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Lang leben mit WunderpillenDas Longevity-Imperium

Ein langes Leben dank Mittelchen und Wunderpillen: Diese Mär gefällt nicht nur den Herstellern, sondern auch Oligarchen und Diktatoren.

Noch dieser Smoothie, dann bin ich unsterblich! Foto: Westend61/imago

V or Kurzem trafen sich der russische Präsident Wladimir Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping öffentlichkeitswirksam in Peking, um der Welt die Macht Chinas und anderer autoritärer Staaten zu demonstrieren.

Darum soll es an dieser Stelle allerdings nicht gehen. Sondern um ein Gespräch, das die beiden Staatenlenker am Rande einer Militärparade führten und das aufgrund eines angeschalteten Mikrofons mitgehört werden konnte.

Die beiden 72 Jahre alten Herren tauschten sich darüber aus, wie jung sie eigentlich noch seien. Xi merkte an, dass man früher mit 70 noch als alt gegolten habe, heute in diesem Alter hingegen fast jugendlich sei. Und Putin erklärte, „mit der Entwicklung der Biotechnologie“ könnten „menschliche Organe kontinuierlich transplantiert werden“, wodurch „die Menschen immer jugendlicher leben und sogar Unsterblichkeit erlangen“ könnten. Aus dem Mund zweier Diktatoren klingt so etwas recht gruselig.

Lang und gesund zu leben, ist das Ergebnis eines lebenslangen Prozesses und keins von Shakes und Smoothies

Langlebigkeit im Trend

Dabei liegen die beiden Senioren voll im Trend. Denn von Longevity – dem langen und gesunden Leben – ist in diesen Zeiten überall die Rede. In Artikeln, in Podcasts, im Fernsehen, auf YouTube, in den sozialen Medien. Den Weisheiten, was man tun muss, um so alt wie möglich zu werden, ist nicht zu entkommen. Und auch das ist ziemlich gruselig.

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Denn die Suche nach dem ewigen Leben ist in erster Linie der Spiegel von Gesellschaften, in denen Jugend, Schönheit, Kraft und Gesundheit das Maß aller Dinge sind. Die popkulturelle und gesellschaftliche Obsession von Gesundheit suggeriert außerdem, dass Longevity allein eine Frage des individuellen Verhaltens sei.

Meistens laufen die Ratschläge auf Ähnliches hinaus: sich gesund ernähren (wer es sich leisten kann), nicht übermäßig Alkohol trinken (kein Problem, zumindest im Januar), gut und regelmäßig schlafen (wow, danke für den Tipp), gut mit Stress umgehen können (alles klar), körperlich aktiv sein (sobald die Kinder aus dem Haus sind), positive soziale Beziehungen pflegen (nichts leichter als das, kostet ja nicht viel Zeit), nicht von Opioid-Schmerzmitteln abhängig sein (braucht man nicht, wenn alles andere top läuft).

Diese Ratschläge ergeben sich aus einer kürzlich veröffentlichten US-Studie, in der die For­scher:in­nen zum Ergebnis kamen, dass Menschen ihr Leben um mehr als 20 Jahre verlängern können, wenn sie diese Tipps befolgen.

Keine Frage des guten Willens

Weil es aber sehr schwierig ist, den Schlaf von heute zu morgen auf „gut“ umzustellen oder immer im Bioladen einzukaufen, wenn man bei mittlerem Einkommen zwei Kinder ernähren muss, Nachhilfeunterricht bezahlen möchte und vielleicht auch mal zu verreisen wagt, ist Longevity keine Frage des guten Willens. Lang und gesund zu leben, ist das Ergebnis eines lebenslangen Prozesses. Es vereinigt die Arbeit an Geist, Körper und Seele und hängt von unzähligen äußeren Faktoren ab.

Allein in Deutschland beträgt der Unterschied der Lebenserwartung von Menschen mit niedrigen und Menschen mit hohen Einkommen laut Robert-Koch-Institut mehr als zehn Jahre. Longevity ist nicht das Ergebnis einzelner Veränderungen oder gar eines Nahrungsergänzungsmittels oder irgendwelcher Health-Shakes.

Zu den äußeren Faktoren für ein langes und gesundes Leben zählen eine gute Gesundheitsversorgung und -aufklärung, niedrige Schadstoffwerte in der Luft, eine weitgehende Gleichheit in der Vermögens- und Wohlstandsverteilung, gute Bildungschancen für alle Kinder, niedrige Armutsquoten, geringe Kriminalitätsraten, günstige Lebenshaltungskosten, sauberes Grundwasser, gute Wohn- und Lebensverhältnisse. Die Liste ist lang. Um die Verhältnisse für alle Menschen zu verbessern, braucht es weitaus mehr als den neuesten Proteinshake.

Profit durch Lügen

Es braucht Staaten und Regierungen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Und Unternehmen, die Menschen für den eigenen Profit nicht Lügen über Longevity verkaufen. Weil dieser Weg aber steinig und hart ist sowie Gesundheit als Allgemein- und nicht als Individualgut voraussetzt, gibt es stattdessen an allen Ecken und Enden Ratschläge, wie man seinen Körper optimieren kann.

Immer mehr teure Mittelchen, Pillen und Verjüngungskuren sollen den Eindruck erwecken, als gäbe es den einen richtigen Weg, um gesund zu altern, und als sei dies der Maßstab eines erfolgreichen Lebens. Menschen mit Erkrankungen oder Behinderungen, Menschen, die nicht jung, schön und reich sind, gelten als Versager in diesem komplett absurden System. Sie haben es einfach nicht geschafft.

Das Longevity-Imperium

Aufrechterhalten wird diese Erzählung durch ein ganzes Imperium an Unternehmen, Start-ups und Influencer:innen, die vermeintliche Geheimnisse über Longevity für viel Geld verkaufen. In den USA ist diese Szene eng mit der MAHA-Bewegung (Make America Healthy Again) von Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. verbunden.

Eine ganze Armee von Healt­h­in­flu­en­ce­r:in­nen verkauft ihre Smoothies und Bücher darüber, was man alles tun müsse, um gesund zu leben. Eine der berühmtesten von ihnen ist Vani Hari, besser bekannt als „The Food Babe“, die ihren 2,3 Millionen Fol­lo­wer:in­nen auf Instagram recht klumpig aussehende, aber wohl supergesunde Smoothies aus Eigenproduktion andreht.

Eine der höchsten Beraterinnen von RFK Jr., die Ärztin Casey Means, sagte einmal im Podcast des bekannten Hosts Joe ­Rogan: „Wer metabolisch gesund war, starb nicht an Covid.“ Derweil feuert RFK Jr. Hunderte Angestellte in den Gesundheitsbehörden, denn wer braucht den Staat, wenn es auch ein Smoothie tut?

Dass Oligarchen wie der US-Techmilliardär ­Peter Thiel oder Diktatoren wie Putin und Xi vom ewigen Leben träumen und die eigene Sterblichkeit als ultimative Demütigung empfinden, verwundert nicht. Sie scheinen ihr Leben als voll­endeten Erfolg zu verstehen, der niemals enden darf. Der Blick solcher Personen auf Longevity zeigt die Absurdität dieses Konzepts. Es sollte bei Longevity nicht nur um gesundheitliche Optimierung und um Verlängerung gehen. Sondern um viel mehr als das.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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