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27 Jahre Haft nach PutschversuchDer Messias soll in den Knast

Jair Bolsonaro wurde für einen versuchten Staatsstreich verurteilt. Als erster Ex-Präsident Brasiliens. Was heißt das für seine autoritäre Bewegung?

Der verurteilte Wahlverlierer und Umstürzler Bolsonaro hat weiterhin Fans Foto: Amanda Perobelli/rtr

Es gibt dieses eine Zitat von Jair Messias Bolsonaro aus dem Jahr 2021. „Es gibt drei Möglichkeiten für meine Zukunft: ins Gefängnis gehen, sterben oder siegen“, orakelte der damalige brasilianische Präsident. „Seien Sie sicher, dass die erste Möglichkeit nicht existiert.“ Doch nun könnte es genau so kommen.

Der Oberste Gerichtshof sieht es als erwiesen an, dass eine Gruppe rund um ­Bolsonaro in Gangsterfilmmanier einen gewaltsamen Umsturz plante – inklusive geheimer Waffenlager, Codenamen und einem Plan, Präsident Luiz Inácio Lula da Silva zu vergiften. „Brasilien ist fast zur Diktatur zurückgekehrt“, sagte Richter Alexandre de Moraes in seiner Urteilsbegründung. Bolsonaro soll für 27 Jahre und drei Monate hinter Gitter. Zum ersten Mal in der Geschichte Brasiliens wurde ein Ex-Präsident wegen eines versuchten Staatsstreichs verurteilt. Selbst die Folterknechte der brutalen Militärdiktatur kamen damals mit einer Generalamnestie davon.

Das Urteil ist in vielerlei Hinsicht historisch. Und es ist mehr als die einfache Verkündung einer Strafe: eine Absage an den Autoritarismus mit Symbolwirkung weit über die Landesgrenzen hinaus. Hat Brasilien ein Rezept gefunden, autoritären Bestrebungen Einhalt zu gebieten?

Rückblick: Bolsonaro gegen den obersten Gerichtshof

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Rückblick auf Bolsonaros Amtszeit: Der ultrarechte Ex-Militär trat mit einer Mannschaft aus Fanatikern, Politclowns und Laienpredigern an und startete einen Frontalangriff auf alles, was ihm unbequem war: Linke, Medien, Umweltaktivist*innen. Getragen von einem antipolitischen Momentum in einem krisengeschüttelten Land, wollte er alles anders machen. Rückendeckung gab es von einer Bewegung, die Bolsonaro hinter sich scharen konnte: dem Bolsonarismus. Zweifel? Gab es nicht. Kritik? Wurde nicht toleriert. Es gab nur zwei Kategorien: für Bolsonaro oder gegen ihn. Freund oder Feind. Wir gegen die. Bolsonaro nährte diese Wagenburgmentalität, indem er ständig Konflikte mit den demokratischen Institutionen provozierte.

Dass Brasilien dieser autoritären Wende nicht vollständig zum Opfer fiel, verdankt das Land vor allem seinem Obersten Gerichtshof. Während Bolsonaros Amtszeit zog dieser immer wieder rote Linien: Er ermittelte gegen Fake-News-Netzwerke, reagierte hart nach dem Sturm auf Brasília und bestrafte Lügen über vermeintliche Wahlmanipulationen konsequent. Dass das Gericht dabei mitunter über das Ziel hinausschoss und zu viel Macht an sich zog, gehört ebenfalls zur Wahrheit.

Doch das Gericht erkannte, wie es in seinem aktuellen Urteil deutlich machte, dass Typen wie Bolsonaro beim Wort genommen werden müssen. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, wofür er steht: Er ist ein notorischer Antidemokrat und Bewunderer der Militärdiktatur. Sein Ziel war es, die Regeln der Demokratie auszuhöhlen.

Bolsonaros Unterstützer machen weiter

Der brasilianische Autor Rui Fausto spricht von einer „democratura“ – einem System, in dem ein demokratisch gewählter Staatschef eine Diktatur errichtet. In Europa wird über das Konzept der „illiberalen Demokratien“ diskutiert, in denen eine demokratische Fassade aufrechterhalten wird, um die Substanz von innen zu zerstören. Wohin es führen kann, die Kontrolle über autoritäre Staatschefs zu verlieren, zeigen die USA, die mit einem Bein im Faschismus stehen.

Bolsonaro musste in den letzten Monaten schon einiges über sich ergehen lassen: stundenlange Verhöre, Hausarrest, Entzug des Reisepasses. Die jüngste Verurteilung stellt zweifellos eine schwere Demütigung dar. Gleichzeitig bietet sie ihm die Möglichkeit, sich als Märtyrer zu inszenieren. Und sie nährt das Narrativ, dass eine große Verschwörung im Gang sei. Seine Verteidigung hat bereits angekündigt, in Berufung zu gehen, und gibt sich kämpferisch. Auch seine An­hän­ge­r*in­nen werden wieder auf die Straßen ziehen, während stramm rechte Abgeordnete im Parlament versuchen, eine Amnestie durchzusetzen.

Fakt ist: Der radikalisierte Kern des Bolsonarismus hat sich durch die Wahlniederlage 2022 nicht von seiner Sache abbringen lassen. Ein Teil der Bewegung zeigte weiterhin die Bereitschaft, alles für ihr Idol zu geben – inklusive politischer Gewalt. Im vergangenen Jahr versuchte ein Bolsonaro-Anhänger, einen Sprengsatz im Regierungsviertel von Brasília zu zünden, um Richter zu töten. Das Attentat scheiterte, der Täter kam ums Leben.

Der Bolsonarismus wird sich nicht in Luft auflösen

Viele Bolsonaristen setzen zudem auf Unterstützung von außen, vor allem aus den USA. Kurz nach der Verurteilung sprach US-Senator Marco Rubio von „politischer Verfolgung“ und kündigte an, dass sein Land „angemessen auf die Hexenjagd reagieren“ werde. Zuvor hatte die Trump-Regierung bereits Strafzölle gegen Brasilien verhängt. Für Brasiliens Rechte sind diese Maßnahmen ein Beweis ideologischer Verbundenheit, für den Rest des Lands ein schwerer Affront. Die Verurteilung könnte die Spannungen zwischen beiden Ländern weiter verschärfen. Sie stellen zugleich einen geopolitischen Test für die Lula-Regierung dar, die mehrfach angedeutet hat, sich vom Einfluss der USA zu lösen und neue Partner zu suchen.

Doch was bedeutet die Verurteilung Bolsonaro für die extreme Rechte in Brasilien? „Sie wird sich durch das Urteil nicht aus der Politik zurückziehen“, sagte die Politikwissenschaftlerin Isabela Kalil der taz. „Aber ihr Handlungsspielraum innerhalb der Institutionen wurde eingeschränkt.“ Ohne ihre wichtigste Führungsfigur droht dem Lager eine Zersplitterung. Und das Buhlen um eine Kandidatur für die Wahl 2026 hat bereits begonnen. Als aussichtsreicher Kandidat gilt derzeit der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas. Viele eingefleischte Bolsonaro-Fans halten ihn jedoch für nicht radikal genug. Auch Bolsonaros Söhne und seine Frau werden als Alternativen gehandelt, sind aber selbst in Ermittlungen und Affären verstrickt.

Der Bolsonarismus wird sich nicht einfach in Luft auflösen. So viel ist klar. Er repräsentiert eine Idee und eine bestimmte Art, Politik zu machen, nicht nur auf der großen Bühne der brasilianischen Bundespolitik. In den Parlamenten im ganzen Land sitzen Tausende ­ultrarechte Ex-Po­li­zist*in­nen und die Bibel schwingende Got­tes­krie­ger*in­nen, die die Politik bereits nach ihren reaktionären Grundsätzen mitgestalten. Zugleich ist zu erwarten, dass auf Bundesebene rechte Trittbrettfahrer auftreten – politisch unbelastet, aber rhetorisch und ­thematisch auf Bolsonaro-Kurs.

Ohne Altlasten, aber mit demselben Kalkül.

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