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Deutsche Iran-PolitikDrei Jahre leere Phrasen

Daniela Sepehri
Kommentar von Daniela Sepehri

Was bleibt nach den „Frau, Leben, Freiheit“-Protesten im Iran? Eine deutsche Politik, die Menschenrechte je nach Opportunität ein- oder ausblendet.

Eine iranische Frau in Teheran: Über 850 Menschen wurden allein in diesem Jahr hingerichtet Foto: Vahid Salemi/AP/dpa

A rash* war 20 Jahre alt, als ihn ein Schuss der Revolutionsgarden bei den Protesten in Iran traf. Nach der Ermordung der Kurdin Jina Mahsa Amini durch die Sittenpolizei brachen landesweite Proteste unter der Parole „Frau, Leben, Freiheit“ aus. Arash war einer von Tausenden, die auf die Straße gingen und für Freiheit demonstrierten. Aus 50 Metern Entfernung zielte ein Mann in Uniform auf sein Gesicht und zeichnete ihn damit für den Rest seines Lebens. Heute lebt Arash in einem Drittland und versteckt sich aus Angst vor einer Abschiebung nach Iran. Sein Antrag auf Aufnahme in Deutschland nach Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes, also eine sogenannten humanitäre Aufnahme, wurde abgelehnt.

Ein Schicksal wie dieses macht die ganze Absurdität der deutschen Iranpolitik sichtbar. 2022 kündigte die damalige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) an, den Verfolgten der Proteste in Deutschland Schutz zu geben. Eine niedrige dreistellige Zahl von Aufnahmezusagen pro Jahr kam zustande. Doch schon unter der damaligen sozialdemokratischen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stockten die Verfahren, die Kriterien wurden enger. Selbst Menschen, denen ins Auge geschossen worden war, galten nicht mehr als „herausragend engagiert“ genug.

Mit der Koalition aus CDU/CSU und SPD unter Bundeskanzler Friedrich Merz kam die Vollbremse. Drei Monate lang wurden humanitäre Aufnahmen komplett gestoppt. Inzwischen gibt es sie wieder – aber nur noch für „herausragende Menschenrechtler*innen“ oder Jour­na­lis­t*in­nen mit starkem Deutschlandbezug. Wer entscheidet, was „herausragend“ ist? Das Bundesinnenministerium unter der Leitung von Alexander Dobrindt. Das vereinfachte Profilraster, das den Protestierenden der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung eine klare Perspektive bot, existiert nicht mehr.

Gleichzeitig ließen die In­nen­mi­nis­te­r*in­nen der Länder den Abschiebestopp nach Iran schon Ende 2023 auslaufen. Seitdem werden wieder Menschen in ein Land abgeschoben, in dem mehr als 850 Menschen allein in diesem Jahr hingerichtet wurden. Jede einzelne Abschiebung bedeutet direkte Kooperation mit einem Regime, das foltert, mordet und Frauen für das Abstreifen eines Kopftuchs auspeitscht. Erst im Juni sollte eine 67-jährige Frau aus Bayern zu ihrem gewalttätigen Ehemann abgeschoben werden – zwei Tage vor Ausbruch des Kriegs zwischen Israel und der Islamischen Republik Iran. Deutschland steht vor menschenrechtliche Abgründen – und es scheint, als wolle die Union direkt hineinspringen.

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Ihre Worte waren nichts Wert

Die Doppelmoral ist unübersehbar. Noch vor drei Jahren schmückte sich die Union mit Solidaritätsbekundungen für die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung. Aus der Opposition heraus war das einfach, rückblickend geradezu billig. In der Regierungsverantwortung dagegen zeigt sich, was diese Worte wert waren: nichts. Denn wer seine Solidarität ausspricht und gleichzeitig Aufnahmeverfahren sabotiert, Abschiebungen durchführt und mit den Mördern in Teheran verhandelt, betreibt keinen Wertediskurs, sondern ist zynisch.

Auch außenpolitisch ist das Bild düster. Deutschland, Frankreich und Großbritannien – die sogenannten E3-Staaten – verhandeln derzeit mit dem iranischen Regime über das Atomprogramm. Menschenrechte spielen in keinem Statement eine Rolle. Kein Wort zu den Hungerstreiks politischer Gefangener, die seit Januar 2024 jeden Dienstag in Dutzenden Gefängnissen gegen die Todesstrafe protestieren. Kein Wort zu Folter, Hinrichtungen, Verschwindenlassen und dem Krieg des Regimes gegen die eigene Bevölkerung.

Stattdessen behauptet Bundeskanzler Friedrich Merz, Israel mache mit den völkerrechtswidrige Bombardements im Juni die „Drecksarbeit für uns“ – wissend, dass dabei auch Zi­vi­lis­t*in­nen getötet wurden; wissend, dass von den Angriffen auch die politischen Gefangenen im berüchtigten Evin-Gefängnis betroffen waren – genau jene Gefangenen, mit deren Schicksal sich die Union, und auch Friedrich Merz, noch vor Kurzem vermeintlich solidarisch zeigte.

Was bleibt drei Jahre nach dem Ausbruch der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste? Eine Politik, die Menschenrechte je nach Opportunität ein- oder ausblendet. Nach außen ein Bekenntnis zur Freiheit, nach innen ein Kooperationsmodus mit Folterern. Die Botschaft an die Menschen in Iran ist verheerend: Ihr seid auf euch allein gestellt, Deutschland interessiert sich nicht für euch.

Hoffnung erwächst aus Widerstand

Doch sie geben nicht auf. In zahlreichen Städten Irans protestieren Menschen derzeit trotz massiver Repressionen gegen die ständigen Strom- und Wasserausfälle, gegen die Hinrichtungen, gegen das gesamte Regime. Politische Gefangene melden sich immer wieder aus den Gefängnissen mit Protestschreiben zu Wort, treten in Hungerstreiks, riskieren weitere Folter und längere Haftstrafen, um ein Zeichen zu setzen. Junge Menschen sprühen Parolen gegen das Regime an die Wände, schrei­ben Proteste auf Geldscheine, um sie in Umlauf zu bringen. Ar­bei­te­r*in­nen treten immer wieder in Streiks. Der Freiheitskampf in Iran geht täglich weiter.

Hoffnung erwächst nicht aus der deutschen Politik, sondern aus dieser Beharrlichkeit. Wer heute noch auf die Straßen Irans geht, wer in den Gefängnissen protestiert, beweist, dass Widerstand möglich bleibt. Aber Deutschland trägt Verantwortung. Wer von Solidarität und Frauenrechten spricht, aber in ein Land abschiebt, wo Frauen ausgepeitscht und Menschen die Finger amputiert werden, zeigt seine Doppelmoral.

Wer in der Opposition von der Unterstützung der mutigen Protestierenden in Iran spricht, aber in Regierungsverantwortung keine gefährdeten Personen mehr aufnehmen möchte, verspielt seine Glaubwürdigkeit. Wer in Sonntagsreden von Freiheit spricht, muss in Alltagsentscheidungen Menschenleben schützen. Ansonsten wird Solidarität zur leeren Phrase.

*Name redaktionell geändert

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Daniela Sepehri
Jahrgang 1998, lebt in Berlin. Freie Social Media Beraterin, Autorin und Journalistin mit den Schwerpunkten Iran, Migration, Antirassismus und Feminismus. Bachelorabschluss in Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Freien Universität Berlin.
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