Abschiebungen nach Afghanistan: Regierung verteidigt Gespräche mit Taliban
Innenminister Dobrindt will mehr Abschiebungen durchsetzen. Dafür sollen seine Mitarbeiter in Kabul mit Vertretern des afghanischen Regimes verhandeln.

Es handele sich um „technische Kontakte“, betonte Vize-Regierungssprecher Steffen Meyer. Diese seien „in keinster Weise“ damit gleichzusetzen, „die De-facto-Regierung in Afghanistan als politisch rechtmäßige Regierung anzuerkennen. Das tun wir nicht“, sagte Meyer. „Technisch“ heißt hier, dass die Gespräche unterhalb der politischen Ebene geführt werden, also von Mitarbeitern aus den Ministerien.
Dobrindt hatte am Sonntag angekündigt, dass Vertreter seines Ministeriums künftig auch direkt mit Vertretern des Taliban-Regimes über Abschiebungen nach Afghanistan verhandeln würden und dass diese Gespräche auch in der afghanischen Hauptstadt Kabul stattfinden sollen. „Wir wollen reguläre und regelmäßige Rückführungen nach Afghanistan ermöglichen“, sagte der Innenminister. „Dazu gibt es Gespräche auf technischer Ebene mit afghanischen Vertretern.“ Man wolle nicht nur mit Charterflügen abschieben, sondern auch über Linienflüge Abschiebungen ermöglichen.
Die Bundesregierung unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu den Taliban, die seit August 2021 in Afghanistan wieder an der Macht sind. Zuletzt wurden mithilfe von Katar zwei Sammelabschiebungen organisiert, die erste noch zu Regierungszeit der Ampel, der zweite unter Schwarz-Rot. Im August 2024 wurden 28 verurteilte Straftäter nach Kabul abgeschoben, im Juli 2025 waren es 81. Etwa 11.000 ausreisepflichtige Afghaninnen und Afghanen gibt es nach Angaben des Innenministeriums in Deutschland. Laut Koalitionsvertrag soll, „beginnend mit Straftätern und Gefährdern“, nach Afghanistan abgeschoben werden.
Die Unterstützung Katars sei keine dauerhafte Lösung, sagte Dobrindt. „Wir wollen selber Abschiebungen ermöglichen, deswegen gibt es technische Kontakte mit Kollegen aus dem Innenministerium.“
Etwas anders sieht das Verfahren offenbar Außenminister Johann Wadephul (CDU). „Wir führen Gespräche in Doha, also in Katar. Und anderswo zum jetzigen Zeitpunkt nicht, das halte ich auch nicht für erforderlich“, sagte Wadephul im ZDF. Ein Sprecher seines Ministeriums räumte am Montag aber ein, dass Mitarbeiter des deutschen Verbindungsbüros in Doha bereits einzelne Dienstreisen nach Kabul unternommen hätten.
Scharfe Kritik von Opposition und Pro Asyl
Kritischer äußerte sich der außenpolitische Sprecher der SPD, Adis Ahmetović. Dobrindt agiere „auf Messers Schneide“, sagte er auf Anfrage der taz. Zwar gelte der Koalitionsvertrag, die Taliban in Afghanistan aber seien eine international eingestufte Terrororganisation. „Direkte Gespräche mit einer Terrororganisation sind keine Kleinigkeit. Auch wenn es sich bislang um technische Gespräche handelt, gab und gibt es gute Gründe, diese über Dritte durchzuführen“, so Ahmetović. Auf keinen Fall dürfe es zu einer außenpolitischen Legitimation der Taliban kommen.
Schärfer war die Kritik von Teilen der Opposition und Pro Asyl. „Bundesinnenminister Dobrindt untergräbt mit seiner Abschiebungsobsession die internationale Ächtung der Taliban, die aufgrund ihrer Menschenrechtsverbrechen und der Entrechtung von Frauen geboten ist“, so Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl. Die Bundesregierung werte Schritt für Schritt die Taliban auf, kritisierte auch Carla Bünger, innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. „Dazu gehört die Akkreditierung von durch das Taliban-Regime entsandten Konsularbeamten ebenso wie die angekündigten Verhandlungen mit Taliban-Vertretern in Kabul.“
Luise Amtsberg von den Grünen teilte der taz auf Anfrage mit: „Dass der Bundesinnenminister nun mit dem afghanischen Terrorregime verhandeln will, um Abschiebungen möglich zu machen, ist innenpolitisch kurzsichtig und außenpolitisch gefährlich. Diese Art von Diplomatie mit den Taliban legitimiert Terror und Unterdrückung und verrät jene, die sich mit uns für ein demokratisches Afghanistan eingesetzt haben.“
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