Allianzen gegen Selbstbestimmung: Das Recht auf Abtreibung wird global angegriffen
Deutsche Abtreibungsgegner*innen werden von US-amerikanischen Pro-Life-Organisationen unterstützt – nicht nur strategisch, sondern auch finanziell.

Zwischen den vielen Unterzeichnern von Gruppen aus den USA sticht ein Name hervor: Aktion Lebensrecht für Alle e. V., die laut eigenen Angaben „größte Pro-Life-Organisation“ Deutschlands. Ihre Unterschrift symbolisiert die gegenseitige Abhängigkeit solcher Organisationen innerhalb globaler Antiabtreibungsnetzwerke, die tiefe Wurzeln in den USA haben.
„Abtreibungsgegner*innen in Deutschland beobachten genau, welche Taktiken in den USA erfolgreich waren, und ziehen daraus Inspiration“, sagt Elodie Fischer von der Berliner Ortsgruppe des Frauenkollektivs, einer sozialistischen Frauengruppe. Aber welche Strategien haben Antiabtreibungsaktivisten aus den USA übernommen? Wie äußert sich internationale Vernetzung konkret? Fließt auch Geld aus den USA nach Deutschland?
Eines der jüngsten Beispiele für internationale Vernetzung betrifft die designierte Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf. Sie zog ihre Kandidatur nach einer Verleumdungskampagne zurück. Eine der wichtigsten Gruppen in der Kampagne gegen sie war CitizenGO. Die multinationale konservative Organisation mit Sitz in Spanien hatte die Petition „Keine radikale Anti-Lebens-Aktivistin im Bundesverfassungsgericht: Stimmen Sie gegen Frauke Brosius-Gersdorf!“ ins Leben gerufen. Sie stellte den mehr als 148.000 Unterzeichnern die Formulierungen zur Verfügung, mit denen sie sich direkt an Mitglieder der CDU und CSU wenden konnten. „Sieg!“, verkündete die Organisation am 7. August, als Brosius-Gersdorf zurückzog.
Kampf gegen Brosius-Gersdorf Teil von größerer Strategie
Ähnliche Erklärungen von CitizenGO über siegreiche Kampagnen in den USA folgten. Etwa nachdem Trump die Bundesfinanzierung für ausländische Gruppen, die den Zugang zu Abtreibungen unterstützen, beendet und Gefangene begnadigt hatte, die wegen Blockaden von Abtreibungskliniken und Belästigung von Patientinnen verurteilt worden waren.
„Bei der Kampagne der Rechtsextremen gegen Brosius-Gersdorf ging es nicht nur um Abtreibung“, sagt Imme Scholz, Co-Präsidentin der Heinrich-Böll-Stiftung. „Die Ablehnung einer Kandidatin, die weitgehend moderat ist, sich aber klar gegen die AfD positioniert, ist Teil einer größeren rechtsextremen Strategie: Das Verfassungsgericht soll politisiert und damit in seiner Fähigkeit, Gesetze auszulegen, delegitimiert werden.“
Die Richter, die Trump während seiner ersten Amtszeit ernannt hatte, trugen mit ihren Stimmen dazu bei, dass der Oberste Gerichtshof das Urteil in der Rechtssache Roe v. Wade von 1973 aufgehoben und damit das verfassungsmäßige Recht der US-Bürger auf Abtreibung im Jahr 2022 beendet hat. Das Strategiepapier „Project 2025“, das von Persönlichkeiten mit engen Verbindungen zur aktuellen Regierung formuliert wurde, fordert unter anderem, den Versand von Medikamenten zur Abtreibung zu verbieten. Das soll mittels eines weitgehend veralteten Gesetzes aus dem Jahr 1873 namens Comstock Act durchgesetzt werden.
Das wäre auch in Deutschland möglich. „Der Zugang zu Abtreibungsmedikamenten in Deutschland könnte in ähnlicher Weise weiter eingeschränkt werden, wenn die bestehenden Gesetze strenger ausgelegt werden“, sagt Annika Kreitlow, Assistenzärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe in Berlin. Derzeit muss sie, um ihren Patientinnen Mifepriston und Misoprostol gemäß deutschem Recht zu verschreiben, diese Abtreibungsmedikamente aus anderen europäischen Ländern oder direkt beim Hersteller bestellen, anstatt sie in „normalen Apotheken“ zu beziehen. Die Lieferung kann bis zu sechs Wochen dauern.
Zugang zu Abtreibungsmedikamenten bereits erschwert
„Die Situation, die wir derzeit mit Abtreibungsmedikamenten haben, ist sehr kompliziert“, sagt Kreitlow. „2019 wurde beispielsweise der Import des international häufig verwendeten Medikaments Cytotec (Misoprostol) in Deutschland durch politischen Druck des damaligen CDU-geführten Gesundheitsministeriums eingeschränkt, sodass es nun nur noch schwer zu bekommen ist. Ähnliche Einschränkungen sind auch in der Zukunft denkbar.“
Elodie Fischer vom Frauenkollektiv verweist zudem auf das im Dezember vom bayerischen Landtag beschlossene Verbot von Telemedizinberatungen über Schwangerschaftsabbrüche. „Wenn man das nationale Recht nicht ändern kann, wendet man sich an die Bundesländer“, sagt Fischer. „Diese Strategie ähnelt der in den USA.“
Beziehungen zwischen Organisationen in Deutschland und den USA bestehen auch in finanzieller Hinsicht, wie ein aktueller Bericht des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte zeigt: Konservative Organisationen in den USA stellen große finanzielle Mittel für Antiabtreibungsbewegungen in Europa bereit. Seit 2019 gab die christliche Rechte in den USA jährlich rund 22 Millionen Dollar für europäische Organisationen aus, die die Gleichstellung der Geschlechter untergraben.
Der Bericht identifiziert Prinzessin Gloria von Thurn und Taxis als eine Schlüsselfigur der Bewegung gegen Rechte von Frauen und LGBTQI in Deutschland. Er hebt hervor, dass die milliardenschwere Fürstin auch „enge Beziehungen zu einer Reihe von rechtsextremen Akteuren in den USA unterhält“, darunter Samuel Alito, Richter am Obersten Gerichtshof der USA, Steve Bannon und die Alliance Defending Freedom (ADF).
Die ADF hat Millionen US-Dollar in den Kampf gegen das Recht auf Abtreibung in den USA und der EU gesteckt. Die letzte verfügbare Steuererklärung von ADF International wies jährliche Ausgaben in Höhe von mehr als 5 Millionen US-Dollar in Europa aus. Als eine deutsche Pro-Life-Gruppe 2019 daran gehindert wurde, vor einem Pro-Familia-Zentrum in Pforzheim zu protestieren, reichte eine Gruppe namens 40 Days for Life mit rechtlicher Unterstützung von ADF Klage ein. Die Gruppe gewann den Prozess im Jahr 2022. Deutschland verabschiedete allerdings später ein Gesetz, das Belästigungen im Umkreis von 100 Metern um Beratungsstellen und Abtreibungskliniken verbietet.
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40 Days for Life ist eine Organisation mit Sitz in den USA, die in den vergangenen Jahren ihren Namen und ihre Organisationstaktiken für mehrere Proteste in Deutschland zur Verfügung gestellt hat. Für Europa waren laut ihrer Steuererklärung rund 407.000 US-Dollar für Zuschüsse und „Bildung, Ausbildung, Öffentlichkeitsarbeit, Gebet“ vorgesehen.
Während die Ärztin Kreitlow vor ihrer Praxis in Berlin noch keine Proteste von 40 Days for Life erlebt hat, sind ihre Kollegen bei Pro Familia in Frankfurt am Main „jeden Tag“ mit Pro-Life-Aktivisten konfrontiert, die in der Nähe campieren. Im März wurde die dortige Beratungsstelle mit dem Wort „Mörder“ beschmiert.
„Trotz der importierten Gelder und Strategien ist die deutsche Antiabtreibungsbewegung selbst kein Import aus den USA“, sagt Imme Scholz von der Heinrich-Böll-Stiftung. „Die deutschen Antiabtreibungsorganisationen haben zwar organisatorische und rhetorische Fähigkeiten von älteren US-amerikanischen Pendants gelernt und durch konservative transatlantische, traditionalistische christliche Lobbynetzwerke wie Agenda Europe nach Deutschland gebracht. Aber die Abtreibungsgegner*innen waren auch schon vor der Vernetzung mit den USA da, ziemlich authentisch und echt.“
Mehr als 80 Prozent der Deutschen gegen §218
Gerade sei „eine stärkere Sichtbarkeit von Abtreibungsgegner*innen und Antiabtreibungsaktivist*innen“ in Deutschland zu beobachten, sagt Scholz. „Was wir nicht sehen, ist eine Veränderung in der Haltung der öffentlichen Mehrheit zum Thema Abtreibung“, ergänzt sie. Mehr als 80 Prozent der Deutschen sind laut repräsentativen Umfragen der Meinung, dass Abtreibung nicht unter Strafe gestellt werden sollte.
Dennoch bleibt die Bundesregierung untätig. Auch die Ampelkoalition vermochte das Abtreibungsrecht nicht zu ändern. Könnte die Untätigkeit der Regierung in Bezug auf Abtreibungen durch die USA beeinflusst sein? Konservative, aber auch Menschen aus der Mitte des politischen Spektrums seien versucht, das deutsche Abtreibungsgesetz unverändert zu lassen, um „den sozialen Frieden in dieser Frage zu wahren“, sagt Ärztin Kreitlow. Diese Politiker seien der Meinung, dass der Gesetzgeber das Thema so weit wie möglich vermeiden sollte, „um keinen Kulturkampf wie in den USA auszulösen“.
„Aber wenn die Bundesregierung nicht handelt, wird auch das Folgen für den Zugang zu Abtreibungen haben“, sagt sie. „Viele der Ärzte, die Abtreibungen durchführen, werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Jüngere Generationen lernen nicht automatisch Abtreibungen in ihrer Ausbildung und entscheiden sich aus verschiedenen Gründen später selber nicht für die Durchführung“, so Kreitlow.
Diese Faktoren, zusammen mit den bestehenden staatlichen Beschränkungen im Bereich Schwangerschaftsberatung, Medikamente und Ausbildung von Ärzten, werden dazu führen, dass es mit der Zeit immer schwieriger wird, in Deutschland eine Abtreibung vornehmen zu lassen.
„Das Wichtigste ist jetzt, weiter Druck auszuüben“
„Die Konservativen gewinnen, wenn wir einfach alles so lassen, wie es ist“, warnt Kreitlow daher. „Das Wichtigste ist jetzt, das Thema in der Diskussion zu halten und weiter Druck auszuüben. Denn wenn wir aufhören, gewinnen sie. Und wenn wir nichts tun, wird sich alles noch weiter verschlechtern. Deshalb müssen wir lauter werden und stärker sein.“
Elodie Fischers Frauenkollektiv plant, in diesem Monat gegen den „Marsch für das Leben“ in Berlin und Köln zu protestieren. „Wir müssen jetzt aktiv werden und den Menschen wirklich zeigen, dass es jetzt an der Zeit ist zu kämpfen“, sagt Fischer. „Es ist viel einfacher, für den Erhalt von Rechten zu kämpfen, als für deren Erlangung.“
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