oft als das „böse Schwarze Loch“ der Digitalisierung. Aber wir unterschätzen, wie aktiv viele Nutzerinnen und Nutzer mit Medien umgehen. Sie suchen gezielt Inhalte, kombinieren verschiedene Plattformen und sind nicht nur passiv. Beides ist wichtig.

taz: Was weiß die Forschung über den Einfluss von Algorithmen?

Mahrt: Die Datenlage ist schwierig, weil die Plattformen nicht transparent sind. Facebook hat eine Studie veröffentlicht, die nahelegt, dass Nutzer selbst selektiver sind als der Algorithmus. Auch in einer unabhängigen Studie zu YouTube sieht man: Wer Mainstream konsumiert, bekommt auch Mainstream empfohlen. Und wer Extremes sucht, bekommt mehr davon. Die Dynamik beginnt also oft beim Nutzerverhalten.

taz: Wie geht es weiter? Werden Filterblasen zunehmen?

Mahrt: Ich mache mir eher Sorgen um den Lokaljournalismus. Wenn regionale Medien wegfallen, fehlt nicht nur Information, sondern auch sozialer Zusammenhalt. Das könnte zu mehr Spaltung in der Gesellschaft führen.

taz: Welche Rolle spielen Medien im gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Mahrt: Medien bringen zusammen. Das kann auf lokaler Ebene geschehen, aber auch Leitmedien wie die Tagesschau spielen nach wie vor eine wichtige Rolle, weil sie viele Gesellschaftsgruppen erreichen.

taz: Was können Medien tun, um Fragmentierung entgegenzuwirken?

Mahrt: Es hilft, wenn Medien online nicht nur für viele Klicks produzieren, mit der ganz besonders scharfen Überschrift. Ein transparenter Umgang mit Fehlern, die wie in jedem anderen Beruf ja passieren können, ist auch wichtig. Gute journalistische Arbeit ist essenziell für die Demokratie.

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