piwik no script img

Pragmatismus statt PolarisierungJetzt volle Pulle Rot-Rot-Grün?

Eine mögliche Rot-Rot-Grüne Regierung muss mehr bieten als linken Populismus. Der Grüne Pragmatismus der letzten Jahre könnte als Vorbild dienen.

Die Grünen im Bundestag mit Regenbogen-Shirts, eine Aktion die auch bei SPD und Linken anschlussfähig wäre Foto: Frederic Kern/imago

N achdem selbst der Obermittianer Robert Habeck die Mitte als Illusion bezeichnet hat, ist es für die Wusste-ich-doch-immer-Linke naheliegend, die Welt offiziell in zwei Teile zu spalten: hier links und dort rechts; hier SPD, Grüne, Linkspartei, dort Union und AfD. Ziel: mit angeblich „gutem Populismus“ bei der nächsten Bundestagswahl eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün zu erringen.

Guten Populismus gibt es aber nicht, es geht immer darum, die einen auf die anderen zu hetzen. Populismus ist das Gegenteil von Aufklärung und Vernunft. Im Übrigen besteht der Masterplan der AfD darin, die derzeitige Bundesregierung in zwei Lager zu spalten und dadurch zu zerstören. Ein rot-rot-grüner Spin wird wahrscheinlich dazu beitragen, die Union in Richtung AfD zu schieben. Es ist kaum zu verhindern, dass so etwas auf eine mediengesellschaftliche Kulturkampfinszenierung von zwei Seiten hinausläuft, bei der die einen den anderen vorwerfen, dass sie die hinters Licht geführten kleinen Leute an eine miese Elite verraten.

Andererseits ist es ja so, dass Teile der Union sich jetzt schon auf die AfD zubewegen, in völliger Verkennung, dass die CDU das eigentliche Ziel deren Zerstörungsplans ist. Es gibt im Moment keine Regierungsalternative zu Union und SPD, weshalb man Rot-Rot-Grün zumindest strategisch offiziell nicht ausschließen sollte. Aber falls jemand wirklich darüber sprechen möchte, so bietet sich statt der Behauptung moralischer Überlegenheit und einer unzureichenden Fokussierung auf die „soziale Frage“ folgende Überlegung an: Was könnte Rot-Rot-Grün wegweisend Zeitgemäßes in Fragen der EU, der militärischen Verteidigung, der Zukunft der Ukraine und damit Europas, der Wirtschaftstransformation, der Digitalisierung, des Einhaltens der Pariser Klimaverträge, des individuellen, gesellschaftlichen und politischen Resilienzaufbaus bringen? Wie kann man das Geldausgeben nachhaltiger hinkriegen als die derzeitige Koalition, um die Zukunft der Jungen nicht vollends zuzubetonieren?

Was nun die Grünen angeht, so besteht ihre momentane Irritation darin, dass sie sich in den Habeck-Jahren zu einer staatstragenden und gesamtgesellschaftlich orientierten Partei entwickelt haben – auf der Höhe der globalen und europäischen Lage, im Wissen um die Widersprüche und gegen die Laufrichtung aller anderen Parteien. Sie haben damit politische Erfolge erzielt, die energetische und politische Abhängigkeit von russischem Gas abgeschaltet, die postfossile Energiewende vorangebracht, den naiv-gefährlichen Wohnzimmerpazifismus von unsereins beendet. Das Problem: Kaum einer lobt sie derzeit dafür.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ich unterstelle: Grüne und Grünen-Wähler sind heute mehrheitlich ordentliche und engagierte Staatsbürger, sind gestresste Eltern und Kinder, bedingt aufbruchbereit, teilweise sogar leistungsorientiert. Das ist nicht nichts. Allerdings ist das eine Identität, die einem Teil der Grünen irgendwie unangenehm ist, historisch-kulturell grundiert möchten sie sich lieber als rebellische Staats- und Gesellschaftskritiker sehen, die sich im Widerstand gegen die „Spießer“ und die Elite wähnen und nicht neuerdings selbst so beschimpft werden. Müssten sie nicht so frech-oppositionell wie Heidi Reichinnek sein oder rotzig-antistaatlich wie Jette Nietzard?

Äh, nein. Das ist kulturelle Nostalgie und Rea­litätsvergessenheit, die paradoxerweise auch Junge entwickeln. Was gebraucht wird, sind Leute, die mit Herz und Verstand gegenwärtig sind, die nicht auf die Nostalgiezüge nach Nirgendwo aufspringen und dabei überfahren werden. Die nicht selbstbezogen diskutieren, wer sie sein wollen, sondern was die Probleme sind und wie sie sie angehen wollen. Nicht theoretisch im Grundsatzprogramm, sondern praktisch im Hier und Jetzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • "Sie haben damit politische Erfolge erzielt, die energetische und politische Abhängigkeit von russischem Gas abgeschaltet, die postfossile Energiewende vorangebracht..."

    Dafür Bückling vor Gas-Scheichs, die Menschenrechte auch nicht achten. Langfristige Lieferverträge, die Abhängigkeit verlängern. Und natürlich LNG-Terminals erzwungen, obwohl man sie eigtl nicht braucht. Eine solch pragmatische - besser: fossile - Mitte braucht es nicht.



    Die Mitte wurde von Rechts gekapert und verschoben. Die Mitte von morgen ist links und hat noch eine Idee einer besseren Zukunft - anstatt nur das zu reparieren, was sogenannte Konservative (im Bund mit Rechtsextremen) kaputt gemacht haben.

  • Gute Kolumne...



    "Das ist kulturelle Nostalgie und Rea­litätsvergessenheit, die paradoxerweise auch Junge entwickeln. " So Paradox ist es gar nicht. Die Jugend ist meist idealistisch und realitätsvergessen, dass gehört bei vielen zur Identitätsfindung und zum (politischen) Erwachsen werden dazu.

    Dass Rebell zu sein oft attraktiver ist ,als vermeindlich angepasst zu sein ist, auch nichts Neues.

  • Guten Populismus gibt es (...) nicht



    ===



    Sollte die Partei "Die Linke" verstärkt damit beginnen, politische Ideen oder pol. Gestaltungsvorschläge mit Populismus anzureichern oder gar Realpolitik durch Populismus zu ersetzen -- kann sie einpacken.

    Die Linke oder Reichinnek haben/hat sich den Platz im Bundestag erkämpft durch Realpolitik == Abfrage des jüngeren Teils der Gesellschaft wo der Schuh am meisten drückt -- und hat das Internet/soziale Medien als Kommunikationsraum entdeckt.

    Populismus -- egal aus welcher Ecke -- zerstört den demokratischen Diskurs und erklärt den Wähler zum Dummerchen -- der nicht durchblickt und lediglich schräge abseitige Bauchgefühle in die politische Diskussion wirft.

    Ein demokratisches System ist abhängig von realpolitischen Beiträgen aus unterschiedlichen real existierenden Glaubensrichtungen/Lagern - Populismus führt den politischen Diskurs ad Absurdurm - und damit das System der Demokratie.

  • Tja, blöd nur, dass rot rot grün in Summe auf kaum mehr als 30% kommt. Da wird nix draus. Dafür gibt es einfach keine Mehrheit im stumpfen Wahlvolk.

  • Nettes Gedankenspiel, hat aber keine Zukunftsfähigkeit. Allein die Sicherheitsfragen wie Wehrhaftigkeit, militärische Unabhängigkeit von Amerika, militärische Unterstützung der Ukraine, Einschätzung von Putin und Russland hinsichtlich ihres Respekts anderer Nationen gegenüber und der Landesgrenzen, das alles wird mit der Linken, und auch Teilen der SPD, nicht in Übereinstimmung mit der Sicht der Grünen zu bringen sein.

  • Danke.



    Natürlich verstecken sich im Artikel einige persönliche Ansichten, die ich nicht teile.



    Das Grundproblem der Strategie ist allerdings die Frage.



    Auch die taz ist, glücklicherweise, noch etwas unentschlossen.



    Wurden in Ampelzeiten noch ,"linke", oder "grüne" Positionen erläutert, ist Fundamentalopposition nun häufig die Antwort.



    Gerne schreiben JounalistInnen über " die Regierung". Das entlarvt, dass die Situation verkannt wird. "Die Regierung" ist NUR ein Zweckbündnis gegen die "afd".



    Es sollte Jeder und Jedem offensichtlich sein, dass zwischen den Positionen von Union und SPD Welten liegen.



    Wer außerdem permanent von "Einknicken" der SPD , oder ähnlichem , schreibt, dem/der ist der Kompromiss , als Grundlage der Demokratie, ja gar des menschlichen Miteinanders, offenbar ein Fremdwort.



    Klar, die Union hat gerade ein Horrorkabinett aufgestellt, das Zerstörung an die erste Stelle setzt, gleich hinter(😉) Selbstinszenierung.



    Dennoch ist "die Regierung" eben NICHT die "afd". Es gilt, diese Unterschiede klar zu machen.



    Ist eine Gesamtgesellschaft wünschenswert, oder ein tiefer Graben zwischen den Lagern?



    Oder noch weitergehend :" scheint die Sonne auch für Nazis"?

  • Statt - üblicher rinkslechts Pappkammeradenwalzer ©️ Peter Unfried! Gell

    Nur die eine eine Frage:



    “Es gibt im Moment keine Regierungsalternative zu Union und SPD, weshalb man Rot-Rot-Grün strategisch nicht ausschließen sollte.“



    Seiens doch so freundlich & erklärens bitte



    Das “…weshalb…“ 🛀 🤣 - tipitoppi 🧹 🧹🧹 •

    Dank im Voraus