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Demokratie unter ÜberwachungDie Zerstörung der liberalen CDU

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Familienministerin Karin Prien droht Demokratieprojekten mit dem Verfassungsschutz. Das zeigt, wie getrieben und leichtfertig ihre Union ist.

Ist auf die CDU im Kampf um die Demokratie Verlass? Demonstration des Bündnisses „Gemeinsam gegen Rechts“ am 2. Februar in Berlin Foto: Stefan Boness

E s ist eine Weile her, dass ein gewisser Rezo in einem viel beachteten Video zum Rundumschlag gegen die Unions­parteien ausholte. Die CDU ließ sich damals zu einer herablassenden Antwort hinreißen: „Die Währung von YouTubern sind Klickraten. Die Währung einer Volkspartei ist Vertrauen.“ Die Christdemokraten erinnerten an ihre Verpflichtung „allen Menschen in Deutschland“ gegenüber und an das Gebot von „Maß und Mitte“, nach dem sie ihr Handeln ausrichteten.

Sechs Jahre und einen gehöriger Rechtsruck später muss man feststellen: Maß und Mitte sind der Union ganz schön abhan­denge­kom­men. Das zeigen die Asyl- oder Bürgergelddebatten, das Totalversagen im Umgang mit Frauke Brosius-Gersdorf und Julia Klöckners entfesselter Kulturkampf gegen alles Regenbogenfarbene. Parteifreunde wie Schleswig-­Holsteins Minis­terpräsident ­Daniel Günther, die für eine sachliche und un­ideologische Union stehen, müs­sen sich fühlen wie die FDP in der Ampelkoalition: ein zunehmend ungeliebter Fremdkörper.

Die Zerstörung der liberalen Union hat natürlich mit dem Aufstieg der AfD zu tun. CDU und CSU glauben wohl immer noch, dass sie die rechtsextre­me Partei dadurch kleinhalten können, dass sie genauso laut „Ausländer raus“ und „Genderwahnsinn“ rufen wie das Original. Das heißt, das erhoffen sich wohl diejenigen innerhalb von CDU und CSU, die es mit der viel beschworenen Brandmauer ernst meinen.

Dass die Basis das teils anders sieht, ist gut dokumentiert: Auf kommunaler Ebene stimmt die CDU schon fleißig mit der AfD, und zwar längst nicht mehr nur, wenn es gegen Geflüchtete geht. Und wie getrieben die Führungsriege der Union ist, kann man schließlich sehr gut an ihrem Umgang mit Demokratieprojekten ablesen.

Prien lässt Demokratieprojekte prüfen

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Bundesfamilienministerin Karin Prien den Abgeordneten ihrer Fraktion versprach, Demokratieprojekte vom Verfassungsschutz durchleuchten zu lassen. Und zwar offenbar, weil Abgeordnete kritisch nachgefragt hatten, warum das in ihrem Ministerium angesiedelte Bundesprogramm „Demokratie leben!“ von 182 Mil­lio­nen Euro (2024) nun leicht auf 200 Millionen Euro in diesem Jahr (und ähnliche Summen in den Folgejahren) aufgestockt worden war.

In dem Schreiben, das das Portal Netzpolitik öffentlich machte, heißt es wörtlich: „Mich haben Fragen nach dem Grund für die Anhebung des Haushaltstitels erreicht. Das ist vor dem Hintergrund der Kleinen Anfrage aus Ihren und Euren Reihen vom Frühjahr dieses Jahres nachvollziehbar.“

Darüber lässt sich streiten. In der Kleinen Anfrage, die Prien erwähnt, attackierte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Verbände, Organisationen und Vereine scharf, die zu Protesten gegen Rechtsextremismus aufgerufen hatten – das war wohlgemerkt deswegen geschehen, weil die Union im Bundestag einen Tabubruch beging und bei ihrem ­Antimigrationsantrag auch auf die Stimmen der AfD setzte.

Bis heute scheint die Union in dem Punkt zu keiner Selbstkritik fähig. Stattdessen äfft sie auf Bundes- und teils auf Landesebene den AfD-Vorwurf nach, dass NGOs, die sich gegen rechts engagieren, ihre „Neutralität“ verletzten.

So bedroht wie nie

Als langjährige Bildungsministerin in Schleswig-Holstein (übrigens unter Ministerpräsident Günther) muss Prien wissen, dass dieses Argument Bull­shit ist – politische Bildung und Demokratiearbeit kann nie neutral sein, wenn extremistische Positionen demokratische Werte bedrohen. Prien selbst steht zwar außer Verdacht, an der Brandmauer rütteln zu wollen.

Nach Bekanntwerden der Deportationsfantasien der AfD etwa lobte sie die Proteste aus „der Mitte der Gesellschaft“ und sprach aus, was auch viele Linke dachten: „Unsere liberale Demokratie ist bedroht wie nie.“

Mit ihrem Schreiben an die Fraktion sendet Prien aber nun ein ganz anderes Signal: nämlich, dass die Zweifel an der Förderung von zivilgesellschaftlichen Akteuren berechtigt seien. Möglich, dass die Ministerin mit diesem Schritt vor allem die eigenen Reihen besänftigen wollte. Den Preis dafür aber zahlen alle, die sich für Toleranz und Vielfalt einsetzen. Hunderte Demokratieprojekte stehen jetzt unter generellem Extremismusverdacht – während die wahren Extremisten von AfD und Co im Land schon längst die kritische Zivilgesellschaft einzuschüchtern versuchen.

Seite an Seite mit der AfD

Erschreckenderweise sind es vermehrt auch CDUler, die der AfD in ihrem Feldzug tatkräftig zur Seite stehen. Erst diese Woche hat der AfD-CDU-dominierte Stadtrat im sächsischen Wurzen verhindert, dass bereits gesammelte Spenden an das örtliche Demokratienetzwerk ausgezahlt werden: ein gezielter Schlag, denn damit entgehen dem Netzwerk für Demokratische Kultur auch noch staatliche Fördermittel in Höhe von 70.000 Euro.

Im thüringischen Suhl hat sich kürzlich ein früherer NPD-Kader für die AfD in einen Demokratieausschuss wählen lassen – mutmaßlich mit Stimmen der CDU. Nun entscheidet ein Neonazi über Gelder aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“.

Das sind die Gefahren, die eine Ministerin ihrer Fraktion entgegenhalten sollte. Doch zur Normalisierung der AfD und ihrem Anteil daran schweigt die Union. Und verspielt damit das Vertrauen sehr vieler De­mo­krat:in­nen in diesem Land. Nach wie vor sieht eine große Mehrheit in der AfD und im stärker werdenden Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie. Wer sich nach Maß und Mitte zu richten beansprucht, kann daraus nur einen Schluss ziehen.

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Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
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