Abschiebung von Afghan:innen: Aufnahmezusage ist nicht gleich Aufnahmezusage
Gefährdete Afghan:innen sind ausschließlich durch Aufnahmezusagen nach dem Bundesaufnahmeprogramm geschützt. Das hat jetzt ein Gericht entschieden.

Nach dem überstürzten Abzug der Bundeswehr 2021 hat Deutschland über 36.000 Menschen aus Afghanistan aufgenommen, darunter rund 20.000 ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr und anderer deutscher Organisationen. Über 2.000 Afghan:innen warten aber noch in Pakistan. Sie verließen Afghanistan, weil sie eine Aufnahmezusage Deutschlands erhalten hatten.
Die deutsche Botschaft in Pakistan, die für die Abwicklung der Ausreise nach Deutschland zuständig ist, hatte die entsprechenden Aktivitäten jedoch wegen des pakistanisch-indischen Konflikts zeitweise eingestellt. Zudem stoppte die neue schwarz-rote Bundesregierung alle Aufnahmeprogramme, um die Zusagen neu zu prüfen. In Pakistan leben die Afghanen in Guesthauses, die Deutschland finanziert, doch droht ihnen die Abschiebung nach Afghanistan. Vor wenigen Tagen wurden bereits 210 Personen abgeschoben.
Seit Ende Juni klagen immer mehr Afghan:innen mithilfe deutscher Anwält:innen beim Verwaltungsgericht (VG) Berlin und berufen sich auf die deutsche Aufnahmezusage. Doch das VG Berlin und vor allem das übergeordnete OVG Berlin-Brandenburg differenzieren nach Art des Aufnahmeprogramms.
Alte Programme und informelle Zusagen
Wer eine Zusage des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan (BAP) hat, klagte meist mit Erfolg. Hier habe die Bundesrepublik eine verbindliche Zusage gemäß Paragraf 23 Aufenthaltsgesetz gegeben. Diesen bestandskräftigen Verwaltungsakt könne sie nicht einfach aus politischen Gründen widerrufen. Das OVG bestätigte dies Ende August.
Anders sieht es mit den drei anderen Programmen aus: dem Ortskräfte-Programm, der Übergangsliste, die dem BAP vorausging, und der noch früheren Menschenrechts-Liste. Hier handelte es sich um ältere Programme, bei denen die Aufnahmezusagen eher informell gegeben wurden. Laut OVG waren die Aufnahme-Entscheidungen hier „Ausdruck autonomer Ausübung des außenpolitischen Spielraums des Bundes“.
Es handelte sich um humanitäre Aufnahmen nach Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes. Die Erklärung der Aufnahmebereitschaft sei hier „eine Maßnahme mit bloß innerbehördlichem Charakter, die Einzelnen subjektive Rechte nicht vermittelt.“ Feinheiten des deutschen Verwaltungsrechts, die nun über Existenzen entscheiden.
Es kommt also für die rechtliche Qualität der Aufnahmezusage nicht auf den Grund der Aufnahme an, das heißt, ob es um Ortskräfte oder um engagierte und deshalb gefährdete Personen geht. Entscheidend ist vielmehr, ob die Zusage im Rahmen des neueren Bundesaufnahmeprogramms oder eines der älteren Programme erfolgte. Der Ex-Richter, der nun nicht nach Deutschland kommen kann, stand auf der sogenannten Übergangsliste.
Tausende mit Zusagen sitzen fest
Ende Mai saßen laut Bundesregierung 2.384 Personen mit deutschen Aufnahmezusagen in Pakistan fest. 1.245 gehörten zum Bundesaufnahmeprogramm, 772 hatten Zusagen im Rahmen des Übergangsprogramms erhalten, 70 Personen gehörten zur Menschenrechts-Liste und 297 Afghan:innen waren ehemalige Ortskräfte deutscher Organisationen. Familienangehörige sind in den Zahlen bereits enthalten.
Die Klagen beim VG Berlin beziehen sich ganz überwiegend auf Personen, die BAP-Zusagen haben, weil hier die Erfolgschancen am größten sind. Tatsächlich gab es bereits einige Dutzend erfolgreiche Urteile. Teilweise drohte das VG der Bundesregierung sogar Zwangsgeld an. Hinzu kommen rund 15 Fälle, bei denen die Sicherheitsüberprüfung noch nicht abgeschlossen war. Hier wurde die Bundesrepublik jedoch verpflichtet, das Verfahren möglichst schnell zu beenden.
Auch im Charterflugzeug, mit dem am heutigen Montag rund 50 Personen aus Afghanistan eingeflogen wurden, saßen fast ausschließlich Personen mit einer BAP-Zusage. „Alle hatten ihre Einreise beim VG Berlin erstritten“, sagte Matthias Lehnert, der zu den rund zwanzig Anwält:innen gehört, die die Klagen vorbereiten und einreichen.
Dutzende weiterer Verfahren sind am VG Berlin anhängig. Das VG Berlin will demnächst genaue Zahlen nennen. Ständig kommen aber neue Verfahren hinzu, sobald die Helfer der NGO „Luftbrücke Kabul“ in Pakistan die Dokumente zusammengestellt haben.
Für Personen aus den falschen Aufnahmeprogrammen bleibt nun wohl nur der Weg zum Bundesverfassungsgericht. Sie müssten dort die Verletzung von Vertrauensschutz geltend machen.
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