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Grüner über Energiepolitik„Die Ministerin ist das Problem“

Die Pläne von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche könnten die Energiewende abwürgen, warnt der ehemalige Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner.

Eigentlich ist die Richtung klar: mehr Wind­räder, weniger qualmende Schornsteine. Wird das was mit der neuen Bundes­regierung? Foto: Patrick Pleul/dpa
Anja Krüger
Interview von Anja Krüger

taz: Herr Kellner, am Montag hat CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche einen Bericht zum Stand der Energiewende und ihre Schlussfolgerungen daraus vorgestellt. Was halten Sie davon als ehemaliger Staatssekretär, der die Energiewende in der Ampel-Regierung mit vorangebracht hat?

Kellner: Der Monitoringbericht spricht sich für eine fortgesetzte Energiewende aus. Er sagt, wir müssen die Erneuerbaren weiter ausbauen, und betont, dass es mehr Anstrengungen braucht, wenn wir die Klimaziele nicht nur für 2030, sondern auch für 2045 erreichen wollen. Eigentlich ist er eine Arbeitsaufforderung an das Ministerium. Der Monitoringbericht ist nicht das Problem. Die Ministerin ist das Problem.

Im Interview: Michael Kellner

ist Sprecher für Energiepolitik der grünen Bundestagsfraktion. In der Ampel-Regierung war der jetzt 48-Jährige Par­lamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschafts­ministerium.

taz: Warum?

Kellner: Sie schafft Verunsicherung, indem sie zum Beispiel die Förderung für private Solaranlagen infrage stellt. Ich bin allen Menschen dankbar, die in die Energiewende, in den Klimaschutz investieren, die sich eine Solaranlage aufs Dach schrauben. Da sehen wir große Erfolge. Wer für Verunsicherung sorgt, verhindert, dass Leute weiter in den Klimaschutz investieren. Aber das Schlimmste ist: Der Monitoringbericht skizziert die Strommenge, die 2030 gebraucht wird. Die bisherige Marke von 750 Terawattstunden wird auf 600 bis 700 Terawattstunden herabgesetzt. Reiche hat erklärt, dass sie sich am unteren Bereich dieser Bandbreite orientieren will.

taz: Wieso ist das schlimm?

Kellner: Ein Grund für den derzeit niedrigen Stromverbrauch ist die konjunkturelle Schwäche der deutschen Wirtschaft. Reiche geht anscheinend davon aus, dass die Wirtschaft weiter schwächelt, der Boom der energieintensiven Rechenzentren an Deutschland vorbeiläuft, der Hochlauf der E-Mobilität, der Wärmepumpe und die energieintensive Industrie verschwindet. Ohne Dekarbonisierung haben wir keine Chemie- oder Stahlindustrie mehr. Und deswegen ist es so gefährlich, von einem so geringen Strombedarf auszugehen. Sie redet der Deindustrialisierung das Wort.

taz: Die Wirtschaftsministerin müsste das allergrößte Interesse an einer boomenden Wirtschaft und starken Industrie haben. Treibt sie Unfähigkeit oder Unwilligkeit?

Kellner: Es ist Unwilligkeit, gepaart mit der Vorstellung, ein verbleibendes Geschäftsmodell für fossile Energien zu sichern. In ein paar Jahren wird es heißen: Uns fehlt es an Energie. Reiche will eine übergroße Flotte an Gaskraftwerken bauen. Und die Logik ist dann, darauf zu setzen, dabei ist fossiles Gas teuer und klimaschädlich.

taz: Will die Ministerin die begonnene Energiewende rückabwickeln?

Kellner: Sie versucht, überall kleine Hürden und Stolpersteine aufzubauen. Ich bin sehr besorgt. Wir haben uns nach dem Angriff auf die Ukraine unter größten Anstrengungen von russischem Gas unabhängig gemacht. Ich warne davor, dass wir unser Land wieder in eine Abhängigkeit führen. Dieses Mal nicht von russischem Gas, sondern von amerikanischem Frackinggas. Wir tun gut daran, auf heimische, erneuerbare Energiequellen zu setzen, und deswegen brauchen wir eine Elektrifizierung. Mit jeder Wärmepumpe, mit jeder Batterie, mit jedem Elektroauto machen wir uns unabhängig von fossilen Energien und schützen das Klima. Deswegen brauchen wir den Hochlauf der E-Mobilität, der Wärmepumpen und die Dekarbonisierung der Industrie. Und deshalb haben wir zusätzlichen Strombedarf.

taz: Reiche sagt, sie will die Energiewende weiterführen, aber stärker auf die Kosten achten. Ist es nicht richtig, wenn es billiger wird?

Kellner: Ich höre die Worte, aber ich zweifle am Text. Natürlich sollten Gelder möglichst effizient eingesetzt werden. Wir müssen Kosten einsparen, etwa über Digitalisierung oder technische Verbesserungen. Wir können auch Preissignale einführen wie flexible Netzentgelte. Das kann dazu führen, dass Kosten eingespart werden. Das ist völlig unstreitig innerhalb der Energie-Community. Nur: Das passt eben nicht dazu, die prognostizierte Strommenge weiter unten anzusetzen.

taz: Die Ministerin will die Förderung privater Solaranlagen einstellen, weil sie glaubt, dass sich die Anlagen heute auch ohne rechnen.

Kellner: Sorry, aber das ist der ausgestreckte Mittelfinger statt eines Dankeschöns dafür, dass die Leute eine Solaranlage bauen. Es droht, dass der Zubau von Dach-Solaranlagen massiv einbricht. Das wäre fatal. Die winzige Einspeisevergütung, die es heute gibt, hebelt unglaublich viele private Investitionen. Geld, das der Staat nicht aufbringen muss. Wenn es um Kosteneffizienz geht und wir nicht alles mit Steuergeldern zahlen wollen, dann ist es wichtig, dass die Leute, die das Geld haben, in die Energiewende investieren. Ich kann allen taz-Leser:innen, die es sich leisten können, spätestens jetzt zu Solar auf Dach und Balkon raten. Möglicherweise zieht die Ministerin demnächst den Stecker.

taz: Drohen auch Blockaden durch Reiches Pläne für die Stromnetze?

Kellner: Hier hängt viel von der konkreten Umsetzung ab. Bisher galt, dass die Netze der Energieerzeugung folgen müssen. Das heißt: Erneuerbare-Energie-Anlagen müssen angeschlossen werden. Das kann effizienter werden, zum Beispiel kann eine Überbauung, also der gemeinsame Anschluss von Windrädern, Solaranlagen, Batterien erfolgen. Aber wenn die Regierung den Netzbetreibern sagt, ihr müsst Anlagen nicht mehr anschließen, dann kommt es zu einem echten Abwürgen des Ausbaus. Der ­Netzausbau muss weitergehen. Wir bezahlen es doppelt und dreifach, wenn das nicht geschieht.

taz: Können die Grünen über den Bundesrat Reiches Pläne stoppen?

Kellner: Viele energiewirtschaftliche Regeln auf Bundesebene sind nicht zustimmungspflichtig. Manches steckt auch in Verordnungen, die gehen nicht einmal durch den Bundestag. Was wir machen werden, ist natürlich Druck. Ich weiß, dass es auch in der Union Leute gibt, die an Katherina Reiches Kurs zweifeln. Auch die SPD muss sich fragen, ob sie das, was wir als Ampel erreicht haben, wieder abwickeln will. Und wenn sich der Verband des Maschinen- und Anlagenbaus gemeinsam mit der IG Metall für eine fortgesetzte Energiewende ausspricht, dann ist das ein starkes Zeichen.

taz: Was sagen die Unternehmen der Branche zu Reiches Plänen? Schließlich setzen fossile Energiekonzerne mittlerweile auch auf Erneuerbare.

Kellner: Es gibt eine wachsende Unzufriedenheit in vielen Teilen der Wirtschaft. Wenn ich mit Unternehmen spreche, spüre ich Verunsicherung. Sie fragen sich, wie geht die Energiewende weiter? Was passiert? Es gibt ein Rätselraten über das, was die Ministerin vorhat.

taz: Auf jeden Fall will sie Gaskraftwerke bauen.

Kellner: Wir brauchen auch Kraftwerke, die mit Gas betrieben werden, zur Absicherung der Zeiten, wenn die Sonne nicht scheint und kein Wind weht. Nur müssen diese Kraftwerke mit grünem Wasserstoff betrieben werden, nicht mit fossilem Gas. Und: Wir haben nicht nur Gaskraftwerke, sondern auch andere Technologien, die einspringen können, etwa Großbatterien, Biogasanlagen oder Pumpspeicherwerke. Katherina Reiche erweckt immer den Eindruck, das ginge nur mit Gaskraftwerken. Das ist nicht so. Deswegen sage ich: Lasst uns doch technologieoffen sein, wie die Union gerne so schön sagt. Sehen wir mal, welche Techno­logien sich am Markt durchsetzen.

taz: Ist der Ruf nach grünem Wasserstoff nicht Wunschdenken? In Deutschland wird es davon doch in absehbarer Zeit nicht genug für Kraftwerke geben.

Kellner: Das ist ein Henne-Ei-Problem. Wir haben die In­fra­struktur aufgebaut, das Wasserstoffkernnetz entsteht. Aber es fehlen die gesicherten Abnehmer. Steht fest, dass Kraftwerke ab den Dreißigerjahren mit grünem Wasserstoff laufen, gibt es die. Wir haben im Sommer sehr viel Überschussstrom über die Solaranlagen. Das Beste ist, diesen in grünen Wasserstoff-Molekülen zu speichern. Elektrolyseure, also Maschinen, die Wasserstoff herstellen, können dastehen, wo viele Erneuerbare sind. Unternehmen würden investieren, wenn sie eine gesicherte Abnahme hätten. Deshalb sind wasserstofffähige Kraftwerke so wichtig. Sie sind die Ankerkunden für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Es braucht jetzt von der Regierung Planungssicherheit statt Zweifel.

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1 Kommentar

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  • Auf dem ganzen Bild ist nicht ein einziger Schornstein zu sehen. Dafür entspricht jeder der abgebildeten Kühltürme nicht einem sondern eher 500 Windrädern -- bei Wind und Nennleistung. Mit der mittleren Jahresleistung und dem Verlust/Wirkungsgrad heute realisierbarer Saisonspeicher gerechnet sind es eher 6000. Für die abgebildeten acht Kühltürme, also einen einzigen mittelgroßen Kraftwerkskomplex, sind das zusammen 48 000 Windräder mit aller Abholzung, Versiegelung und Zementherstellung für die Betonsockel, die das mit sich bringt.



    > Viele energiewirtschaftliche Regeln auf Bundesebene sind nicht [vom Bundesrat] zustimmungspflichtig. Manches steckt auch in Verordnungen, die gehen nicht einmal durch den Bundestag.



    Genau das galt genau so auch schon unter Vorgängerregierung. Wehe dem, der es in Bezug auf den damaligen Wirtschaftsminister zu erwähnen wagte.