ORF-Kameramann in Ukraine festgenommen: Wien fordert Aufklärung von Kiew
Ukrainische Sicherheitsbehörden hielten einen ORF-Kameramann tagelang fest. Das Medienhaus protestiert, die FPÖ poltert, die Ukraine schweigt.
Wird in der Ukraine die freie Berichterstattung westlicher Medien behindert? Dieser Verdacht steht im Raum, jedenfalls wenn es nach dem ORF geht. Kameramann Andrij Neposedov war am 6. September für den öffentlich-rechtlichen Sender unterwegs im Raum Ternopil, als er vom Militär angehalten wurde.
Daraufhin wurde der ukrainische Staatsbürger für mehrere Tage festgenommen. Erst seit letzten Freitag ist er offenbar wieder auf freiem Fuß. Was ihm vorgeworfen wird und unter welchen Auflagen Neposedov frei ist, bleibt unklar.
In Österreich schlug der Fall Wellen. „Wildwest-Zustände in der Ukraine“ titelte Heute, nachdem Neposedov den „Armeeentführern entkommen“ konnte. „Auf das Schärfste“ protestiert der ORF-Redakteursrat „gegen die Verhaftung und mehrtägige Festnahme“.
Er fordert eine Erklärung für die Gründe und Umstände der Festnahme. „Die Ukraine will der EU beitreten und ist daher verpflichtet, europäische Standards einzuhalten, die persönliche Sicherheit und Medienfreiheit betreffen.“
Eingeschaltet hat sich auch das österreichische Außenministerium. Die Botschaft in Kyjiw sei bereits in Kontakt mit dem ukrainischen Außenministerium, um die Hintergründe zu klären. Da es sich um einen ukrainischen Staatsangehörigen handle, seien die Unterstützungsmöglichkeiten allerdings sehr beschränkt, heißt es aus Wien.
Unterwegs war Neposedov im Auftrag des ORF-Korrespondenten Christian Wehrschütz, der zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Vorwürfe in Wien weilte. Eine Anfrage der taz wollte Wehrschütz nicht beantworten. In einem Interview mit dem Boulevardsender Ö24 sagte er, viele Fragen seien noch offen.
FPÖ zeigt sich offen prorussisch
Im Raum stand anfänglich, dass es um einen Einzug in die Armee oder Wehrdienstverweigerung gehen könnte. Dagegen spricht laut Wehrschütz, dass sich Neposedov bereits 2022 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet habe, dann aber im Kampf verwundet worden sei.
Wehrschütz deutete an, dass die Papiere verloren gegangen sein könnten. Die ukrainische Botschaft gab der taz keine Stellungnahme, man wolle den Fall zunächst prüfen. Auch eine Anfrage an das ukrainische Außenministerium blieb unbeantwortet.
Von einem „unfassbaren Skandal“ spricht schon jetzt die rechtsradikale FPÖ. „Zahlungen an das Selenskyj-Regime“ müssten sofort eingestellt werden, sagte Generalsekretär Christian Hafenecker.
Das passt ins Bild, denn die FPÖ tritt seit Jahren offen prorussisch auf. Schon 2016 schloss sie einen „Freundschaftsvertrag“ mit Putins Partei ab, den sie auch im Zuge des Kriegs nicht aktiv beendet hat.
Seit dem russischen Überfall im Februar 2022 hat sie Dutzende russlandfreundliche Anträge im Parlament eingebracht. Dass sie nun für Wehrschütz in die Bresche springt, ist keine Überraschung. Bis 2002 war Wehrschütz, damals schon jahrelang Journalist beim zur Objektivität verpflichteten ORF, FPÖ-Mitglied.
Wegen russlandfreundlicher Anklänge und Fehler in seiner Berichterstattung stand Wehrschütz immer wieder in der Kritik. 2019 verhängte die Ukraine gar ein Einreiseverbot gegen ihn. Erst auf Druck des FPÖ-geführten Außenministeriums erhielt er die Akkreditierung zurück.
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