bpb-Präsident zum Zustand der Demokratie: „Das ist die Stunde der Stabilokraten“
25 Jahre war Thomas Krüger Chef der Bundeszentrale für politische Bildung. Warum er positiv in die Zukunft blickt und wenig von einem AfD-Verbot hält.
taz: Herr Krüger, nach 25 Jahren an der Spitze der Bundeszentrale für politische Bildung sind Sie aus dem Amt geschieden. Wie schwer fällt Ihnen der Abschied?
Thomas Krüger: Die Bundeszentrale ist mir ans Herz gewachsen. Ich kenne jeden Winkel, jede Änderung, die ich vorgenommen habe. Es steckt viel Lebenselixier von mir drin. Gleichzeitig bin ich auch rund mit der Sache. Nach einem Vierteljahrhundert ist es an der Zeit loszulassen.
taz: Sie verlassen die Bundeszentrale an einem heiklen Punkt der deutschen Geschichte. Im vergangenen Herbst hat die AfD in Thüringen erstmals eine Landtagswahl gewonnen. Dieses Szenario droht sich 2026 in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern zu wiederholen. Sehen Sie unsere Demokratie in Gefahr?
Krüger: Die Demokratie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt – von der repräsentativen zur diskursiven und aktuell zur disruptiven Demokratie. Das hat sehr stark mit Überforderungssituationen in der scheinbar stabilen westlichen Welt zu tun. Weil manche Herausforderungen so komplex sind, tritt vor das Bedürfnis nach Demokratie das Bedürfnis nach Stabilität. Das ist die Stunde der Stabilokraten, die sich mit autoritärem Gestus der Lage bemächtigen. Das beobachten wir nicht nur in Deutschland. Populismus und Autokratismus sind weltweit auf dem Vormarsch. Wohin das führt, ist völlig offen.
Thomas Krüger
66, war 25 Jahre Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Der Theologe engagierte sich in der DDR-Bürgerrechtsbewegung und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Sozialdemokratischen Partei in der DDR. Nach der Wende war Krüger Berliner Jugendsenator (1991–94) und saß für die SPD im Deutschen Bundestag (1994–98). Seit 1995 ist Krüger auch Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks.
taz: Manche Ihrer Parteifreund:innen in der SPD fordern ein AfD-Verbot, bevor es zu spät sei. Wie sehen Sie das?
Krüger: Als politischer Bildner sehe ich die Debatte mit Unbehagen. Grundsätzlich finde ich die Verbotspädagogik schwierig. Und ich bin skeptisch, ob ein Verbot den gewünschten Effekt erzielt: nämlich, dass das alles verschwindet. Das wird es nicht. Die Haltung, die aus dem populistischen und rechtsextremen Lager kommt, hat eine Resonanz in der Gesellschaft. Diese Resonanz wird sich auch politisch formieren.
taz: Die demokratischen Parteien wirken zunehmend hilflos im Umgang mit der AfD. Was sollten sie anders machen?
Krüger: Man muss die demokratischen Parteien fragen, ob sie den Schuss gehört haben. Mir ist unerklärlich, warum sie immer noch den Hauptgegner in den eigenen Reihen suchen. Eigentlich können wir uns das nicht mehr leisten. Auf der anderen Seite wissen wir aus Ländern wie Italien und Frankreich, dass das Nachmachen von rechtsextremen Positionen dazu führt, dass man die eigene Struktur zerlegt. Wir brauchen aber stabile konservative Parteien. Das sage ich jetzt als Sozialdemokrat.
taz: Der Bundeszentrale wird oft vorgeworfen, nicht „neutral“ zu sein. Tatsächlich untersteht sie dem Innenministerium. Wie politisch unabhängig konnten Sie agieren?
Krüger: Das ist der Vorwurf, den die AfD immer vorbringt. Das ist eine völlig falsche Interpretation. Politische Bildung war nie neutral und darf nie neutral sein. Es geht immer um die Werte, die unser Grundgesetz vorgibt. Wenn eine Partei diese Grenzen verletzt, müssen wir darauf hinweisen. Politische Bildung ist nicht dazu da, irgendeine Politik zu legitimieren oder Loyalitäten herzustellen. Seit den 60er Jahren ist sie eine emanzipative Veranstaltung. Es geht darum, dass man sich kein X für ein U vormachen lässt. Hier hatte ich das Gefühl, dass ich als Leiter immer sehr viele Freiräume hatte.
taz: Dennoch gab es auch politische Interventionen. 2021 deckte die taz auf, dass der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) verlangte, eine ihm wohl zu freundliche Definition von Kommunismus zu ändern. Gab es so etwas häufiger?
Krüger: Das war eine vorbildliche Recherche (lacht). Insgesamt war das Innenministerium aber sehr großzügig, auch wenn man dort nicht immer meine Positionen geteilt hat. Mir ging es bei allen Auseinandersetzungen immer um Pluralität. Wenn es um Wirtschaft ging, sollten auch kritische Modelle vorkommen, nicht nur die keynesianische Lehre. Das hat dazu geführt, dass ich selbst von der SPD kritische Kommentare bekommen habe. Für jemand, der Angst um seinen Job hat, ist die Leitung der Bundeszentrale nur bedingt geeignet.
taz: Als Präsident der Bundeszentrale waren Sie auch immer finanziell abhängig von der Politik. Zuletzt wollte die Ampel 2023 das Budget um 20 Millionen Euro kürzen. Wie sehr schadet diese fehlende Verlässlichkeit der politischen Bildung?
Krüger: Die Annahme, dass die Regierung den Haushalt nach Kriterien der Vernunft aufstellt, ist leider eine völlige Fehleinschätzung. Verschiedene Themen stehen dort in einem politischen Wettbewerb. Dass die Bundeszentrale in meinen 25 Jahren Stellen und Budget verdreifacht hat, liegt sehr stark am Parlament. Es gibt dort einen breiten Konsens, dass wir politische Bildung brauchen. Mehr Sorgen macht mir, dass wir als politische Institution angreifbar sind. Wir wurden 1952 per Erlass ins Leben gerufen. Theoretisch könnte die Bundeszentrale auch ohne Beteiligung des Parlaments abgeschafft werden.
taz: Aktuell stehen Demokratieprojekte unter massivem Druck von AfD und Union. Soeben hat Familienministerin Karin Prien (CDU) – offenbar auf den Druck ihrer Fraktion hin – angekündigt, das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ vom Verfassungsschutz durchleuchten zu lassen. Halten Sie das für ein kluges Signal?
Krüger: Das ist ein Signal des Misstrauens. Demokratiearbeit, erst recht politische Bildung, braucht Vertrauen und nicht sicherheitspolitische Aufsicht.
taz: Was viele beunruhigt, ist die Normalisierung der AfD und ihrer Positionen auch unter Jugendlichen und jungen Menschen. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Krüger: Aus meiner Sicht zeigt die junge Generation, dass sie Konflikte austragen möchte. Neben der Sympathie für rechte Positionen haben junge Menschen auch viel Sympathie für linke Positionen. Nirgends ist die Zustimmung zur Linkspartei so ausgeprägt wie in der jungen Generation. Deshalb mache ich mir um sie eher weniger Sorgen.
taz: Wirklich?
Krüger: Ja. Mehr Sorgen mache ich mir um die Generation, die gar keine politischen Konflikte mehr austrägt. Die das Aushöhlen von demokratischen Verfahren billigend in Kauf nimmt. Das ist eher die berufsaktive Generation. Ich finde es unfair, dass jungen Menschen in der öffentlichen Debatte oft die Schuld für einen gesamtgesellschaftlichen Konflikt in die Schuhe geschoben wird.
taz: Was ist mit den rechtsextremen Jugendgruppen, die sich auf Social Media radikalisieren und zunehmend selbstsicher und gewaltbereit auftreten?
Krüger: Natürlich sind die Anlass zur Sorge. Bei der Radikalisierung spielen Social Media und ihre Echokammern eine große Rolle. Sie führen hier zu einer Polarisierung der Positionen, die in der Meinungsbildung ein Problem sein kann, weil dann die ganzen Graubereiche fehlen. Gleichzeitig erleben wir einen iconic turn: Junge Menschen lesen nicht mehr. Deswegen arbeiten wir in der politischen Bildung zunehmend mit visualisierten Tools wie dem Wahl-O-Maten. Und wir setzen verstärkt auf Influencer im Netz, weil man viele Jugendliche über traditionelle Multiplikatoren wie Lehrer oder Politikunterricht heute nicht mehr erreicht.
taz: Einige Bundesländer wie Berlin oder Sachsen haben in den letzten Jahren die politische Bildung an Schulen gestärkt, dennoch kommen politische Themen vielerorts erst in den Klassen 8 oder 9 im Unterricht vor. Aus Ihrer Sicht zu spät?
Krüger: Definitiv. Mein Motto ist immer gewesen: politische Bildung von Anfang an. Idealerweise erfolgt die Auseinandersetzung mit demokratischen Werten bereits in Kindergarten und Grundschule. Der Sachunterricht, den es an Grundschulen ja überall gibt, eignet sich hervorragend dazu, etwa für Umweltthemen. Das ist ein noch nicht gehobener Schatz. Ich finde es aber erfreulich, dass viele Bundesländer in letzter Zeit auf die Kritik der mangelnden politischen Bildung reagiert haben.
taz: Die Wahrheit ist leider auch: Nicht an allen Schulen wird politische Bildung gerne gesehen. Das jüngste Schulbarometer zeigt, dass Lehrkräfte vor allem im Osten Angst haben, mit Demokratiethemen bei Schüler:innen und Eltern anzuecken. Die Dresdner Politikwissenschaftlerin Anja Besand spricht von „gekippten Schulen“.
Krüger: Es gibt solche Schulen. Dort muss man alles tun, um Lehrkräfte zu einer angstfreien Form der politischen Bildung zu motivieren. Wir wissen, dass Schülerinnen und Schüler sehr wohl über verschiedene Werturteile sprechen wollen. Im Unterricht darf es nur nie auf eine vorher intendierte Position hinauslaufen. Das müssen Lehrkräfte aushalten und sich erarbeiten. Man darf in der ganzen Debatte über politische Bildung nicht vergessen, dass die Fächer Sozialkunde und Politik am häufigsten fachfremd unterrichtet werden. Wer guten Politik- und Sozialkundeunterricht haben möchte, muss ausbilden.
taz: Was würden Sie noch anders machen?
Krüger: Für mich ist das A und O die politische Bildung an Schulen, denn da erreiche ich alle. Gleichzeitig ist es auch sehr wichtig, dass wir außerhalb der Schulen potenziell jedem ein Angebot der politischen Bildung machen. Wir können es uns aktuell nicht leisten, bestimmte Milieus in der Gesellschaft aufzugeben. Manchmal höre ich, politische Bildung sei nichts für den Osten. Mit dieser Haltung lässt man alle im Stich, die sich vor Ort für Demokratie einsetzen.
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