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Soziologin zur Menstruation„Enttabuisierung ist mehr als Ausweitung von Konsum“

Sophie Bauer forscht zu Menstruation. Hier erklärt sie, warum sie lieber von Menstrualität spricht und wie sich der Mythos vom giftigen Blut weiter hält.

Moderne Perioden­produkte machen einiges erträglicher, doch Menstruation bleibt ein Tabuthema Foto: imago stock
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Bauer, was hat Hippokrates mit meiner Menstruation zu tun?

Sophie Bauer: Die Scham, die mit Menstruation einhergeht, und der Imperativ, sie müsse versteckt werden, haben ihren Ursprung in der Antike. Hippokrates oder auch der römische Gelehrte Plinius der Ältere haben Menstruationsblut als etwas Giftiges, den Körper Schwächendes angesehen.

taz: Sie haben ein Buch über Menstruation geschrieben. Darin heißt es, dass Frauen bis in die 1990er Jahre in Deutschland teils bei Schlachtungen nicht anwesend sein durften: Man glaubte, Menstruationsblut verderbe das Fleisch.

Bauer: Die Idee des giftigen Bluts lässt sich über die Zeit hinweg sehr gut beobachten. Im Mittelalter dachte man in Europa, dass die giftigen Säfte auch ins Hirn aufsteigen und dort Schaden anrichten können. Im 20. Jahrhundert wollte ein Wiener Arzt dann festgestellt haben, dass Blumen schneller welken, wenn seine Haushälterin menstruiert. Die Vorstellung, dass Menstruation eklig oder in gewisser Weise problematisch ist, hält sich bis heute.

Im Interview: Sophie Bauer

hat an der Goethe-Universität Frankfurt zu Praktiken der Menstrualität promoviert. Sie forscht und lehrt zu Reproduktion, Care und feministischen Theorien. Ihr Buch „Das Natürlichste, was eine Frau haben kann“ ist im Juli beim Campus Verlag erschienen.

taz: Welche Konsequenzen haben Vorstellungen von Gift, Schwäche und Ekel auf die gesellschaftliche Position von Frauen?

Bauer: Die Blutung wird historisch und bis heute zur Erklärung, warum Frauen schwächer sind, körperlich wie geistig, also auch zu psychischen Erkrankungen neigen. Als Arbeitskräfte oder auch politische Subjekte sind sie demzufolge nicht verlässlich, nicht belastbar und also dem Mann untergeordnet.

taz: Woran machen Sie das fest?

Bauer: 2021 haben zwei Jungunternehmer Handschuhe entwickelt, um benutzte Tampons auszuführen, einzupacken und sich und anderen so den körperlichen Sichtkontakt mit Blut zu ersparen. Donald Trump sagte vor einigen Jahren über eine Fernsehmoderation, es sei „blood coming out of her wherever“ – und meinte damit offenbar, sie sei nicht zurechnungsfähig. So etwas hat ein Echo in abwertenden Alltagskommentaren wie „die hat wohl ihre Tage“.

taz: Seit wann haben sich Frauen selbst in ihre Menstruationsgeschichte eingeschrieben?

Bauer: Frauen hatten nicht nur als Betroffene schon immer Ex­pert*in­nen­wissen, das mündlich weitergegeben wurde. Doch diese weibliche Wissenskultur wurde spätestens ab dem 16. Jahrhundert sukzessive durch den männlichen Arztberuf zurückgedrängt. Eine der ersten feministischen Stimmen der Menstruationsforschung war in den 1950ern Simone de Beauvoir. Die Philosophie war eine sehr männlich geprägte Disziplin, stark auf die Dominanz des Geistes über den Körper orientiert – und de Beauvoir hat als eine der ersten die körperlichen Erfahrungen von Frauen thematisiert. Im Zuge der Frauengesundheitsbewegung im 20. Jahrhundert entstand dann die interdisziplinäre Menstruationsforschung aus dem Wunsch heraus, sich jenseits des männlich-medizinischen Blickes eigenes Wissen anzueignen und weiterzugeben.

Die weibliche Wissenskultur wurde spätestens ab dem 16. Jahrhundert durch den männlichen Arztberuf zurückgedrängt

taz: Sie beschäftigen sich nicht nur mit Menstruation, sondern mit Menstrualität. Was ist das?

Bauer: Wenn wir über Menstruation sprechen, sprechen wir meistens über die Blutung. Der Begriff Menstrualität ermöglicht aber, den gesamten Zyklus von der Blutung über die Follikelphase bis zum Eisprung mitzudenken – und zudem den Prozess von Menarche, also der ersten Periode, bis zur Menopause lebensübergreifend und sozial vermittelt zu denken.

taz: Was bedeutet das konkret?

Bauer: Neben historischen Kontinuitäten geht es zum Beispiel um Technologien wie Tampons, Apps, Kalender. Es geht um Praktiken der Vorsorge und der Fürsorge: Habe ich noch genug Tampons zu Hause, wann fahre ich in Urlaub, will ich dann meine Tage haben oder sollte ich die Pille durchnehmen? Es kann auch um Gefühle und Einstellungen gegenüber der Blutung gehen und um Körperwissen: Wie fühlt sich das an, wenn der Cup vollläuft? Was braucht mein Körper? Und natürlich geht es um politische Diskurse.

taz: Was haben Sie zentral herausgefunden?

Bauer: Menstrualität ist nichts, was mit der Menarche ins Leben kommt und unverändert bleibt. Sondern sie muss immer wieder aufs Neue erlernt und ausgelotet werden. Vielleicht findet eine Person ihr Blut anfangs eklig, lernt aber einen Umgang damit. Oder vielleicht passen die Periodenprodukte nach drei Geburten nicht mehr. Darin steckt auch die Idee von Menstrualität als eine Form von Körperarbeit, mit deutlicher Parallele zu Carearbeit: Die Sorge in der Menstrualität ist feminisierte Arbeit, unsichtbare Arbeit, die mit viel mentaler Belastung einhergeht. Vielen fällt gar nicht auf, dass die Dinge auch anders sein könnten.

taz: Wie denn?

Bauer: Wir müssen nach den Bedingungen fragen – zum Beispiel der Infrastruktur, in der Menstruierende diese Art von Carearbeit ausführen müssen. Öffentliche Toiletten, Seife, Sauberkeit, Toilettenpapier, Mülleimer spielen eine Rolle. Letztlich geht es aber um größere gesellschaftliche Probleme wie ein enges Verständnis von Krankheit, in dem weibliche Schmerzen abgewertet werden. In Arbeitsverhältnissen ist etwa die Möglichkeit wichtig, sich krankmelden zu können, zum Beispiel aufgrund von Menstruationsbeschwerden. Und natürlich geht es um Periodenarmut auch hier in Deutschland.

taz: Periodenarmut?

Bauer: Für viele Menstruierende sind Periodenprodukte teuer. Wie so oft im Bereich der reproduktiven Gesundheit fehlt es an Forschung, aber einer Umfrage von Plan International zufolge sind hierzulande 23 Prozent der Menstruierenden betroffen. Und schließlich ist das Ganze für queere Menstruierende noch mal ungleich schwieriger und mit mehr Risiken verbunden.

taz: „Nicht alle Frauen menstruieren, und nicht alle Menstruierenden sind Frauen“, schreiben Sie. Was bedeutet das für Ihre Forschung?

Bauer: Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Geschlecht und Menstrualität war mir sehr wichtig. Ich habe qualitative Leitfrageninterviews mit cis Frauen, nicht-binären Personen und mit einem trans Mann geführt: ganz unabhängig davon, welchem Geschlecht sich Menstruierende zugehörig fühlen, müssen sich alle mit Zuschreibungen von Weiblichkeit auseinandersetzen. Zudem sind queere Menstruierende von Unsichtbarmachung doppelt betroffen. Das kann bedeuten, dass ein trans Mann in der Drogerie ungern Tampons kauft. Es kann aber auch heißen, dass beim Wechseln von Periodenprodukten auf öffentlichen Toiletten Angst vor transfeindlicher Gewalt mitschwingt.

taz: Wo stehen wir hierzulande in Bezug auf Menstrualität?

Bauer: Einerseits wird das Thema seit etwa zehn Jahren medial viel stärker thematisiert. Es gibt immer mehr Initiativen für kostenfreie Periodenprodukte auf öffentlichen Toiletten, auch der Markt dafür hat sich stark diversifiziert. Aber Enttabuisierung ist viel mehr als eine Ausweitung von Konsum. Gleichzeitig sind die Scham und der Wunsch nach Unsichtbarkeit nach wie vor dominant im alltäglichen Handeln. Das kann zusätzlichen Stress verursachen: Ich weiß, dass ich mich nicht schämen muss – aber ich schäme mich trotzdem.

taz: Wie sehr unterscheiden sich globaler Norden und Süden in Bezug auf Menstruation?

Bauer: In Regionen, in denen es kaum fließendes Wasser gibt, sind die Herausforderungen natürlich ganz andere als in Regionen mit Zugang zu sauberen Sanitäranlagen. Einige Studien zeigen für Länder wie Kenia, Äthiopien oder Indien, dass die Menstruation der Grund für höhere Fehlzeiten von Mädchen in der Schule sein kann: Scham spielt hier ebenso eine Rolle wie etwa fehlende saubere Periodenprodukte. Auch Menstruationsaktivismus unterscheidet sich entsprechend stark nach Kontext.

taz: Würde es denn reichen, wenn auf öffentlichen Toiletten Tampons stehen und Seife vorhanden ist?

Bauer: Es wäre ein Fortschritt. Aber es geht um mehr: Unser Gesundheitssystem, unsere Arbeitsbedingungen und unsere Körperbilder sind patriarchal geprägt, dahinter steht ein enormes Leistungs- und Kontrolldenken. Diese Faktoren tragen nicht zu einem gesundheitsfördernden und selbstbestimmten Umgang mit dem eigenen Körper bei. Erst wenn wir Fürsorge und Verletzlichkeit als gesellschaftliche Werte anerkennen, schaffen wir Bedingungen, in denen Menstrualität nicht kontrolliert werden muss, sondern selbstverständlich und selbstbestimmt gelebt werden kann.

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1 Kommentar

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  • Ja, die Toiletten ... Die scheinen meist von nicht-menstruierenden Menschen entworfen zu sein.



    Zum Einen gibt es häufig kein Waschbecken im Innenraum (nur draußen), was z.B. die Handhabung einer Menstruationstasse erschwert bzw. aus der temporären Privatsphäre hinausträgt. Das betrifft auch Toiletten beispielsweise in Bürogebäuden.



    Zum Anderen gibt es (ebenfalls in Bürogebäuden, z.B.) extra für den Toiletteneimer einen eigenen Leer-Service, grade so, als wären benutzte Hygieneprodukte gleich ein besonders zu behandelndes Gefahrgut, das nicht in den normalen Hausmüll darf.

    Die zugrundeliegenden Gedanken sind wohl dieselben: ist gefährlich, muss frau verstecken, und will mann nichts davon wissen.